Süddeutsche Zeitung

Werkstattbesuch:Einer der letzten Buchbinder

Das alte Handwerk galt bereits vor 30 Jahren als aussterbend. Viele haben seither zugesperrt, einige haben sich gehalten - wie Olaf Nie in Weßling, dessen Fähigkeiten auch Sammler zu schätzen wissen.

Von Carolin Fries

Nein, einem jungen Menschen würde Olaf Nie das Buchbinderhandwerk nicht empfehlen. "Denn die, die es wirklich werden wollen, machen es ohnehin." Und alle anderen sollten es nach Meinung des 58-Jährigen besser bleiben lassen. Olaf Nie, Handbuchbinder aus Weßling, ist selbst ein Überzeugungstäter. Bereits seiner Generation habe man abgeraten von diesem aussterbenden und brotlosen Handwerk, und Nie selbst musste mit den Jahren feststellen, dass der Beruf des Buchbinders infolge der sinkenden Nachfrage mehr und mehr verkümmerte. Das aber war für ihn kein Grund, sich in den Sarg zu legen und auf das Ende zu warten, wie er es ausdrückt. "Wenn die Zebras nicht mehr gefragt sind, muss ich den Zoo eben größer machen", so seine Devise.

Das Repertoire des Weßlinger Buchbinders ist enorm. Natürlich bindet er nach wie vor Bücher, aber er macht noch viel mehr. Nie gestaltet Bücher nach eigenen Ideen oder im Auftrag seiner Kunden aus nahezu allen Materialien. Leder, Pergament, Holz, Gewebe, Messing, Plexiglas. Das "Bongosok" von Monty Python hat er in einen Halbledereinband gepackt, den Deckel aus einem Plastikfußabstreifer geschnitten und darauf Plastikblüten aus einer Badehaube verteilt. Die von Picasso illustrierte Kurzgeschichtensammlung "Geschichten ohne Liebe" sind von ihm mit einem aufwendigen Franzband gefasst, was bedeutet, dass die Buchdeckel direkt an den Buchblock gearbeitet werden und dort auf Schnüre geheftet werden. Ein farblich gestaltetes Ledermosaik schmückt das Kunstwerk. Wer ein in dieser Art vollendetes Buch in einem ebenfalls in Handarbeit gefertigtem Schuber oder einer Kassette erwerben will - spezielle Bücher brauchen eine "Behausung" - muss dafür zwischen 2000 und 3000 Euro bezahlen. Zuviel Geld für ein Buch? "Ein Satz neuer Reifen für den Porsche kostet fast 4000 Euro", sagt Nie.

Doch die Arbeit mit Büchern macht nur mehr etwa die Hälfte seines Geschäftsbereiches aus: Olaf Nie tapeziert Möbel mit teuren Buntpapieren aus, er fertigt hochkomplexe Schachteln und Dosen aus Papier und Pappe, er repariert, säubert und rekonstruiert. Für Papst Benedikt XVI. hat er eine Ganzleder-Kassette für handgearbeitete Schuhe gefertigt, welche diesem im Vatikan überreicht wurden. Für die Evangelische Akademie Tutzing hat er neue Urkundenmappen zur Verleihung des Toleranzpreises gemacht. Olaf Nie unterrichtet privat sowie am Buchbinder-Colleg in Stuttgart und der Meisterschule in München. Für Werbeagenturen macht er Erstmuster und Kleinserien, er bindet die Zeitschriftensammlung des Rechtsanwalts ebenso wie die Facharbeit des Gymnasiasten oder die Lebenserinnerungen des Privatiers. Wer ein Passepartout braucht, ist bei ihm ebenso richtig wie das Musik-Antiquariat mit vergilbten Notensätzen oder das alte Mütterchen mit der zerfledderten Hausbibel.

Nies Spezialgebiet ist die Restauration. Ganz egal wie alt der Einband, wie verschlissen das Leder und abgenutzt die Beschläge auch sind - seine Hände scheinen die Spuren der Zeit und fehlender Fürsorge wegzuwischen. Dabei kommen kaum chemische Mittel zum Einsatz. "Ein Buch verträgt, was auch der menschlichen Haut bekommt." Sammler wissen Nies Fähigkeiten zu schätzen, sie bringen ihre Schätze von weit her in die Werkstatt am Weßlinger See. "Ich bin Dienstleister und versuche mit dem, was ich kann, Probleme zu lösen." Und Probleme gibt es viele. 45 Euro netto pro Stunde verlangt Nie für seine Arbeit.

Er hat sich im Souterrain seines Wohnhauses eine Werkstatt eingerichtet, wo er im Hintergrund gerne Jazzmusik hört. Es ist aufgeräumt, das Chaos im Kopf reiche ihm, sagt er. Abgesehen davon verlange sein Handwerk absolute Sauberkeit und Präzision. Alles hat hier unten seinen Platz: Es gibt ein Regal mit Geweberollen, Papierlager, diverse Schubladen mit Schriftsätzen für die Prägepressen, in einem Schrank hat er Einzelbuchstaben und sogenannte Fileten aus Messing für die Handvergoldung versammelt. Nie arbeitet alleine. 1990 hat er erfolgreich seine Meisterprüfung abgelegt und sich dann gleich in Widdersberg selbständig gemacht. Einen fähigen Gesellen geschweige denn Lehrlinge hat er nie gefunden, wie er erzählt. Das mag auch daran liegen, dass es kaum noch Nachwuchs in der Branche gibt.

Klaus Neumann, Obermeister der Buchbinder-Innung München-Oberbayern schätzt die Zahl der ausbildenden Betriebe in Bayern auf zehn. Einer davon ist seine Werkstatt in Pasing. Stellt sich bei ihm ein Lehrling vor, sagt er immer wieder den selben Satz. "Es ist ein wunderschöner Beruf, aber. . ." Von 48 auf aktuell 16 Betriebe ist die Zahl der Innungsmitglieder in Oberbayern in den vergangenen 20 Jahren geschrumpft, hinzu kommt eine Handvoll nicht gewerkschaftlich organisierter Buchbinder.

Gemessen am Rückgang der Druckereien sei er mit dem Bestand der Buchbinder ganz zufrieden, sagt Neumann. Natürlich habe man im Zeitalter der Digitalisierung zu kämpfen, doch noch sei für alle genug Arbeit da. Insofern habe sich die Branche "gesund geschrumpft".

Volkmar Leibl etwa gehört zum Schwund. Der Buchbinder hat seine Werkstatt in Planegg zum 21. Dezember vergangenen Jahres für immer geschlossen. Dabei ist Leibl erst 61 Jahre alt und bis auf ein "Fußballerknie" gesund, wie er sagt. Die Finanzgesetzgebung habe ihn zur Aufgabe gezwungen, erzählt er. Weil die Werkstatt - die ehemalige Schneiderei seiner Eltern - Teil seines Privatbesitzes ist, muss er den Finanzzugewinn durch die rasant steigenden Grundstückspreise mit Ausnahme eines geringen Freibetrags versteuern. "Ich hätte die kommenden Jahre wohl umsonst gearbeitet", sagt er. Leibl blickt stolz zurück auf das, was er geschaffen hat. Den Blick in die Zukunft des Buchbinderberufs wagt er nicht. Auch Obermeister Neumann tut sich schwer: "Wenn wir vor fünf Jahren zusammenkamen, hatten wir noch eine ungefähre Ahnung, wohin es geht." Inzwischen gebe es kaum noch Orientierung, geschweige denn Abgrenzung. Leibl sagt, Buchbinder, Druckereien und Copyshops böten inzwischen nahezu das gleiche Leistungsspektrum an. Der neue Trend: Klebetechniken für Fotobücher, die sowohl stabil sind als auch das gewünschte Aufschlagverhalten (Lay-Flat) bieten. Doch ist das die Zukunft?

Olaf Nie zieht seine Collagen aus dem Regal. Darin arrangiert er Zeitungsartikel, Annoncen, Bilder aus Magazinen und Illustrierten - schlicht alles Papierne - zu neuen Bildern. Anstatt zu grübeln widmet er sich seiner Kunst. Nie thematisiert den Klimawandel ebenso wie Trumps Politik oder gesellschaftliche Zustände. Das, sagt er, mache er am liebsten und zeigt auf die vielen Bilder im Regalfach. "Ich will die Dinge machen, die ich der Welt zu zeigen habe." Bei Nie ist es genau wie damals, als er sich für das Buchbinder-Handwerk entschied. Er war künstlerisch talentiert und konnte gut mit Papier umgehen. Nie hat seine Fähigkeiten genutzt, einen attraktiven Zoo des Buchbinder-Handwerks zu schaffen, der Besucher seiner Werkstatt staunen lässt.

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Quelle:
SZ vom 18.02.2019
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