Unterwegs mit dem Andechser Revierförster:Der Klimawandel bedroht den Wald doppelt

Weil Stürme, Dürre und Schädlinge den Fichten jetzt schon zu schaffen machen, pflanzen Besitzer zunehmend Laubbäume. Doch die wachsen so langsam, dass sie den Wettlauf gegen die Erderwärmung in Zukunft verlieren könnten.

Von Armin Greune

Luitpold Schneider steht an einem Waldrand, der vor zwei Jahren noch keiner war. Nun aber hat er einen unverstellten Blick auf die Justizvollzugsanstalt Rothenfeld, weil ein denkwürdiger Sturm am 18. August 2017 auf rund drei Hektar Fläche die alten Fichten abräumte: "Es war ein lokal begrenztes Ereignis, der Wind griff plötzlich von Norden an, was nur sehr selten vorkommt", sagt der Andechser Revierförster. Der ungewohnten Hebelrichtung hatten die Bäume wenig entgegenzusetzen. Ihre Wurzelsysteme hatten sich so entwickelt, dass sie den weit häufigeren Westwinden standhalten. Die Folge waren 1500 Festmeter kaum zu vermarktendes Schadholz, plus eine kostspielige Wiederaufforstung. Mit ihr versucht Schneider in instabilen Zeiten, einen stabilen Mischwald für künftige Generationen zu hinterlassen.

Die Gefahr ist groß, dass die Klimaerwärmung den notwendigen Umbau unserer Wälder überholt: Schließlich dauert die sogenannte Umtriebszeit vom Sämling bis zur Fällung der ausgewachsenen Bäume 80 Jahre und mehr. Für Buchen rechnen Förster mit mindestens 120, für Eichen sogar mit mehr als 160 Jahren bis zur Abholzung der Bestände, die dann endlich im Sägewerk Gewinn verspricht. Aber schon bis zum Jahr 2100 soll Prognosen zufolge die mittlere Jahrestemperatur im Fünfseenland um ganze vier Grad angestiegen sein.

Der gefährlichste Feind der Bäume profitiert von steigenden Temperaturen - der Borkenkäfer

Dabei wirkt sich auch dort der Klimawandel bereits jetzt direkt und indirekt auf die Wälder aus: Weil sich extreme Wetterereignisse häufen, fallen immer mehr Bäume Stürmen und hoher Schneelast zum Opfer. Längere und häufigere Trockenperioden schwächen vor allem die bislang vorherrschenden Fichten, die auf gute Wasserversorgung angewiesen sind und nun leichter von Schädlingen befallen werden können. Der gefährlichste Feind wiederum profitiert von den steigenden Temperaturen: 2016 bis 2018 konnte der Borkenkäfer jeweils drei Generationen ausbilden. Heuer droht noch mehr als in den Vorjahren eine Kalamität: Wenn sich vier Käfergenerationen entwickeln sollten, müssten die Waldbesitzer massive Verluste befürchten.

Im "Spornritt" zwischen Rothenfeld und Machtlfing teilen sich etwa 70 Haushalte, sogenannte Rechtler, den Holzertrag. Zwar ist der Wald Eigentum der Gemeinde Andechs, doch die Nutzungsrechte sind seit 1853 an "Haus und Herd" von Privatpersonen vergeben und werden weiter vererbt. "Dennoch ist die Gemeinde zu einer vorbildlichen Bewirtschaftung verpflichtet", sagt Schneider. Auf der abgezäunten Wiederaufforstungsfläche hat er deshalb 2500 Buchen, 1375 Eichen, je 275 Linden und Lärchen, 200 Douglasien, je 100 Tannen und Elsbeeren sowie eine ganze Reihe weiterer Baum- und Straucharten pflanzen lassen. Auf Teilflächen, wo sich Buchen und Fichten schon vor dem Sturm ausgesamt hatten, hat sich der Wald auch natürlich verjüngt.

Starnberg: Forstrevier von Förster Luitpold Schneider und seiner Dackeldame Nelly

Im "Spornritt" zwischen Rothenfeld und Machtlfing teilen sich etwa 70 Familien die Holzrechte. Mitten im Fichtenreinbestand wurde um eine mächtige Buche Platz für deren Nachwuchs geschaffen: Wenn aus den Eckern neue Bäumchen heranwachsen, sprechen Förster von "Naturverjüngung".

(Foto: Nila Thiel)

Die Waldeigentümer können für den Kauf der Pflanzen einen Zuschuss von einem Euro pro Stück in Anspruch nehmen. Dennoch kommt sie die Wiederaufforstung teuer zu stehen, Aufzucht und Pflege der jungen Mischbestände erfordern viel Aufwand. Hauptkostenfaktor ist dabei der Schutz gegen Wildverbiss mit Zäunen oder Wuchshüllen: Das sind Kunststoffröhren, die das Laubbäumchen völlig ummanteln und so nicht nur Gebiss und Gehörn der Rehe abhalten, sondern auch ein wuchsförderndes Mikroklima erzeugen. Aber eine Hülle kostet mehr als das Pflänzchen, das sie umgibt; sie ist nicht wiederverwendbar, muss also wieder abmontiert und gebührenpflichtig entsorgt werden.

Den Pflanzplan hat Schneider freilich kostenlos erstellt. Er ist für die Beratung der Privat- und Körperschaftswälder ohne eigenes Personal in den Gemeinden Andechs, Herrsching, Feldafing, Tutzing, Bernried, Pähl, Raisting, und Wielenbach zuständig. Die Forste in diesem etwa 35 Quadratkilometer großen Areal teilen sich nicht weniger als 4000 Eigentümer. Unter ihnen sind viele Landwirte, deren Familien "ihr Holz" seit Generationen als Sparkasse ansehen - aber auch immer mehr "urbane Waldbesitzer", die ihre Bäume so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Und genau so unterschiedlich wie ihre Interessen ist die Bereitschaft, sich durch einen rechtzeitigen Umbau der Wälder auf die Klimaerwärmung einzustellen. Der Eigentümer, der nun sogar Esskastanien in seinen Wald gepflanzt hat, sei in seinem Revier freilich noch eine Ausnahme, erzählt Schneider.

Mit dem Klimawandel gewinnt vor allem die wärmeliebende Eiche an Bedeutung für die Forstwirtschaft: Dank tiefer Pfahlwurzeln ist sie gegen Trockenheit abgehärtet. "Leider haben wir im Fünfseenland keine Eichentradition wie etwa im Spessart oder Steigerwald" sagt Schneider. Diese Baumart habe für die Artenvielfalt den höchsten Stellenwert: Allein in der rissigen Rinde finden mehrere hundert Arten von Kleinlebewesen Lebensraum. Eichenholz ist begehrt, doch die lange Umtriebszeit und die arbeitsintensive Pflege der Jungbestände machen den wirtschaftlichen Vorteil wieder zunichte. Trotzdem ist die Eiche künftig bei Aufforstungen für Freiflächen Schneiders erste Wahl: Der Nordrand des Spornritts ist der erste Bereich, wo er dieses Ziel umsetzen konnte.

Die Fichte ist mit ihren flachen Wurzeln anfällig für Sturm

Doch noch immer ist jeder zweite Baum im Fünfseenland eine Fichte. Als Flachwurzler ist sie auf lehmigen und kiesreichen Böden anfällig gegen Windwurf. Zudem sind in diesem Winter wie etwa im Bereich von Traubing viele Fichten unter der Last von nassem Schnee zusammengebrochen. Nur ein paar hundert Meter tiefer im Wald kann Schneider abgestorbene Einzelbäume und kleine Gruppen von toten Fichten zeigen, die vom Borkenkäfer befallen sind: "Er hat im liegenden Holz überall massenhaft überwintert, jetzt finden wir den ersten Stehendbefall." Auch wenn die Kälte zu den Eisheiligen den Schwärmflug unterbrochen hat, fürchtet der Förster im Spätsommer eine verheerende Massenvermehrung: "Der Käfer hat drei Jahre hintereinander optimale Bedingungen vorgefunden. Wenn wir es nicht schaffen, die befallenen Bäume rechtzeitig aus dem Wald zu ziehen, droht eine Katastrophe."

Starnberg: Forstrevier von Förster Luitpold Schneider und seiner Dackeldame Nelly

Revierförster Luitpold Schneider (im Bild mit Dackel Nelly) vor den Fichten, die ein außergewöhnlicher Sturm bei Rothenfeld gefällt hat.

(Foto: Nila Thiel)

In wirtschaftlicher Hinsicht ist sie für die Waldbesitzer schon eingetreten: Der Preis für frisches Fichtenholz der besten Sortimente ist seit Anfang 2018 von 90 auf 60 Euro pro Festmeter gefallen, für vom Käfer befallene Stämme berechnen Sägewerke auch noch bis zu 30 Euro Abschlag. Bei Erntekosten von 20 bis 25 Euro pro Festmeter bleibt da so gut wie nichts mehr übrig: "Einen regulären Holzeinschlag macht da keiner mehr", sagt Schneider. Und doch plädiert er dafür, die Fichte dort zu erhalten, wo sie noch ausreichend Wasser im Boden findet: "Sie bleibt unsere wichtigste Wirtschaftsbaumart."

Nur die nahe verwandte Tanne komme auf dem Holzmarkt als Alternative in Betracht. Ein Prachtexemplar wurzelt etwas weiter direkt am Weg, östlich davon hat Schneider ein Waldstück dicht einzäunen lassen. Dort wachsen die Sämlinge der Tanne einigermaßen sicher heran, außer Reichweite der Rehe: "Für sie sind Tannentriebe wie für viele von uns Pralinen - unwiderstehlich." Den Verbiss ganz auszuschließen, sei "quasi unmöglich", meint Schneider, dies sei in seinem Revier nur einem von 42 Jagdpächtern gelungen. Aber alle seien verpflichtet, den Wildbestand so zu reduzieren, dass sich der Wald natürlich verjüngen kann: "Es gelingt mir ganz gut, mit den Jägern einen Konsens zu erreichen", sie gingen dann dort verstärkt auf die Pirsch, wo der Wald gerade aufwächst.

Selbst in Wuchshüllen oder hinter Zäunen sind die beim Wild begehrten Tannen, Lärchen und Laubbäume nicht völlig sicher. Zurück am neuen Waldrand entdeckt der Förster in der umzäunten Pflanzung ein verbissenes Bäumchen: An der jungen Buche hatte ein Hase genagt. Schneider schaut auf die vormalige Windwurffläche: "Der Umbau der Wälder läuft gerade nur dort, wo zuvor Schadereignisse stattgefunden haben." Während man sich im Staats- und Kommunalwahl seit einigen Jahren bemüht, in Fichtenbeständen junge Buchen und Tannen unter dem Schirm der Altbäume heranzuziehen, läuft in den Privatwäldern die Forstwirtschaft der Klimaerwärmung vorerst noch oft hinterher.

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