Weßling:1000-Euro-Deal ohne Drogen

Fiktiver Handel mit Marihuana bringt vier junge Menschen vors Schöffengericht

Von Armin greune, Weßling

Auch ein rein virtueller Handel mit Drogen kann zu einer Gefängnisstrafe führen: Diese Erfahrung haben am Donnerstag vier Angeklagte gemacht, die sich vor dem Jugendschöffengericht wegen eines fiktiven Marihuana-Deals im Juni 2013 verantworten mussten. Obwohl ein 25-jähriger Penzberger und eine 21-jährige Seefelderin anfangs zudem wegen räuberischer Erpressung und Entführung angeklagt waren, endete auch für sie die siebenstündige Verhandlung glimpflich: Er erhielt eine neunmonatige Bewährungsstrafe, sie muss 40 Sozialstunden ableisten. Die beiden hatten einem heute 19-jährigen Weßlinger 500 Euro gegeben, der ihnen dafür Marihuana besorgen sollte.

Ihren Angaben zufolge waren sie von einem Tutzinger beauftragt worden, für 1000 Euro Cannabis zu erwerben. Der so Belastete räumte zwar ein, zur Tatzeit per Facebook Kontakt mit seinen beiden ehemaligen Klassenkameraden aufgenommen zu haben - aber nicht in der Absicht, Gras zu kaufen. Den zur Schulzeit intensiven Drogenkonsum habe er damals längst eingestellt, auch hätte er 1000 Euro gar nicht aufbringen können. Weil für die angebliche Bestellung die Beweislage nicht ausreichte, setzte das Gericht das Verfahren gegen den Tutzinger vorläufig aus. Nun sollen noch einmal die 660 Seiten umfassenden Mobilfunk-Protokolle überprüft werden, die von der Polizei aus den Telefonaten der Seefelderin zusammengestellt wurden. Die bloße Suche nach dem Namen des Tutzingers war freilich erfolglos geblieben, wie der Ermittler aussagte. Ob sie nun im Auftrag handelten oder aus anderen Gründen: Die beiden Möchtegern-Zwischenhändler hofften, über den damals 16-jährigen Weßlinger Marihuana für 800 Euro zu erhalten. Angeblich wollten sie das Gras dann "mit Wasser strecken", um 200 Euro Überschuss einzuschieben. Daraus wurde aber nichts, weil der Weßlinger schon zuvor auf Anregung eines Freundes beschlossen hatte, das Pärchen auszunehmen. Also behauptete der 16-Jährige, man habe ihn beim Deal in München überfallen und beraubt. Die Seefelderin kam dem Betrug freilich rasch auf die Schliche, denn der Freund des 16-Jährigen hatte in der Szene schon herumerzählt, wie sie reingelegt werden sollte.

Das Paar traf sich daher mit dem Weßlinger am Bahnhof und nahm ihn im Auto mit, um sich das "Überfallopfer" vorzuknöpfen. Auf einem Parkplatz in Herrsching wurde es dann laut und bedrohlich, der 16-Jährige brach gar in Tränen aus. Ob er aber tatsächlich keine Fluchtmöglichkeit hatte, konnte das Gericht nicht klären. Deshalb wurde der Anklagevorwurf des erpresserischen Menschenraubs fallen gelassen und diese Tour zu dritt nur als Freiheitsberaubung und Nötigung weiter verfolgt. Nach ein bis vier Stunden - die Zeugenangaben wichen weit voneinander ab - fuhr das Paar den 16-Jährigen heim.

Dafür musste er aber Smartphone, MP3-Player und Sonnenbrille als Pfand abgegeben. Bei der geplanten Übergabe gegen 500 Euro plus 50 Euro "Aufwandsentschädigung" kam es am nächsten Tag zum lautstarken Streit mit den Eltern des Weßlingers: Sie verständigten die Polizei, die Mutter wollte die Seefelderin am Wegfahren hindern und griff durchs geöffnete Seitenfenster. Die damals 19-Jährige fuhr dennoch los, was zunächst als gefährliche Körperverletzung und gefährlicher Eingriff in den Verkehr gewertet worden war. Aber im Lauf der Verhandlung wurde auch dieser Anklagepunkt wegen relativer Geringfügigkeit fallen gelassen.

"Letztendlich gab es diese Drogen nicht", stellte der Staatsanwalt am Ende fest - was ihn aber nicht davon abhielt, nach langer Abwägung dafür zu plädieren, dass es sich bei dem nicht existenten Cannabis aber eben auch um eine "nicht geringe Menge" gehandelt habe, die rechtlich als Verbrechen gewertet und mit mindestens einem Jahr Freiheitsstrafe geahndet wird. Das Gericht war anderer Meinung, sprach aber genau die Strafen aus, die der Ankläger gefordert hatte. Als Auflagen müssen der Penzberger und die Seefelderin je 550 Euro an eine Hilfsorganisation für Suchtkranke überweisen. Der Weßlinger wurde zur Geldauflage von 500 Euro verurteilt. Das Geld, um das er das Paar betrogen hatte, habe er noch am gleichen Tag "beim Baden verloren", behauptete er. Aus Sicht des Gerichts blieb das nicht das einzige offene Rätsel in diesem skurrilen Prozess.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: