Eine Zahl verbindet den Maler August Cruse und den Fotografen George E. Todd: Vor 100 Jahren starb Cruse, Todd hätte in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert. Auch der Wohnort Weßling verbindet die beiden und natürlich die Kreativität. Beiden Künstlern widmet die Gemeindegalerie nun eine Ausstellung. Kurator Erich Rüba verzichtet aber darauf, krampfhaft Gemeinsamkeiten zwischen ihnen zu konstruieren. Stattdessen gibt er jedem Künstler einen eigenen Raum. So entstanden zwei unabhängige Ausstellungen, ergänzt durch eine kleine Schau zum Zimmererhandwerk in Weßling.
Gleich beim Betreten der Galerie fällt der Blick auf ein Foto zweier Zimmerergesellen: Einmal sitzen sie lässig mit einer Säge auf dicken Balken, ein anderes Mal sieht man sie von hinten, in typischer Kluft mit Bündel, Wanderstab und Schlapphut, auf dem Weg in die große Welt. Rüba kombiniert Todds Fotos mit altem Werkzeug, das von Weßlinger Handwerkern wie dem Zimmererpolier Johann Paul (1881–1949) stammt. Sogar ein Originalfragment der kunstvoll geschnitzten Holzverzierung vom Seehof-Dach hat er in einer Vitrine ausgestellt.
Die Gemeindegalerie ist längst ein beliebtes Ziel für Kunstfreunde aus der Region. Direkt am See gelegen, verbinden viele Besucher den Rundgang um das Gewässer mit einem Abstecher in die Galerie. Ortshistoriker und Sammler Erich Rüba spürt immer wieder fast vergessene Künstler aus dem Ort auf. Ihre Lebensgeschichten recherchiert er akribisch in Archiven, Museen und Gesprächen mit Nachfahren und Zeitzeugen, um sie schließlich in Ausstellungen und in Büchern zu dokumentieren.
Auf August Cruse stieß Rüba in den 1970er-Jahren im Elternhaus seiner Frau. „Im Esszimmer hing unterhalb der Radiokonsole das kleine, von ihm geschaffene undatierte Aquarell ‚Weiden am See‘ “, schreibt er im Vorwort seines Buchs „August Cruse (1838 – 1925) – Pinsel und Farben sind sein Leben“. Die Mutter seines Schwiegervaters war eine Cousine von Cruses Frau. Die aquarellierte Tuschezeichnung zeigt eine vierstämmige kahle Weide, durch deren Äste die alte Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt zu sehen ist.


Zum 100. Todestag des Malers begab sich Rüba auf Spurensuche bis nach Oslo, wo Nachfahren des Künstlers leben, und nach Amsterdam, wo die Vorfahren des Vaters herkamen. Dabei stieß Rüba auf eine „verwirrende wie komplizierte“ Familiengeschichte. So gibt es etwa drei Kinder, über die es unterschiedliche Angaben zur Vaterschaft gibt. Der Maler führte ein unstetes Leben mit vielen Umzügen. Zwölf Jahre lang lebte er in Amerika, kehrte dann nach Deutschland zurück und schrieb sich 1879 mit 41 Jahren an der Münchner Kunstakademie ein.
1898 kauft er ein Grundstück in Buch am Ammersee und baute dort ein stattliches Landhaus. Aus dieser Zeit stammen mehrere Aquarelle, die Landschaften und markante Gebäude der Region zeigen. Für Rüba sind sie heimatgeschichtliche Dokumente. „Idyllische, schattige Buchenwälder und romantische Landstriche kennzeichnen die Handschrift seiner Aquarelle und Tuschezeichnungen“, schreibt Rüba. 1910 verkaufte Cruse das Anwesen und zog als 72-Jähriger nach Weßling. Ein Foto zeigt ihn als stattlichen, weißhaarigen Mann mit Schnauzbart, den einen Arm in die Seite gestemmt, den anderen lässig auf eine Stuhllehne gelegt.
1925 starb Cruse mit 86 Jahren. Er wurde auf dem Dorffriedhof beigesetzt. Sein Grab existiert nicht mehr, doch Rüba fand ein Foto davon. In einigen Weßlinger Häusern hängen noch Bilder von Cruse, doch in der Kunstwelt ist er weitgehend vergessen. Für die Ausstellung hat Rüba 39 Werke zusammengetragen, einige aus seiner eigenen Sammlung.

Von George E. Todd hingegen existieren Tausende Fotos und Negative. Rüba konzentriert sich in der Ausstellung auf 40 Fotos aus Hochstadt, wo Todd lebte. In den 1990er-Jahren dokumentierte Todd das Dorfleben mit seiner analogen Mittelformatkamera. Er hielt scheinbar banale Alltagsszenen fest, die durch ihre besondere Stimmung bestechen. „Meine Hoffnung ist, dass diese Sammlung den Gang der Zeit überleben wird, damit künftige Generationen sehen können, wie es damals so war“, schrieb Todd im Vorwort seines Bildbands „Hochstadt – Ein bayerisches Dorfleben in Bildern“.
Der 2016 verstorbene Fotograf wuchs in London auf, absolvierte eine Ausbildung in Grafikdesign und arbeitete nach dem Krieg als wissenschaftlicher Mitarbeiter in einem Forschungslabor der britischen Marine. Er fuhr Motorradrennen und reiste leidenschaftlich gern. Davon zeugen zahlreiche Fotos, Bildbände und Reiseberichte. 1972 zog er mit seiner Frau nach Hochstadt, blieb aber mit England zeitlebens verbunden. Bis zur Pensionierung 1990 arbeitete Todd beim DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) an Raumfahrtprojekten. Danach widmete er sich verstärkt der Fotografie. Mehr als 60 Einzelausstellungen zeugen von seinem Schaffen.


Todds Schwarz-weiß-Aufnahmen aus den 1990er-Jahren spielen mit Licht und Schatten, sie halten flüchtige Momente fest und erzählen Geschichten. Die Fotos erinnern an Weßlinger Persönlichkeiten wie Max Keller, den ehemaligen Bürgermeister von Hochstadt. Breitbeinig und sehr präsent steht er vor der Statue des Bayerischen Löwen. Tierschützer Manfred Schelle füttert ein Rehkitz, und der frühere Oberlehrer Franz Halser steht mit erhobenem Zeigefinger vor der Tafel mit dem „ABC“. Fahnenabordnung, Maibaumaufstellen, Stallarbeiten, Kinderfasching und Bauerntheater sind weitere Motive. Besonders berührend ist das Foto „Alte Freundschaft“. Auf einer Bierbank sitzen zwei lächelnde alte Männer und eine lachende alte Frau.
Todds Fotoarchiv mit mehr als 30 000 Negativen und mehr als 1000 Fotos verwaltet die Kunsthistorikerin Susanne Flesche im „The George E. Todd Archive“. Zum 100. Geburtstag kuratiert sie ebenfalls eine Ausstellung. Vom 3. April bis 5. Mai zeigt das Gilchinger Rathaus „In memoriam – Photographien von George E. Todd“.
In der Gemeindegalerie Weßling, Hauptstraße 57, sind die Ausstellungen „George E. Todd – Hochstadt Dorfbilder“ und „August Cruse (1838-1925) Pinsel und Farben sind sein Leben“ noch bis zum 5. Oktober zu sehen. Geöffnet ist freitags und sonntags von 14 bis 17 Uhr.