Süddeutsche Zeitung

Werkschau:Freud und die Nonnen

Die Starnberger Ausstellungreihe "nah-fern" feiert das sommerliche Reisen und Heimkehren mit Gemälden von Jess Walter und nostalgischen Fotos von Raffaele Celentano

Von Katja Sebald, Starnberg

Mit einer durchaus wehmütigen Reminiszenz ans sommerliche "Fortsein" hat der Kunstherbst in der Schalterhalle des historischen Starnberger Bahnhofs am See begonnen. Der Titel der Reihe "nah - fern" erinnert ohnehin schon ans Reisen und Wiederkommen, die mit "fort - da" überschriebene aktuelle Ausstellung von Jess Walter und Raffaele Celentano scheint diese Idee noch einmal aufzugreifen.

Der 1959 geborene Jess Walter, der in München bei Gerd Dengler und Daniel Spoerri studierte, bezieht sich jedoch mit seiner gleichnamigen Bildserie "fort - da" auf Sigmund Freuds Abhandlung "Jenseits des Lustprinzips": Auf sechs großformatigen Leinwänden thematisiert er Wiederholung, Verfremdung, Verwandlung, Bewegung und Verschwinden, zugleich aber Fragen der Wahrnehmung und mögliche Perspektivenwechsel.

Die Kombination von grafischen Elementen mit gestischer Malerei kennzeichnet seit langem das Werk des Münchner Malers. In Starnberg zeigt er Arbeiten, bei denen er auf den weißen Bildgrund zunächst ein als Linoldruck umgesetztes Motiv aufstempelt, zuweilen einmalig wie den schwarzen Klappstuhl, zuweilen in gleichbleibenden oder variierenden Wiederholungen.

Ausgehend von der so begonnenen "Bildgeschichte" geht er anschließend unter Verwendung von Bootslack assoziativ vor: Mal wird aus den glänzenden Farbflecken die Schleimspur der "Schnecke", so der Bildtitel, die sich über die gesamte Leinwand ausbreitet. Mal stehen die Farbschlieren für erdachte, erträumte, erinnerte oder durch eine bestimmte Brille gesehene Welten. Auch der Vater der Psychoanalyse hat als "Doppel-Freud" einen Auftritt in einem der luftigen und doch hochexpressiven Bilder im Grenzland zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion, die leider in diesem Ausstellungsraum zu wenig Luft um sich haben.

Die großen freibleibenden weißen Flächen und der transparente Lack geben diesen Bildwelten die Anmutung von riesenhaften Aquarellen, der Lackglanz lässt sie frisch, wie eben erst entstanden, ja beinahe flüchtig erscheinen. Und nicht zuletzt lässt ihre leichthändige Farbigkeit noch einmal an sommerliches Meeresblaugrün, Mohnblütenrot und Sonnenblumengelb denken.

Der rückwärtige Teil des Raums ist mit einer leicht schräg aufragenden Stellwand verbaut, auf der die etwas ungünstig von unten beleuchteten und eher kleinformatigen Schwarzweißfotografien von Raffaele Celentano arrangiert sind. Der 1962 in Süditalien geborene Celentano lebt seit vielen Jahren in München und vertreibt seine Bilder in einer eigenen Galerie. Im Bahnhof Starnberg zeigt der Fotograf eine kleine Auswahl aus einer Serie, für die er seine Landsleute porträtiert.

Einige der Motive sind so alt, dass man sie wohl heute auch im italienischen Süden so nicht mehr finden könnte: An einem Marktstand in Neapel etwa sind die Preise noch in Lire angeschrieben. Andere Bilder zeigen Italien geradezu klischeehaft so, wie es als südliches Sehnsuchtsland ins kollektive Gedächtnis aller Urlauber von nördlich der Alpen eingeschrieben ist, und wieder andere stellen kleine kuriose Szenen am Rande des Alltags dar.

Da ist zum Beispiel die kleine Nonne, die mit energisch erhobenem Zeigefinger auf zwei junge Polizisten einredet, die neben ihr beinahe hünenhaft groß wirken. Da ist die alte Dame, die im zersprungenen Spiegel eines ausrangierten und am Straßenrand abgestellten Schrankes ihre Frisur kontrolliert. Da sind die jungen Leute, die lachend einen alten Fiat 500 anschieben. Da sind die ausgemergelten und zahnlosen alten Männer, die vor der Kulisse einer spektakulären Illusionsarchitektur um einen Tisch sitzen und mit verkniffenem Gesicht Karten spielen.

Und da sind schließlich noch die Klosterschwestern, die eine Kinderschaukel in einen Olivenbaum gehängt haben und sich gegenseitig anschubsen - auch sie haben keinen Blick übrig für das Meer und die Küstenszenerie im Hintergrund.

"Nostalgia caprese" hingegen heißt ein Foto, das eine Frau im geblümten Kleid auf einem Felsen mit Blick auf das Meer zeigt und wie ein fotografisches Zitat der Rückenfigur in der Malerei der Romantik erscheint. Tatsächlich liegen in diesen Bildern Atmosphäre und Kitsch nah beieinander.

Die Ausstellung "fort - da" des Münchner Malers Jess Walter und des italienischen Fotografen Raffaele Celentano ist noch bis zum Sonntag, 8. Oktober, in der von den Künstlerinnen Katharina Kreye, Ulrike Prusseit und Ursula Steglich-Schaupp kuratierten Reihe "Nah-fern" im Starnberger Seebahnhof zu sehen. Die Öffnungszeiten: jeweils freitags in der Zeit von 16 bis 18 Uhr sowie samstags und sonntags von 14 bis 18 Uhr.

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Quelle:
SZ vom 19.09.2017
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