Süddeutsche Zeitung

 Verkehr in Gauting:Tempo 30 für mehr Lebensqualität

Die Anwohner der Gautinger Straße in Stockdorf leiden immer mehr unter dem Verkehrslärm. Sie fordern eine Geschwindigkeits­begrenzung - und ergreifen Eigeninitiative

Von Michael Berzl, Gauting

Der Sommer kommt, wer einen Garten oder eine Terrasse hat, sitzt gerne draußen, genießt die Sonne und die frische Luft. Nicht so Michael Pache und Renate Heyl. Sie wohnen an der Ortsdurchfahrt von Stockdorf direkt gegenüber einer gut frequentierten Edeka-Filiale. "Das ist kein Vergnügen", sagt der 70-Jährige. Seinen Balkon wird er jetzt zubauen lassen, mit Lärmschutzglas, das mit einer speziellen Folie beschichtet ist. "Das kostet ein Schweinegeld", sagt der Stockdorfer bei einem Treffen mit ebenfalls lärmgeplagten Nachbarn. Etwa 40 000 Euro müsse er investieren. Doch das ist es ihm wert. Zu laut ist in den vergangenen Jahren die stete Geräuschkulisse durch Autos und Motorräder geworden. Pache und Heyl wohnen nun schon seit 30 Jahren hier, doch so schlimm war es noch nie. Sie und einige weitere Anwohner würden das Tempo auf der Straße gerne drosseln, um die Lärmbelastung zu verringern. Sie fordern eine Geschwindigkeitsbeschränkung.

"Man kann sich manchmal draußen nicht mehr unterhalten", schildert Anwohnerin Vera Nicolaus die Situation. Und sie hat selbst beobachtet, wie gefährlich der Verkehr dort mittlerweile geworden ist. Zweimal habe sie Unfälle mit Verletzten gesehen. Und sie berichtet von "unzähligen Igeln und Katzen, die hier schon überfahren wurden".

Die Stockdorfer, die gegenüber der Einfahrt zu dem vor fast elf Jahren eröffneten Supermarkt wohnen, leiden zusätzlich noch unter einem speziellen Effekt. Beim Einbiegen vom Parkplatz auf die Straße müssen die Autofahrer oft eine Lücke in der Fahrzeugkolonne nutzen und beschleunigen daher besonders stark, um sich in den fließenden Verkehr einzureihen. Und am Wochenende brettern auf dem Weg in Richtung Starnberg die Motorräder vorbei.

Unter der Woche lassen Pache und seine Frau seit ein paar Jahren nachts die Fenster geschlossen, weil sie sonst morgens um sechs Uhr vom Motorenlärm der Lastwagen geweckt würden, die frische Ware liefern. Die Lärmbelastung sei für die Anwohner mittlerweile unerträglich geworden, klagt er. Auch der Feinstaub mache sich bemerkbar. Wenn er das Geländer am Balkon abwische, sei der Lappen schwarz.

Die SPD hat sich der Probleme mit dem Verkehr in Stockdorf angenommen; auf einen Antrag der Fraktion hin befasst sich der Verkehrsausschuss des Gautinger Gemeinderats an diesem Dienstag mit dem Thema. SPD-Gemeinderätin Carola Wenzel fordert eine Lärmmessung an der Gautinger Straße. Diese erneute Messung sieht sie als ersten Schritt, um dort ein Limit von Tempo 30 durchzusetzen. Pache und weitere lärmgeplagte Anwohner erhoffen sich von einer Geschwindigkeitsreduzierung eine Verbesserung der Situation. Wenn der Verkehrsstrom auf der Straße verlangsamt würde, müssten Autofahrer, die vom Supermarktparkplatz einbiegen wollen, nicht mehr so stark Gas geben, hofft er. Zählungen des Planegger Verkehrsplaners Christian Fahnberg hatten ergeben, dass pro Tag immerhin etwa 1000 Kunden mit dem Auto auf das Gelände und wieder hinaus fahren. Insgesamt 127 Stellplätze gibt es auf dem großen Parkplatz; auch das ist ein Grund, warum der Supermarkt so beliebt ist und auch Kunden aus Gauting anlockt.

Unterstützt fühlen sich die lärmgeplagten Anwohner durch Aussagen von Gutachtern. In einer Grafik haben sie Straßen rot markiert, wo sie Tempo 30 empfehlen. Das wären innerorts alle großen Durchgangsstraßen; Starnberger Straße und Bahnhofstraße, Ammerseestraße und eben auch die Gautinger Straße in Stockdorf. So ist es im Lärmaktionsplan mit gut 100 Seiten nachzulesen, der vor fünf Jahren vorgelegt wurde. Eine Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit dort "wäre aus lärmtechnischer Sicht zu begrüßen", schreiben die Gutachter. Bisher gilt schon fast flächendeckend Tempo 30 in den Wohngebieten in der Gemeinde Gauting, nicht aber auf den Durchgangsstraßen.

Bei einer Staatsstraße wie der Ortsdurchfahrt von Stockdorf seien die Hürden für Geschwindigkeitsbeschränkungen besonders hoch, erklärt Landratsamtssprecher Stefan Diebl. Gründe könnten beispielsweise schutzbedürftige Einrichtungen wie Kindergärten und Schulen sein. Aber auch Lärm könnte eine Rolle spielen. Dazu müsste aber die Gemeinde ein Lärmgutachten vorlegen und beim Landratsamt Tempo 30 beantragen.

Dass es durchaus möglich ist, die Geschwindigkeit auf Staatsstraßen zu bremsen, ist nur ein Stück weiter in Richtung München zu sehen. Zumindest zeitweise gilt auf Teilen der Germeringer Straße in Planegg und der Pasinger Straße in Gräfelfing Tempo 30. Das sollte doch auch in Stockdorf möglich sein, meinen Anwohner der Gautinger Straße. Pache ist nicht der einzige, der nun Eigeninitiative ergreift und sich selbst vor dem Lärm schützt. Auch Iris Zippel, die mit ihrem 92-jährigen Mann nur ein Stück weiter wohnt, will ihren Balkon zubauen lassen. Ihr Ehemann, so berichtet sie, traue sich zudem nicht mehr, allein die viel befahrene Straße zu überqueren. Gegen den Lärm habe er seine eigenen Methoden: "Er nimmt einfach sein Hörgerät raus, wenn er raus geht."

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SZ vom 14.06.2021
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