Süddeutsche Zeitung

"Renoir in Weßling":Den Künstlern auf der Spur

Die von Ulrike Roos gegründete Kulturgruppe des Integrationspunktes Weßling wird dafür ausgezeichnet, dass sie Einheimische und Geflüchtete bei Filmprojekten zusammenbringt.

Von Paul Wiese, Weßling

Unweit der S-Bahnstation in Weßling erstrahlt an einer Mauer das Porträt eines großen Künstlers: ein Abbild von Pierre-Auguste Renoir (1841-1919), einst vielgepriesener französischer Impressionist. 1910 hatte ein Münchner Privatgelehrter den Maler eingeladen, um seine Ehefrau mit Tochter zu porträtieren. So ergab es sich, dass Renoir mitsamt Familie einen Sommer lang in Weßling lebte. Gut 100 Jahre später weckten die Ereignisse von damals noch einmal neues Interesse: Die vor etwa zehn Jahren von Ulrike Roos gegründete Kulturgruppe, die heute als Teil des Integrationspunktes Weßling an die örtliche Nachbarschaftshilfe angegliedert ist, hat den Renoir-Aufenthalt in einem fast halbstündigen Film nachgestellt. Am Montag wurde das Filmprojekt "Renoir in Weßling" in der Kategorie "Kultur" nun mit dem oberbayerischen Integrationspreis ausgezeichnet. "Durch das Nachspielen historisch belegter Ereignisse und Anekdoten gelang eine starke Annäherung an den impressionistischen Maler, den Menschen, seine ihn begleitende Familie und seinen Freundeskreis", heißt es in der Laudatio.

In mehreren Workshops, die alle zwei Wochen samstags stattfanden, hatten sich Einheimische und Flüchtlinge das spannende Thema gemeinsam erarbeitet. "Ein solches Projekt schafft Zusammenhalt und zeigt unterschiedliche Fähigkeiten auf", erklärte Roos dazu. Die von ihr geleitete Kulturgruppe produziert nahezu jährlich einen neuen Film, einen festen Turnus gibt es aber nicht. Seit 2012 sind bereits acht Filme entstanden. Die Workshops dazu sind für alle geöffnet, mitmachen kann jeder, der Lust hat.

Roos war schon vor geraumer Zeit auf den französischen Maler gestoßen: "Vor etwa acht Jahren habe ich einen Rundfunkbeitrag über Renoir gehört und war sofort an seiner Geschichte interessiert", sagt sie. Unter anderem aus diesem Beitrag zog sie die Informationen für das aktuelle Projekt. Auch eine Veröffentlichung des Weßlinger Heimatforschers Erich Rüba über Renoir half Roos, die Geschichte nachzuerzählen. Denn der Film sollte keine Fiktion sein, sondern möglichst nah an der Realität spielen.

"Woher sollen sie denn etwas über die Kultur lernen, wenn es ihnen keiner beibringt?"

Um die Geschichte so authentisch wie möglich umsetzen zu können, vertiefte sich die Gruppe über Monate in das Leben Renoirs. So bot es sich auch an, unter anderem in die impressionistische Kunstwelt einzutauchen, Gemälde des Malers nachzumalen sowie eigene Ideen in seinem künstlerischen Stil umzusetzen. Man sei dadurch "Teil der Rückschau", die auch der Film darstellen soll, erklärt Roos. Begleitend zur kreativen Arbeit besuchte die Gruppe einige Museen, um sich besser mit der Epoche vertraut zu machen. Die kulturelle Teilhabe von Kindern und Jugendlichen sowie den Geflüchteten gehört für Roos zum Konzept: "Der einfachste Weg, die Menschen zur Kultur zu bringen, ist es, dort zu arbeiten." Gerade bei den aktuell Geflüchteten aus der Ukraine sei das wichtig. "Woher sollen sie denn etwas über die Kultur lernen, wenn es ihnen keiner beibringt?", fragt sich Roos und ergänzt: "So können wir dem ganzen Leid außerdem etwas Schönes entgegensetzen."

In Eigenregie entwickelte die Gruppe nach und nach eine Idee, wie der Film schlussendlich aussehen soll. Zusammen mit drei Künstlerinnen und einer Kostümbildnerin entwickelte Roos Bühnenbilder sowie ein Drehbuch. Bei der filmischen Umsetzung erhielt sie außerdem professionelle Unterstützung von einem Kameramann. "Wir wollen natürlich keinem Regisseur Konkurrenz machen", sagt Roos schmunzelnd, "denn im Unperfekten sieht man, dass es Handarbeit ist."

In die Vorbereitung der Drehtage hatte Roos die Teilnehmenden immer wieder eingebunden, denn diese sollten am Ende auch vor der Kamera stehen. Vor allem für die Geflüchteten sieht sie in der Filmarbeit einen Vorteil: "Die Teilnehmer machen dabei große sprachliche Sprünge", erklärt sie. "Wo man ihnen am Anfang noch jedes Wort vorsagen musste, sagten sie später ganze Sätze allein." Besonderen Spaß hätten sie an den Kostümen gehabt: "Verkleidung macht etwas aus den Menschen", berichtet Roos. Für alle sei so eine "kreative Atmosphäre entstanden, die gut tut".

Nach nur zweieinhalb Tagen war der Film abgedreht - und kann sich seit Montag als "ausgezeichnet" bezeichnen. Doch von einer Pause kann keine Rede sein. Der nächste Film ist schon in Planung. Wieder soll es um einen Maler gehen: Friedrich August von Kaulbach, der 1920 in Ohlstadt bei Murnau am Staffelsee gestorben ist. Wann das Projekt fertig sein wird, steht noch nicht fest. Roos lässt sich die Zeit, die es braucht, um "Stück für Stück" ein gemeinsames Werk zu schaffen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5680908
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/zif
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.