Süddeutsche Zeitung

Weßling:Inneres Wetterleuchten

Anton G. Leitner gibt mit Hiltrud Herbst eine Dankanthologie zu August Stramms 100. Todestag heraus

Von Wolfgang Prochaska, Weßling

Dass sie einfach in den Krieg zogen, dass sie sogar Offiziere waren, die Herren Dichter, das verstört immer noch die Nachgeborenen, wenn es um die Rezeption des hinterlassenen Werkes geht. Der expressionistische Dichter August Stramm (1874 - 1915) macht da keine Ausnahme. Der Mann, der wie seine Dichterkollegen brav in des Vaters bürgerliche Fußstapfen trat und ein Postler wurde, wenn auch ein hypernervöser, zeigte keine Scheu vor dem Militärischen. Man muss sich nur die Fotografien von Stramm in voller Montur in der Widmungsanthologie "Weltpost ins Nichtall" zu August Stramms 100. Todestag am 1. September ansehen: Ein stolzer, nicht mehr ganz junger Mann blickt da in die Kamera. Stramm war Hauptmann. Aber als Hauptmann war man im Ersten Weltkrieg eher Kugelfang in der ersten Reihe als der große Stratege hinter den Linien.

Das schmale Werk von August Stramm wäre schon lange in Vergessenheit geraten, hätte dieser Dichter nicht schreiende Gedichte des Verstummens hinterlassen, und damit die inneren Verwerfungen des modernen Menschen wie unter einem Brennglas formuliert. Die Widmungsanthologie, die der fleißige Lyrik-Vermittler, der Weßlinger Anton G. Leitner mit Hiltrud Herbst herausgegeben hat (Daedalus Verlag), zeigt dies in aller Deutlichkeit. Dass mehr als 60 Autoren - darunter viele bekannte Namen wie Uwe Kolbe, Nico Bleutge, Franzobel, Ulla Hahn, Kerstin Hensel, Gerhard Rihm und Gabriele Trinckler - zur Feder griffen, um sich mit Stramm auseinander zu setzen, zeigt schon, wie viel dieser brav-bürgerliche Mensch uns Heutigen noch zu sagen hat. Deshalb hat Leitner, der auch die Zeitschrift "Das Gedicht" herausgibt, vollkommen recht, wenn er schreibt: "Expressionistische Dichter wie Stramm und van Hoddis vibrieren in ihren Versen geradezu vor Unruhe, angesichts des zeitgeschichtlichen Tempos. Das Hetzen, Jagen und Gejagt-Werden haben sie sicherlich damals genauso als existenziell bedrohlichen Umbruch wahrgenommen wie wir heute." Stramms Gedichte lyrische Skelette zu nennen, ist nicht falsch. Gleichzeitig sind sie aber äußerst musikalisch, gerade wegen ihrer Knappheit, sodass der Komponist Gerhard Rihm nicht umhin konnte, einige zu vertonen. Das Gedicht "Wankelmut" führt den Stramm'schen Sound beispielhaft vor: "Mein Suchen sucht!//Viel tausend wandeln Ich!// Ich taste Ich// Und fasse Du//Und halte Dich!// Versehne Ich!//Und Du und Du und Du//viel tausend Du//Und immer Du// Allwege Du//Wirr//Wirren//Wirrer//Immer wirrer//Durch//Die Wirrnis//Du//Dich//Ich!" Peter Rühmkorf, einer der besten deutschsprachigen Dichter, beschäftigte sich sein Leben lang mit dem literarischen Expressionismus. Er schreibt zu den Gedichten: "Solche saltomortalen Nummern sind im Expressionismus durchaus an der Tagesordnung - weil sich die Ich-Zerörterung mit bestimmten Erlösungsvorstellungen verbindet, die eigentlich Auflösungsvorstellungen sind." Der Krieg löste am Ende alles auf.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2619649
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 25.08.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.