Landwirtschaft:Endlich wieder raus!

Landwirtschaft: Endlich raus auf die grüne Wiese!

Endlich raus auf die grüne Wiese!

(Foto: Nila Thiel)

Nach der langen Winterpause dürfen Kühe wieder aus dem Stall und auf die grüne Wiese. Warum entscheiden sich Bauern für den Weideaustrieb, obwohl es mehr Arbeitsaufwand bedeutet?

Von Léonardo Kahn, Starnberg

Kaum ist der Zaun geöffnet, schon quetschen sich die Rinder raus aus dem Stall und rauf auf die Weide. Helga ist in der Spitze der Truppe, nimmt Anlauf und saust mit ihren 600-Kilo-Eigengewicht durch die Luft. Sie schwingt ihren Kopf nach hinten und ihr Euter schlackert, man könnte glauben, dass nach so einem Weideaustrieb die Milch schäumt. Die Kühe freuen sich, daran besteht kein Zweifel.

"Das gehört zum Beruf"

"Unserer Seele tut das auch gut, wenn die sich freuen", sagt Bauer Andreas Erhard und schaut dabei mit seinen buschigen Augenbrauen über die Weide. Er ist stolz. Das Feld ist vom vielen Löwenzahn gelb gepunktet und das satte Grün verrät, wie regenreich der April war. Hastig reißen die Kühe die zarten Blumen- und Grasstängel mit der Zunge ab, ein Büschel nach dem anderen, und bekommen nicht genug davon. Der Sommer naht, auch für das Vieh.

Landwirtschaft: Kuh Helga hat sich ganz nach vorne gedrängelt und springt als erste auf die Weide.

Kuh Helga hat sich ganz nach vorne gedrängelt und springt als erste auf die Weide.

(Foto: Nila Thiel)

Die Familie Erhard betreibt seit 2009 einen Bio-Hof. Aber auch in den Jahren zuvor, als sie noch konventionelle Bauern waren, haben sie das Vieh schon auf die Weide getrieben. "Das gehört zum Beruf", sagt Andreas Erhard. Er mache das zugunsten der Tiere. "Das ist wie wenn man krank im Bett liegt und nicht raus kann, das macht einen ja auch traurig. Es ist viel schöner, an der frischen Luft zu spazieren", so der Familienvater.

"Meine Kollegen denken schon, wir hätten sie nicht mehr alle"

In der Gemeinde Pöcking ist die Familie Erhard unter den Landwirten die einzige, die ihre Kühe auf die Weide lässt. "Meine Kollegen denken schon, wir hätten sie nicht mehr alle", sagt der Landwirt und lacht. Denn der Weideaustrieb bedeutet auch viel Arbeit - zu viel Arbeit, wenn es nach dem Großteil der konventionellen Viehzüchtern geht. Dabei hat die Tradition durchaus ihre Vorteile.

Davon ist auch der Starnberger Bauern-Kreisobmann Georg Holzer überzeugt. Als konventioneller Landwirt treibt er seine Milchkühe zwar nicht auf die Wiese, aber die Jungtiere schon. "Das stärkt ihre Vitalität", sagt der Diemendorfer. Einerseits sei das für die Entwicklung des Immunsystems der Jungtiere unentbehrlich und außerdem putzen die Grashalme die Klauen der Kälber, was Krankheiten vorbeuge. Daher gibt es auch einige konventionelle Landwirte, die ihre Tiere auf die Weide treiben, wie zum Beispiel die Bauern-Familien Käß und Grenzebach in Aschering.

Tierärzte raten zum Weidebetrieb

Aufgrund der vielen gesundheitlichen Vorteile raten auch Tierärzte wie Rupert Ebner den Bauern, ihr Vieh aufs Grüne zu lassen. "Die Medizin liegt auf der Wiese", betont Rupert Ebner, der auch lange Vizepräsident der Bayerischen Landestierärztekammer war. Die Wiesenkräuter enthalten wichtige Mineralien, ätherische Öle und Vitamine wie Beta-Karotin, wobei letztere die Fruchtbarkeit der Tiere steigere, so der Arzt. Und er plädiert damit durchaus gegen sein Eigeninteresse, denn an gesunden Kühen verdiene ein Veterinär deutlich schlechter.

Der Ingolstädter Arzt betont auch, dass die Rinder auf der Wiese weniger Stress haben: "Die dominante Leitkuh kann die anderen nicht in die Ecke drängen. Es gibt ja keine Ecken! Jede Kuh hat soviel Platz, wie sie braucht." Kühe werden in Ställen auch schnell dreckig und können nur schwer gereinigt werden. Wenn die Kühe aber raus auf die Weide kommen, genügen drei Regenschauer, um den ganzen Schmutz und Kot abzuspülen. Die Kühe sehen danach "wie gelackt" aus, so Ebner. Der Weideaustrieb sei eine "irre Regeneration" für die Tiere.

Warum treiben nicht alle Bauern ihre Tiere auf die Weide?

Ein Problem, auf das auch der Kreisobmann Georg Holzer hinweist, ist, dass die Tiere von der Weide nicht zum Melkroboter kommen. "Die Tiere brauchen eine streng getaktete Routine, damit sie pünktlich vom Roboter gemolken werden können", erklärt Holzer. Der Veterinär Ebner geht sogar soweit und sagt: "Weidehaltung und Melkroboter sind zwei sich gegenseitig ausschließende Systeme."

Die Weiden sind oft mehrere Kilometer vom Bauernhof entfernt, die Kühe können also nicht einfach fünf Mal täglich zwischen Melkroboter und Weide pendeln. Wer im Auto mal einer Horde Kühe auf der Landstraße begegnet ist, weiß, dass sie sich für den Ausflug gerne Zeit nehmen und etwas trödeln. Daher müssen die Weiden entweder in der Nähe des Stalls liegen oder der Bauer braucht einen mobilen Melkroboter, den er auf der Weide aufbauen kann. Der kostet jedoch inklusive Zubehör bis zu einer Viertelmillion Euro.

Aufgrund der logistischen Probleme scheitern auch immer wieder Bauern daran, zur Weidenhaltung zu wechseln. Seit Jahren diskutieren Bioverbände, ob und wann sie eine Weidepflicht einführen. Denn bis heute verpflichtet auch Bio-Bauern kein Gesetz, ihre Tiere aufs Land zu treiben. Grünfutter im Sommer und genug Auslauf im Stall genügt in manchen Fällen für ein Bio-Zertifikat. Das wollen die Bioverbände jetzt ändern und Prognosen zufolge könnte die Weidepflicht für Bio-Landwirte 2025 kommen. Aktuell laufen aber immer noch die Verhandlungen, erzählt die Marketingleitung der Molkerei Andechser der SZ.

"Eine Frage der Lebenseinstellung"

Die diversen Bio-Siegel legen ihre Regeln daher immer noch individuell fest. Die Andechser Molkerei Scheitz, zu der auch die Bauernfamilie Erhard ihre Milch liefert, subventioniert ihre Landwirte mit einer Weideprämie. Die wird als Zuschlag zum Bio-Milchpreis bezahlt und liegt bei einem Cent pro Kilo Milch. Die Familie Erhard aus Pöcking sagt daher auch, dass sich niemand des Geldes wegen für die Weidenhaltung entscheidet. "Es ist eine Frage der Lebenseinstellung", so Andreas Erhard.

Sie sind stolz darauf, die Tradition über Generationen beibehalten zu haben. Die 23-jährige Verena hat ihren Eltern sogar versprochen, dass sie diese auch fortsetzen wird. Die jüngste von vier Töchtern der Erhards wird den Familienbetrieb übernehmen, weswegen ihre Mutter sie liebevoll "unsere Zukunft" nennt, während sie ihr über Kopf und Schulter streichelt.

Landwirtschaft: Verena Erhard, die jüngste von vier Töchtern, will den Hof ihrer Eltern übernehmen.

Verena Erhard, die jüngste von vier Töchtern, will den Hof ihrer Eltern übernehmen.

(Foto: Nila Thiel)

Verena Erhard will die Zucht modernisieren, sie hat Pferde- und Landwirtschaft in Österreich studiert und plant, das Gelernte jetzt im Hof anzuwenden. Ihre Arbeitsphilosophie unterscheidet sich nur in "Kleinigkeiten" von der ihres Vaters, zum Beispiel will sie die Fütterung umstellen und etwas weniger Kühe und dafür mehr Pferde haben. Doch den Weidenaustrieb will sie unbedingt beibehalten. "Es ist einfach wunderschön, den Kühen beim Springen zuzuschauen", sagt die junge Landwirtin. Und so geht es vielen Jungbauern, mit denen Verena Erhard zusammen studiert hat. Artgerechte Tierhaltung sei nun mal die Zukunft der Landwirtschaft, davon ist die Nachwuchsbäuerin überzeugt.

Doch gute Absichten werden nicht ausreichen, meint der Veterinär Rupert Ebner. Laut ihm gehört die Flächenprämie abgeschafft. Stattdessen sollte eine Strukturprämie eingeführt werden, die die Landwirte finanziell unterstützt, wenn sie benachbarte Weiden aufkaufen müssen, fordert der Veterinär. "Die Politik muss begreifen, dass die gesamte Gesellschaft von der Weidehaltung profitieren wird."

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