Ortsgeschichtliche Ausstellung:Männlein und Weiblein strikt getrennt

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So sah die Weßlinger Badeanstalt 1970 aus. Wenige Jahre später wurde das Badehaus wegen Baufälligkeit abgerissen. (Foto: Franz Xaver Fuchs (Repro)/Thomas Jandl)

Verbote, Beschwerden und polizeiliche Vorschriften: Das Baden am Weßlinger See war einst streng reglementiert. Ortschronist Erich Rüba hat die Geschichte rund um die Badeanstalt zusammengetragen.

Von Patrizia Steipe, Weßling

Männer und Frauen, die sich ungeniert nebeneinander auf der Liegewiese am Weßlinger See umziehen, das war früher undenkbar. Anfang des 20. Jahrhunderts entdeckten Sommerfrischler den Weßlinger See. Wandern, Baden und die frische Luft genießen – das beäugten die Einheimischen mit Argwohn, erzählt Heimatforscher Erich Rüba. Baden war nur in der Badeanstalt erlaubt – und dort wurden Männlein und Weiblein strikt getrennt.

„Das Aus- und Ankleiden sowohl erwachsener Personen als auch der Kinder zwecks Badens im Weßlinger See ist im Freien verboten“, lautete eine ortspolizeiliche Vorschrift. Und nicht nur das. Aufs „strengste untersagt“ war auch das Umherfahren im Badekostüm auf dem See im Schiff oder das Baden in der Nähe von öffentlichen Wegen. Normalerweise erzählt Rüba das den Teilnehmern seiner geschichtlichen Rundgänge um den Weßlinger See und zeigt Fotos, Dokumente und Schreiben, die er in den Archiven gefunden hat. Jetzt hat er seinen „Spaziergang“ in einem Buch zusammengefasst. Dazu gibt es in der Gemeindegalerie eine Ausstellung mit allerlei Utensilien wie alten Badeanzügen und Strandaccessoires.

Vor einigen Jahrzehnten war der Weßlinger See sogar ein richtiger Bade-Hotspot. Es gab einen Drei-Meter-Turm, eine große Badeanstalt, in der sich die „Miss Weßling“ wählen ließ, und allerlei andere Vergnügungen. Ursprünglich wurde das Badehaus jedoch errichtet, um die Schwimmer vor neugierigen Blicken zu schützen. Dort mussten sich Frauen und Männer in getrennten Kabinen umkleiden und dann vom Haus aus unauffällig ins Wasser gleiten. Nicht alle nahmen es mit der Moral so genau, schreibt Rüba in seinem Buch „Wir sind Weßling“.

Entsetzt wandte sich 1905 ein Münchner Badegast mit einer Beschwerde an die Gemeindeverwaltung. „Mit eigenen Augen musste ich sehen“, so der Schreiber „die Herren in den Damenkabinen, die Damen in den Herrenkabinen“ und zudem „drei Pärchen und nicht alle verheiratet, sogar zwei Herren und ein Fräulein in ein und derselben Kabine, die gebadet und recht lange gebraucht haben, wobei andere Herren durch die Spalten Beobachtungen gemacht haben“. Am meisten ärgerte ihn jedoch, dass er von „anwesenden Norddeutschen“ hören musste, das nenne man „bayerische Gemütlichkeit“. „Nein, eine Schweinerei ist es!“

Erich Rüba hat in der Gemeindegalerie historische Fundstücke zusammengetragen, unter anderem einen alten Schrankkoffer, der 2011 im Speicher des Café Aenishänslin entdeckt wurde. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
So sah der Weßlinger See 1909 aus. Frauen waschen an einem Steg Wäsche. (Foto: Franz Xaver Fuchs (Repro)/Sammlung Erich Rüba)
So sieht es an warmen Sommertagen inzwischen am Weßlinger See aus. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Und 1917 wird in einem Brief an das Königliche Bezirksamt Starnberg geklagt, dass „badende Männer lediglich sogenannte Dreieckshosen tragen“. Kaum verhüllten diese die Geschlechtsteile. Dabei werden sie „von Leuten, von denen man annehmen möchte, dieselben hätten bessere Bildung genossen, getragen“. Das rote knielange Badekleid mit den Ärmeln, das Rüba in der Ausstellung zeigt, wäre dagegen mit Wohlwollen betrachtet worden. Der Zeitgeist wandelte sich, die strikte Geschlechtertrennung am See wurde aufgehoben. Auf einem Foto aus dem Jahr 1935 sieht man fröhliche junge Menschen beim Sonnenbaden, im Hintergrund ein tragbares Grammofon. Es existiert heute noch und kann in der Ausstellung besichtigt werden.

1976 wurde die marode Badeanstalt abgerissen. Die Plakate mit der Aufschrift „Rettet das Weßlinger Schwimmbad“ hatten nichts genützt.

Es ist die Mischung aus historischen Fakten, Zeitzeugenberichten, Anekdoten und vielen Fotos, die das Buch und die Ausstellung auszeichnen. Auf diesem Ausflug durch die „hoch verdichtete Ortsgeschichte“ um den See erfährt man Hintergründe über Wahrzeichen wie das Landhaus Ostenrieder, die Kirche Mariä Himmelfahrt, den alten Pfarrhof, die Villa Alzheimer und die noch verbliebenen umgebauten Bauernhäuser, „die uns an eine vergangene dörfliche Struktur mit ihren Bewohnern, deren Mühen und Freuden erinnern“, findet Rüba. Zum Beispiel das Foto mit Zimmermeister Joachim Paul und seiner Belegschaft. Sie erbauten den Seehof zwischen den Jahren 1892 und 1894.

Nahezu alles war einst reglementiert in der Badeanstalt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Die Familie Alzheimer hatte eine eigene Badehütte. Fotos zeigen die Familie am See. (Foto: Franz Xaver Fuchs/Sammlung Familie Koeppen)
Der See war nicht nur zum Baden da, wie das Ölgemälde "Waschtag am Weßlinger See" von Hermann Maurer (1874-1945) zeigt. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Rüba erinnert auch an verschwundene Bauwerke. 1897 wurde am Nordufer des Sees ein Brunnenhaus mit einem riesigen Windrad errichtet. Viel Ärger gab es um diese laute und als hässlich geschmähte Anlage. 1921 wird das Windrad beseitigt. „Damit ist etwas gefallen, was den Ort Weßling lange verschandelt hat“, so Pfarrer Anton Ferstl in der Pfarrchronik.

Schade ist es um den stattlichen „Mühlbeni-Hof“, der 2007 abgebrochen wurde. Dabei zählte Rüba an der Küchenwand zwölf Farbanstriche, „von weiß über braun bis blau“. Im Buch erinnert eine Liste aus dem Kirchenbuch an die ehemaligen Hausbewohner. Der „Heukarl-Hof“ musste 1968 dem Ausbau der Staatsstraße 2068 weichen. Das Haus Nummer 45 am Seeweg 8 beherbergte zwischen 1965 und 1974 einen Betrieb zur Glas- und Porzellanmalerei. Gläser, Teller, Dosen und vieles mehr wurde mit Abziehbildern, die Jagd- oder Blumenszenen zeigten, veredelt. „Im Dorf gibt es zu dieser Zeit kaum einen Haushalt, der sich nicht mit Geschirr aus dem Hammer’schen Glas und Porzellanbetrieb eindeckt“, berichtet Rüba. In einer Vitrine hat er Exponate dieser bunten Gläser ausgestellt. 1981 erwirbt Thomas Gottschalk die denkmalgeschützte Villa.

Viele Künstler haben die Idylle rund um den See geschätzt. Pierre Auguste Renoir war zu Gast, August und Elisabeth Macke. Julia Mann, die Mutter des Dichters Thomas Mann, hat einige Zeit in Weßling gelebt. Sie ist hier sogar 1923 gestorben. Begeistert von dem Dorf war die Familie nicht. „Weßling ist im übrigen ekelhafter als Polling. Hier gönnt einer dem anderen nichts“, klagte sie. Sohn Viktor bezeichnete das Gewässer als „ziemlich traurigen Moorsee“.

Bemalte Gläser aus der Glas- und Porzellanmanufaktur Kurt Hammer. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Den Uferbereich prägen mächtige Bäume. An der Einmündung des Hans-Schottenhamel-Gasserls in den Seeweg stehen zwei riesige Eichen. Die „Kotsch-Eichen“ wurden nach dem Landschaftsmaler Theodor Kotsch (1818-1884) benannt. 1938 beantragte die Gendarmerie, den Baum in das Naturdenkmalbuch des Bezirksamts Starnberg einzutragen. Damals hatte der größere Baum bereits einen Stammumfang von 3,60 Meter. Mittlerweile misst er wohl um einiges mehr.

Den Weßlinger See hat die Gemeinde 1968 für 200 000 Mark von Hans Graf zu Toerring-Jettenbach gekauft. „Bewahren, verbunden mit einem behutsamen Erneuern beziehungsweise Verändern der Gebäude- und Gartenlandschaft, muss unser gemeinsames Bestreben sein“, mahnt Rüba. Weitestgehend sei dies um den Weßlinger See gelungen.

Die Ausstellung „Wir sind Weßling! Geschichtlicher Spaziergang um das ‚blaue Herz‘“ ist noch bis zum 8. Dezember in der Gemeindegalerie, Hauptstraße 57, zu besichtigen. Öffnungszeiten sind freitags und sonntags von 14 bis 17 Uhr. Dort kann auch das Buch zur Ausstellung erworben werden.

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