Weßling:Politik als Besuchermagnet

Weßling: Grüne Neujahresempfang mit Gast Gesine Schwan

Smalltalk beim Neujahresempfang der Kreis-Grünen: Kerstin Täubner-Benicke (v. li.) Gesine Schwan, Jürgen Schade und Peter Unger.

(Foto: Nila Thiel)

Volles Haus beim Neujahrsempfang der Kreis-Grünen in Weßling. Und das liegt nicht nur an Gastrednerin Gesine Schwan

Von Wolfgang Prochaska, Weßling

Nicht nur Kerstin Täubner-Bennicke, die Kreissprecherin der Grünen und Bundestagskandidatin, zeigte sich erfreut. Zum Neujahrsempfang des Grünen-Kreisverbands am Freitagabend im Weßlinger Pfarrstadel waren auch viele SPD-Kommunalpolitiker gekommen, darunter die frühere Gautinger Bürgermeisterin Brigitte Servatius, Kreisrätin Sissy Fuchsenberger und Reinhard Dirr, der ehemalige Stadt- und Kreisrat. Auch der Starnberger Altbürgermeister Ferdinand Pfaffinger interessierte sich für den Gast aus Berlin, der von Weßlings Bürgermeister Michael Muther empfangen wurde. Dieser Gast hieß Gesine Schwan. Schwan hatte 2004 und 2009 für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert und ist Sozialdemokratin. Sie ist Präsidentin der Humboldt-Viadrina Plattform, einem Forum, das neue Wege zur verbesserten Willensbildung im Sinne direkterer Bürgerbeteiligung untersucht. "So voll war es noch nie", meinte Täubner-Bennicke als sie in den gut besetzten Pfarrstadel-Saal blickte. Es zeigte aber auch: In Zeiten, in denen Populisten wie Trump die Macht erobern, scheint das grundsätzliche Interesse an Politik einen neuen Stellenwert zu erhalten.

"Wie wollen wir leben?" Mit dieser Frage spannte Schwan einen weiten politischen und philosophischen Bogen, vom Wohlgefühl des Einzelnen bis zur Parteien-Demokratie. Dabei ging es ihr vor allem um eines: Wie lässt sich ein demokratisches Gemeinwesen so organisieren, dass sich alle Bürger auch in der politischen Auseinandersetzung über einen Grundkonsens einig sind? Mit Schwans Worten: "Dass sich am Ende keiner untergebuttert fühlt." Gerade heute wollten die Bürger "erfahrbar und spürbar etwas bewegen", dies zeige sich in den vielen Bürgerinitiativen und nicht-staatlichen Organisationen. Den Parteien traue man eine Willensbildung, die nahezu alle zufrieden macht, nicht mehr zu. Schwan schlägt deshalb breitere politische Partizipationsformen für die Bürger im Vorfeld von Entscheidungen in den politischen Gremien vor. Als Stichwort nannte sie das Governance-Modell mit seiner "koordinierten und kooperativen Willensbildung".

Auf EU-Ebene hält sie die Stärkung der kommunalen und regionalen Ebene für wichtig, da sie den nationalen Regierungen keine konstruktiven Vorschläge zur EU mehr zutraut. Zum Reform-Katalog gehört für Schwan auch ein Einwanderungsgesetz und das Auflegen eines Fonds, der für die kommunalen Integrations- und Entwicklungskosten bei der dezentralen Verteilung der Flüchtlinge aufkommen würde. Viel Applaus erhielt sie, als sie betonte: "Abschotten und Abschrecken ist kein Weg." Man müsse sich den anderen öffnen. Als Grundbedürfnis des Menschen bezeichnete sie die Sehnsucht nach Freiheit und Sicherheit und verortete dieses Gefühl schon in der Antike. Schwan verband in ihrer Rede, die sie praktisch frei hielt, ganz locker Philosophisch-Historisches mit aktuellen Bezügen. "Die physische und psychische Integrität gehört auch zum guten Leben." Damit war sie bei der Frage angekommen, welche politische Form solch ein Leben in Würde zulasse. Das ist für sie immer noch die Demokratie westlicher Prägung.

Ehe es zum Büffet ging, wurde ein bisschen diskutiert. Die Stichworte lauteten Politikverdrossenheit bei Jugendlichen und Zukunftsangst. Schwan glaubt, dass sich in der Vergangenheit die Parteien programmatisch kaum mehr unterschieden hätten, was das Interesse an der Politik nicht befördert habe. Dies würde sich gerade ändern. "Etwas bricht auf."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: