Süddeutsche Zeitung

Gitarrenkonzert:Zwei Wolfgangs, eine Leidenschaft

Wolfgang Netzer und Wolfgang Wallner imponieren beim Gitarrenkonzert im Weßlinger Pfarrstadel - dank Einfühlsamkeit, Improvisationstalent und Gespür für die Dramaturgie.

Kritik von Reinhard Palmer

Es ist nicht per se gut, von einem Musiker sagen zu können, er passe in keine Schublade. Bei Wolfgang Netzer ist die Aussage zweifelsohne als Qualitätsmerkmal zu verstehen, zumal mit einem Instrumentarium, das aus Relikten schweißtreibender, akribischer Arbeit besteht. Es genügt nicht, auf Reisen oder bei längeren Aufenthalten, die Netzer in Rio de Janeiro, Kalkutta und Istanbul absolviert hatte, exotische Instrumente einzukaufen und dann nur die richtigen Töne zu treffen.

Gerade die elfsaitige Oud aus dem arabischen Raum, eine Kurzhalslaute ohne Stege, entfaltet ihre Wirkung erst, wenn sie mit der mikrotonal-melismenreichen Technik und der Harmonik ihrer Heimat endlos mäandern darf. Auch die Klangeigenheiten etwa der Irish Bouzouki, die erst vor gut einem halben Jahrhundert im Irish Folk heimisch wurde, oder des kleinen brasilianischen Cavaquinho, dem nur vier Saiten genügen, das leidenschaftlich-liebesschmachtende, aber auch vergnügte Lebensgefühl Südamerikas zu vermitteln, können sich nur in einer adäquaten musikalischen Verarbeitung entfalten.

Zwei Künstler mit Leidenschaft für die Weltmusik, die keine Grenzen kennt

Dass Netzer auch als Musikethnologe erfolgreich ist, bewiesen seine Kompositionen einmal mehr am Samstagabend im ausverkauften, heimischen Pfarrstadel zu Gast beim Verein "Unser Dorf". Und er brachte einen Mitspieler mit, der seine Leidenschaft für die Weltmusik teilt. Wolfgang Wallner studierte klassische Gitarre in Spanien, suchte fortan die Exotik anderer Kulturen, ist aber auch in der experimentellen Sparte heimisch. Letztere bedarf einer großen Einfühlsamkeit und der Fähigkeit, sich spontan auf Neues einlassen zu können, was letztendlich hier im Duo unabdingbar war und für die so selbstverständlich wirkende Homogenität sorgte.

Wer sich in dem hohen Maße intensiv mit einer Instrumentengattung (hier Zupfinstrumente) befasst, eignet sich mit der Zeit eine Gewandtheit an, die es erlaubt, jedes neue Instrument schnell beherrschen zu können und seine musikalische "Bestimmung" zu verstehen. Derart in die Materie eingetaucht sucht Netzer stets die Schnittmengen, die erlauben, Elemente verschiedener Kulturen und die des Jazz und der Klassik, selten auch des Rock und Blues, zu einer stimmigen Einheit zu verschmelzen. Es ist eine Weltmusik, die keine Grenzen kennt und zusammenführt, was auf den ersten Blick vielleicht unvereinbar schien. Das funktioniert nur deshalb, weil Netzer nicht auf stilistische Reinheit pocht und vielmehr die spieltechnischen Möglichkeiten fokussiert.

Für den Spannungsbogen hat Netzer ein untrügliches Gespür

So kann etwa das brasilianische "A corda baixa" auch auf der Irish Bouzouki erklingen und nicht etwa auf der siebensaitigen brasilianischen Gitarre mit einem erweiterten Bassspektrum. Ob als Fingerpicking oder mit Plektrum, Saiten auf dem Griffbrett ganz oder nur halb gedrückt, staccato oder legato, perkussiv angeschlagen und auf dem Korpus getrommelt: All das ist Netzers Zutatenschatz, in den er für die Dramaturgie der Stücke tief reingreift. Und für den Spannungsbogen hat der Saitenkünstler und Filmmusiker ein untrügliches Gespür, baut ihn minuziös auf, kreiert einen fulminanten Höhenflug in satter Klangfülle, um zum Reiz filigraner Feinheit zurückzukehren.

Erstaunlich war, wie Wallner mit der spontanen Gestaltungsfreiheit Netzers zurechtkam und seinen Part nicht nur als Begleiter, sondern oft auch als gleichwertige zweite Stimme im Duo mit viel Fingerspitzengefühl austarierte. Sein warmer Gitarrenklang verlieh der Musik Wärme und Klangfülle, bereicherte so ihre Sinnlichkeit. Letzteres ist ein zentrales Thema in Netzers Kompositionen, entstanden sie doch in der Regel angeregt durch Bilder und Empfindungen, wie er verriet.

So etwa durch den Mond in Karthago ("Karthago-Mond"), von den Wasserringen der Wasserläufer auf der Oberfläche eines finnischen Sees ("Kadim") oder von der bunten Zirkuswelt eines schwarzen Zirkusdirektors ("Pablo Fanques Fair"). Aber selbst wenn die Anregung rein formaler Art ist, etwa ein Metrum ("Heptagon" oder "Oktogon") oder gar eine tiefe Saite ("Corda Baixa") - der imaginative Ansatz bleibt bestimmend.

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