Süddeutsche Zeitung

Experimenteller Wohnungsbau:Neue Nutzung fürs alte Schulhaus

Weßlings neue Grundschule soll nächstes Jahr eröffnet werden. Doch was wird dann aus dem alten Schulgebäude? Wohnraum, Kulturstätte oder Gemeinschaftsfläche - das Bayerische Bauministerium beteiligt sich finanziell an einer Machbarkeitsstudie.

Von Patrizia Steipe, Weßling

Zehn Projekte aus dem ganzen Freistaat hat das Bayerische Bauministerium für eine Förderung im Rahmen des "Experimentellen Wohnungsbaus" ausgewählt. Eines davon liegt in Weßling und trägt den sperrigen Titel: "Transformation des ortsbildprägenden, alten Schulhauses in Wohnungen im Verbund mit Kultur und Gemeinbedarf". Viel Zeit hat Florian Zarbo, Geschäftsführer des vor zwei Jahren gegründeten Weßlinger Kommunalunternehmens, auf die Bewerbung verwendet. Fünf Seiten sind es am Schluss geworden, und die Argumente haben das Ministerium offenbar überzeugt: "Wir sind bereits mit anderen Projekten bei der Regierung gut bekannt", sagt Zarbo. Deswegen habe er gewusst, welche Punkte gut ankommen würden. Das habe sicher beim Bewerbungsprozess geholfen. "Wir sind sehr stolz", freute sich auch Bürgermeister Michael Sturm. Dabei ist alles noch offen. "Es sind lediglich schön ausformulierte, gesammelte Visionen." Zum Beispiel die Idee, dass das Gebäude nicht kommerzialisiert, sondern quasi der Öffentlichkeit Räume zurückgegeben werden sollen - als Kultursaal, als Schulungsraum oder als bezahlbarer Wohnraum.

An das Vorhaben sind noch weitere Hoffnungen geknüpft: Flächen könnten entsiegelt und neue Mobilitätsformen etabliert werden, um den Verkehr zu entlasten. Schließlich liegt das Schulareal - fußläufig zur S-Bahn - zentral im Ort. Ob diese Träume realistisch sind, soll nun eine Machbarkeitsstudie zeigen. Diese muss europaweit ausgeschrieben werden und soll zunächst die Möglichkeiten aufzeigen, die das alte Weßlinger Schulhaus bietet. In einem weiteren Schritt soll dann in Bürgerworkshops und Gemeinderatssitzungen konkreter über eine zukünftige Nutzung diskutiert und letztlich entschieden werden.

Das Programm wurde aufgelegt, um Altbauten in moderner Form weiternutzen zu können

Der Zuschlag des Ministeriums hat vor allem finanzielle Folgen: Die Regierung wird 80 Prozent der Kosten für die Machbarkeitsstudie zur Nachnutzung des alten Weßlinger Schulgebäudes übernehmen sowie die Kosten für die Planung und Begleitung des europaweiten Architektenwettbewerbs. "Weiternutzen, Weiterentwickeln, Weiterbauen" heißt das Regierungsprogramm, das sich in den nächsten Jahren zum Ziel gesetzt hat, Bestandsgebäude moderner und klimagerechter zu machen sowie standortverträglich zu erweitern. "Modernisierte Altbauten können oft noch lange Jahre weitergenutzt werden und erhalten bezahlbaren Wohnraum und gewachsene Nachbarschaften", erklärt hierzu Bayerns Bauminister Christian Bernreiter in einer Pressemitteilung. "Hier wollen wir mit unserem Experimentellen Wohnungsbau ansetzen."

Bereits im nächsten Jahr soll die im Bau befindliche neue Grundschule am Sportplatz fertiggestellt sein, das alte Schulgebäude wird dann frei. "Fast jeder Weßlinger ist hier zur Schule gegangen", erklärt Zarbo, der auch Projektleiter des Grundschul-Neubaus ist. Das alte Gebäude hat einen emotionalen, einen ortsbildnerischen und einen funktionalen Wert. Und auch, wenn der Gemeinderat noch lange nicht entschieden hat, wie es am dortigen Standort weitergehen wird, sind sich doch alle einig: Das historische Gebäude soll erhalten bleiben - allein schon aus Gründen der Nachhaltigkeit. Angesichts von Rohstoffmangel, Lieferschwierigkeiten und der gestiegenen Kosten sei es mehr als sinnvoll, die "graue Energie" - also die Energie, die für die Errichtung des Gebäudes aufgewendet wurde - weiter zu nutzen, sagt Zarbo. Dabei könne er sich durchaus auch An- und Umbauten vorstellen: Das alte Schulhaus ist nicht denkmalgeschützt. "Es lohnt sich, Bestandsbauten mit der in ihnen enthaltenen, sogenannten grauen Energie zu nutzen und energetisch und heiztechnisch auf Vordermann zu bringen", erklärt Bernreiter.

Das entspricht durchaus den Vorgaben der Regierung: Mit dem Modellvorhaben sollen Bestandsgebäude fit für die Zukunft gemacht und ihr Potenzial für neuen Wohnraum genutzt werden. Energetische Optimierung, CO₂-Einsparung, die Verbesserung des Wohnumfeldes, nachhaltige Mobilität und soziale Belange sollen dabei berücksichtigt werden. Die Projekte sollen idealerweise innerhalb der nächsten fünf Jahre realisiert werden.

Neben der Weßlinger Grundschule wurden unter anderem in Ramersdorf das Projekt "Weiterbau zu einer klimaneutralen Wohnsiedlung," in Ingolstadt die Weiterentwicklung eines Wohngebiets aus den Fünfzigerjahren oder in Neu-Ulm der Weiterbau an der ehemaligen US-Siedlung in die Förderung aufgenommen. Die Modellprojekte des Experimentellen Wohnungsbaus setzen bereits seit mehr als 35 Jahren Wohnbau-Konzepte um. Sie sollen aufzeigen, was in wenigen Jahren Praxis sein könnte: Bis heute wurden für rund 160 realisierte Projekte mit etwa 6500 Wohneinheiten über 240 Millionen Euro Förderdarlehen und Zuschüsse gewährt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5701759
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/phaa
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.