Streit um Waldzugang:Der Kirschbaum und der Kirchzaun

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Wegen eines Zauns unmittelbar vor seinem Gartentor ist der Weßlinger Bernd Kirsch mit den Förstern der Diözese über Kreuz. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eigentlich wollte Bernd Kirsch nur überhängende Kirschzweige loswerden. Nun kommt er nicht mehr durch seine Gartentür. Eine Posse mit mehreren Beteiligten: ein eiserner Waldliebhaber, ein genervter Förster und ein Kardinal.

Von Viktoria Spinrad, Weßling/Seefeld

Das Corpus Delicti prangt nur wenige Zentimeter hinter dem Gartentor von Bernd Kirsch. Ein Zaun, 1,80 Meter hoch, aus Draht. Kirsch, selbst von drahtiger Statur, rüttelt daran. Doch es tut sich nichts. Sein Gartentor, einst die Eintrittspforte zum Wald gleich hinter seinem Garten, öffnet sich nur noch wenige Zentimeter. "Bumm", sagt Kirsch. Ende im Gelände. Kirsch verschränkt die Arme. Lustig finde er das Ganze überhaupt nicht. "Das hier ist Schikane", sagt er.

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Gemeinde Weßling, Kreuzbergsiedlung. Ein Haus am Waldrand. Hier spielt sich ein Zwist ab, bei dem die Bilder von Stefan Raabs satirischer Deutschland-Hommage "Maschendrahtzaun" wieder hochkommen. Ein David-gegen-Goliath-Machtkampf im Grenzgebiet zwischen Weßling und Seefeld. Es geht um die Frage, wo das Recht auf Natur des Einzelnen endet und der Naturschutz anfängt. Wobei, mit Natur habe der Forst hinter seinem Garten ja eigentlich nichts zu tun, sagt Kirsch. "Wir sind ja hier nicht im Bayerischen Wald."

Links: Seefeld, Forstgebiet der Katholischen Kirche. Rechts: Das Weßlinger Grundstück von Bernd Kirsch. Dazwischen: Nur wenige Zentimeter - und viel Streit. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Er steht im Zentrum dieses Zwists. Ein Mann mit weißen Haaren und weißer Weste - so sieht er das zumindest. Fakt ist: Wo Kirsch früher durchs Hintertürchen direkt in den Wald spaziert ist, steht nun ein mannshoher Zaun, errichtet im Auftrag der Katholischen Kirche. Ihr gehört das Grundstück. Will Kirsch nun in den Wald, muss er einen Umweg nehmen, einen Kilometer durch die Siedlung. "Es war so schön", sagt er und schüttelt den Kopf.

Der Zwist beginnt harmlos: mit einem Kirschbaum

Die Causa Kirsch begann mit einem Kirschbaum auf der Kirchenseite. Im Sommer kletterte dieser an der Gartengrenze empor. Frech ragten die Äste hinüber in sein Grundstück. Also sprach Kirsch mit dem zuständigen Förster. Martin Laußer ist seit 35 Jahren im Wald unterwegs, Kirsch war 35 Jahre lang Stadtplaner in der Münchner Verwaltung. Laußer sah den wild blühenden Baum, die kaputten Eschen drumherum und auch die Verkehrssicherungspflicht. Er beauftragte seine Männer.

Martin Laußer, 51, ist südlicher Revierleiter für die Erzdiözese München und Freising. Gegenwind ist er gewohnt, seinen Job liebt er trotzdem. "Grün beruhigt", sagt er. (Foto: Arlet Ulfers)

Die rückten ein paar Tage später an und dem Wildwuchs zu Leibe. Sie fällten den monierten Kirschbaum und die pilzbefallenen Buchen und Eschen. "Mit ihrer Rambotruppe", sagt Kirsch. Und: "Ohne Vorankündigung." Von hier an gehen die Versionen des Forstliebhabers und des Försters auseinander. Am Telefon schnauft Laußer erstmal tief durch. Dann berichtet er von mehreren Gesprächen. Würde er sich mit jedem Anlieger so intensiv auseinandersetzen wie mit Herrn Kirsch, "dann würde ich mit meiner Arbeit nicht fertig werden", sagt er.

Mitte Oktober erreicht das Drama seinen Höhepunkt

Ein Streit ist vom Zaun gebrochen. Ihren dramaturgischen Höhepunkt erreichte die Causa Mitte Oktober. Da begibt sich ein Arbeitertrupp an den Waldrand, mit Pfählen und Zaunspule. Die Männer pflanzen möglichst klimaresistente Nachfolger für die Eschen: Flieder, Weißdorn, Kornelkirsche, Wildkirsche. "Was fürs Auge", sagt Laußer. Kirsch sieht es etwas anders. Er schreibt in einem Brief an Kardinal Marx höchstpersönlich von einem "Schildbürgerstreich".

Denn: Am Ende der Aktion ist er nur noch Zaungast vor dem Wald. Er wälzt Gesetzestexte. Bayerische Verfassung, Naturschutzgesetz, BGB. Er holt sich eine Abfuhr bei der Unteren Naturschutzbehörde. Er hängt ein Transparent auf: "Hier war der Waldweg." Er sammelt Unterschriften, auf dass die Arbeiter den Zaun vor seinem Gartentor einen Meter zurücksetzen. Eine Art Friedenskorridor, wäre das nicht etwas? Am Telefon holt Laußer nochmal tief Luft. Er hatte bereits mit dem Vorbesitzer Diskussionen, weil dieser mehr Sonne auf seinem Garten wollte. Mit den Nachbarn, weil deren Schaukeln die Eschen kaputtmachten. Mit Kirsch, wegen Steinen im Wald, die laut Kirsch für die Nachbarsmädels hingelegt worden seien, laut Laußer aber genau vor dessen Tor lagen.

Er würde so gern und er kann doch nicht. Denn die Kirche will Trampelpfade vermeiden. "Schikane", nennt Kirsch das. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Und nun das. Die Büsche seien wie Kaviar für die Rehe, sagt er, die müsse man schützen. Ohne Zäune müsste er die Jagd forcieren. Er wolle Herrn Kirsch sehen, "wenn hier um halb eins in der Nacht der Schuss fällt." Aber warum genau entlang der Grundstücksgrenze? Zum Wohle der Natur sollten weitere Trampelpfade in dem Wald vermieden werden, heißt es seitens der Pressestelle des Münchner Erzbistums. Diese könnten sich zu wilden Wanderwegen verbreitern - und dann den Bemühungen der Walderneuerung zuwiderlaufen.

Eigentlich, sagt Förster Laußer, sei das Ganze ja traurig. Schließlich sei der Mensch doch die einzige Spezies, die auch ohne Hundeknurren einen Konsens finden könne. Gleich die schweren Geschütze aufzufahren, da fehle ihm das Verständnis. "Er hätte nur anrufen brauchen".

Für Bernd Kirsch sind die Aussichten nun eher trübe. Bis zu fünf Jahre muss er jetzt warten, bis der Zaun hinter dem Tor weg ist - so lange darf er da rechtlich stehen. Eigentlich, sagt er, sei es doch nur um die Zweige gegangen. Er deutet auf einen Brennholzstapel hinter seinem Haus, den er schon für den kalten Winter angesammelt hat. Ein kalter Krieg mit der Katholischen Kirche? Es gehe jetzt längst nicht mehr nur um ihn. Sondern um den Waldpfad. 68 Unterschriften hat Kirsch bisher gesammelt. Und es sollen noch mehr werden. Er sagt: "Ich bin hier noch am Anfang."

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