Innovative Unternehmen:Achtung, Wohnzimmer fährt aus

Innovative Unternehmen: "Die Leute lieben ihre Autarkie": Andreas Kunzfeld ist der Produktmanager des Weßlinger Luxuswohnmobilhersteller Protec.

"Die Leute lieben ihre Autarkie": Andreas Kunzfeld ist der Produktmanager des Weßlinger Luxuswohnmobilhersteller Protec.

(Foto: Arlet Ulfers)

Seit der Corona-Pandemie steigt die Nachfrage nach Wohnmobilen und Campern enorm. Davon profitiert auch die Weßlinger Firma "Protec", die in ihren Luxus-Wohnkarossen ein besonderes Feature verbaut.

Von Tim Graser

Baukräne, Schuttcontainer und große Betonfassaden zieren das Eckgrundstück am Dachsboden im Andechser Ortsteil Rothenfeld. Hier, wo gerade noch gebaut wird, will Ende des Jahres die Weßlinger Wohnmobilschmiede "Protec" einziehen, um ihre Produktion massiv ausbauen zu können. Seit Corona boomt das Geschäft - die aktuelle Produktionsstätte am Argelsrieder Feld in Weßling kann diese Nachfrage nicht mal mehr ansatzweise bedienen.

"Die Leute lieben immer mehr ihren individuellen Urlaub, ihre Autarkie", sagt Andreas Kunzfeld. Der 58-Jährige ist Prokurist bei den Wohnmobilbauern in Weßling. "Product Manager" steht auf seiner Visitenkarte, er selbst bezeichnet sich als "Mädchen für alles". Er pflegt den Kundenkontakt, kümmert sich um das Marketing und koordiniert die Aufträge und den Baufortschritt der individuell gestaltbaren Wohnmobile. Geschäftsführer sind zwar der Unternehmer Franz Wieth und sein Sohn André Nikolaj, bei Kunzfeld laufen jedoch alle Fäden zusammen.

Den Traum vom eigenen Heim auf vier Rädern mit Küche, Bad und Fernseher erfüllen sich seit einigen Jahren immer mehr Menschen in Deutschland - und lassen sich das einiges kosten: 77 500 Euro werden laut Branchenverband "Caravaning Industrie e.V." durchschnittlich für ein entsprechendes Neufahrzeug auf den Tisch gelegt.

Innovative Unternehmen: Ein bisschen Freiheit für 340 000 bis 360 000 Euro: der Protec Q19 Classic unterwegs im Landkreis Starnberg.

Ein bisschen Freiheit für 340 000 bis 360 000 Euro: der Protec Q19 Classic unterwegs im Landkreis Starnberg.

(Foto: Flo Hagena/Protec)

Mit solch einem Budget braucht man bei Protec jedoch gar nicht erst anzufragen: 340 000 bis 360 000 Euro kostet deren Camper im Schnitt. "Wir sind da klar im Luxussegment", so Kunzfeld. Dafür bekommt man allerdings eine Technik, die so bisher weltweit einzigartig ist im Caravaning-Bereich: Mit sogenannten "Slide-Outs" kann die Fläche des Innenraums um bis zu 55 Prozent auf heimelige 18 Quadratmeter erweitert werden - bequem per Knopfdruck fahren die Wände nach außen. Einen so großen Raumgewinn hat bisher noch keine andere Firma erreichen können. Klein fahren, groß wohnen - so das Konzept, das vor allem wohlhabende Menschen im Rentenalter anspricht. "Von Berlin über NRW bis in die Schweiz", sagt Kunzfeld.

Bisher kann die Firma im Jahr nur fünf Wohnmobile herstellen

Die Urlaubsfahrzeug-Industrie in Deutschland knackt fast jährlich die eigenen Rekorde: 2021 wurden fast 14 Milliarden Euro umgesetzt, gut zwölf Prozent mehr als noch 2020 - und das trotz Rohstoffkrise und stockender Lieferketten. Auch vor der Pandemie ging es der Branche nicht schlecht, aber seit Corona sei die Nachfrage "explodiert", sagt Kunzfeld. Dieses Geschäft wollte man sich auch in Weßling nicht entgehen lassen. Genaue Geschäftszahlen will das Unternehmen zwar nicht verraten, aber bei jährlich fünf hergestellten Wohnmobilen - damit ist man in Weßling aktuell ausgelastet - kann man von einem Jahresumsatz von um die 1,75 Millionen Euro ausgehen. "Wir können nicht mehr als zwei Reisemobile gleichzeitig aufbauen", sagt Kunzfeld.

Bei Protec wird auch Wert auf die gute alte Handarbeit gelegt - und das kostet entsprechend. Als "Manufaktur" will Kunzfeld die Firma deswegen verstanden wissen - auch wenn die große Halle, welche gerade in Andechs gebaut wird, im Gegensatz zu dem Weßlinger Standort eher Fabrik-Charakter ausstrahlt. "Fließbandarbeit gibt es bei uns nicht", sagt der Prokurist. Extrige und ausgefallene Wünsche für "individuellen Urlaub" sind so indes möglich: eine "Hundegarage" zum Beispiel oder ein von außen zugänglicher Kühlschrank für den stressfreien Griff nach dem Bier. Ganz zu schweigen von unterschiedlich konfigurierbaren Schubladen oder Stauraum für die Kaffeemaschine.

Innovative Unternehmen: Schreiner Wolfgang Zupfer schleift den Aufbau auf.

Schreiner Wolfgang Zupfer schleift den Aufbau auf.

(Foto: Arlet Ulfers)
Innovative Unternehmen: In der Graf-Rasso-Straße 11 in Andechs entsteht das neue Werk von Protec.

In der Graf-Rasso-Straße 11 in Andechs entsteht das neue Werk von Protec.

(Foto: Flo Hagena/Protec)

Anfangs war man sich in der Branche wohl noch nicht über das Potenzial der Technik bewusst, die Protec hier zu Verfügung stellt. Die Firma gibt es zwar schon seit 2002, aber erst mit der Slide-Out-Technologie für Wohnmobile gelang 2016 der Durchbruch. Davor hatte man sich unter anderem mal an Schiffsmotoren versucht - allerdings eher erfolglos.

2016 dann, auf der "Caravan Salon" in Düsseldorf, der weltweit größten Messe zum Thema Eigenheim auf vier Rädern, wurde man wohl zuerst belächelt. "Als unbekannte Firma Protec haben sie uns mit unserem Prototypen in Halle 12 geschickt. Da geht's bis 100 000 Euro." Man habe sich dann in die "richtige Halle" hocharbeiten müssen: Halle 5, wo auch "Concorde", "Mooveo" oder "Niesmann und Bischoff" ausstellen - die Big Player in der Branche. 2018 rollte dann das erste verkaufte Fahrzeug vom Hof in Weßling.

Fünf Jahre später ist das Geschäft so gut angelaufen, dass Weßling als Standort nicht mehr ausreicht. Ende 2023, spätestens aber Anfang 2024 soll nach Andechs umgezogen werden. Hier könnte man die Produktionskapazität verfünffachen. Nur ein Problem steht noch im Weg: Aktuell zählt Protec zehn Mitarbeiter, 25 bräuchte man für Andechs. Egal ob Schreiner, Elektroniker, Kfzler, Metallbauer, Lackierer oder auch nur Quereinsteiger. "Wir suchen aktuell wirklich händeringend nach Unterstützung", so Kunzfeld. Es hängt also noch an der Personalakquise. Und so macht es der Fachkräftemangel selbst der Branche schwer, die seit der Corona-Krise richtig Rückenwind hat.

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