Vor 100 Jahren:Als Starnberg rot wurde

Die Revolution fasste in der Kreisstadt nur zögerlich Fuß und fand ein blutiges Ende. Das Museum Starnberger See zeigt eine Ausstellung über die unruhigen Zeiten im Jahr 1918.

Von Armin Greune

Es hat ziemlich lange gedauert, bis die deutsche November-Revolution auch das beschauliche Starnberg erreichte. Vom "Roten Terror", wie der Land- und Seebote am Tag nach der "Befreiung" titelte, war dort wenig zu spüren. Doch das blutige Ende der republikanischen und sozialistischen Umtriebe im Städtchen ging in die Annalen ein: Am 29. April ermordeten reaktionäre weiße Truppen mindestens 27 sogenannte Spartakisten. Der größte Teil davon wurde auf der Bleicher-Wiese in der Nähe des heutigen Gymnasiums standrechtlich erschossen, weil sie angeblich Waffen bei sich führten. Ob die überwiegend aus München stammenden Revolutionäre tatsächlich noch bewaffnet waren, muss allerdings aus heutiger Sicht bezweifelt werden. Auf jeden Fall gehörten ein Sanitäter und eine unbeteiligte Frau zu den Opfern: Die Malerin Sofie Banzer wurde am 30. April an ihrem Anwesen durch einen Bauchschuss tödlich verwundet. Ihr seelisch gebrochener Mann, Professor Olaf Banzer, stellte einige Gedenktafeln auf; darunter ein Sühnekreuz, das noch heute an der Wildmoosstraße zwischen Wangen und Leutstetten steht.

An Sophie Banzer erinnert auch eine Vitrine in der kleinen Ausstellung im Museum Starnberger See, die am Freitag eröffnet wurde und bis 14. Juli zu sehen ist. Kuratorin Sibylle Küttner hat in einem Raum eine Reihe von Exponaten versammelt, die über die lokalen Vorkommnisse nach der Gründung des bayrischen Freistaats Auskunft geben. Tagebücher, Briefe, Rechnungen, Flugblätter, Plakate und Fotos dokumentieren die "rote Herrschaft", die in Starnberg freilich allenfalls zartrosa gefärbt war.

Starnberg Museum, Ausstellung

Das Bild zeigt die Vorhut der reaktionären Weißen Truppen am 29. April 1919 auf Höhe des Museums.

(Foto: Georgine Treybal)

Nachdem Kurt Eisner in München am 7. November 1918 die Republik ausgerufen hatte, blieb es im damals 10 000 Einwohner zählenden Kurort erst einmal ruhig. Am 21. November berief der Bürgermeister, der Kaufmann Jakob Tresch, auf Geheiß aus München einen Bürger- und Arbeiterrat ein. Unter Vorsitz des Kunsthistorikers und Museumsgründers Richard Paulus stellten die Bürgerlichen die Mehrheit. Der Rat arbeitete fortan brav mit Behörden und Magistrat zusammen. Vorrangiges Problem war die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und Wohnraum - aber auch die neuen sozialen Errungenschaften wie demokratisch gewählte Gremien und der Achtstundentag mussten eingeführt oder verteidigt werden.

Als sich nach der Ermordung von Ministerpräsident Kurt Eisner am 21. Februar die politische Lage überall in Bayern zuspitzte, wurde am 7. April schließlich auch in Starnberg die Räterepublik ausgerufen. Den Vorsitz übernahm der 26-jährige Jurist Karl Schleussinger, ein gemäßigter Sozialdemokrat, sein Genosse Arthur Mayer übernahm Treschs Bürgermeisteramt. Die Behördenleiter behielten ihre Posten, nachdem sie sich zur Republik bekannt hatten. Die neue Ära wurde wertkonservativ mit den Kirchenglocken eingeläutet. Als sofortige Maßnahme benannte man die Kaiser-Wilhelm- in Kurt-Eisner-Straße um und senkte den Preis für Rindfleisch. Weil die Starnberger Genossen bei der Umsetzung der Diktatur des Proletariats nur zögerlich vorgingen, marschierten am 17. April "Münchner Matrosen" unter Führung des bayerischen KPD-Sekretärs Hans Kain ein. Sie beschlagnahmten Zimmer im Hotel "Bayrischer Hof", richteten dort eine Maschinengewehr-Stellung ein, um den Bahnhof zu kontrollieren, und drei Geiseln wurden ein paar Tage lang ins Stadtgefängnis gesteckt.

Starnberg Museum, Ausstellung

Kuratorin Sibylle Küttner konnte für ihre Ausstellung „Revolution in der Provinz – Starnberg im November 1918“ einige zeitgenössische Fotografien auftreiben.

(Foto: Georgine Treybal)

Doch bei den Wahlen eines neuen Arbeiterrats zogen Kain und die Seinen den Kürzeren: Schleussinger blieb Vorsitzender und hatte nun auch die Beamten hinter sich, die den Kommunismus fürchteten, wie der Teufel das Weihwasser. Er stellte eine Arbeiterwehr zum Schutz der Republik auf und begann mit Enteignungen: Bei den Reichen wurden Lebensmittel beschlagnahmt, die dann an hungernde Arme verteilt wurden. Guts- und Villenbesitzer beklagten, dass auch ihre Weinvorräte konfisziert wurden - Schleussinger antwortete, das seien eben wie Obstkonserven "Waren des täglichen Bedarfs, die leeren Konservengläser werden selbstverständlich den Eigentümern zurückgegeben". Aber auch Zigarren wurden beschlagnahmt, wie drei Kisten neben einer Weinflasche in der Starnberger Ausstellung beweisen. Andere revolutionäre Verwaltungsakte waren eher symbolischer Natur: Nach Königen benannte Dampfer und Hotels wurden umgetauft. Vermutlich verdankt es Starnberg Schleussingers klugem Balanceakt zwischen revolutionären Forderungen und den mit rechten Freikorps-Milizen verstärkten, "weißen" Regierungstruppen, dass die Stadt vom größten Chaos und Zerstörungen verschont blieb.

Am 20. April begann die Rote Armee, einen Plan zur Verteidigung Münchens auszuarbeiten. Auch in Berg, Schäftlarn, Niederpöcking und Pöcking richteten die Revolutionäre Abteilungen mit zehn bis dreißig Mann ein. Doch dem Vormarsch der zahlenmäßig weit überlegenen Weißen hatten sie wenig bis nichts entgegenzusetzen; Schleussinger befahl ihnen, die Waffen niederzulegen. Am 29. April rückten die reaktionären Württemberger Truppen mit 2000 Mann aus Tutzing kommend in Starnberg ein - ohne dass zunächst ein Schuss fiel. Auch Schleussinger sollte erst wie einer der Arbeiterräte erschossen werden, kam aber mit dem Leben davon. Im Juni 1919 wurde er zu zwei Jahren Festungshaft verurteilt.

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