Verein:Rentner sollen Verein verjüngen

Seit 28 Jahren unterstützt die Osteuropahilfe kranke und bedürftige Menschen in der Ukraine. Weil der Vorstand inzwischen sehr betagt ist, sucht der Verein neue Mitglieder - bevorzugt Ruheständler.

Von Wolfgang Schäl, Wolfratshausen/Starnberg

Es mutet kurios an, wenn ein Verein sich verjüngen will und zu diesem Zweck ausgerechnet Rentner sucht. Aber so ist derzeit die Situation bei der Osteuropahilfe in den Landkreisen Bad Tölz-Wolfratshausen und Starnberg. Die Organisation, 1989 von Richard Dimbath gegründet und seit 2014 offiziell in Wolfratshausen ansässig, hat rund 80 Mitglieder, die weit verstreut sind von Gilching bis Vorderriß, von Tutzing bis Wolfratshausen und von Münsing bis Berg. Und deren Vorstand ist stark überaltert: So formulieren es jene, die derzeit im Verein die Verantwortung tragen - sie alle sind schon zwischen 70 und 80 Jahren.

Mit dem dringenden Appell, sich hier sozial zu engagieren, treten jetzt Erhard Hoppe, der erste Vorsitzende, sowie Heidrun Opitz, die für Frauenfragen und Patenschaften verantwortlich zeichnet, an die Öffentlichkeit. Dies bedeute nicht, sagen Hoppe und Opitz, "dass jemand von heute auf morgen in den Vorstand eintreten und sofort Verantwortung tragen soll", es gehe zunächst einmal darum, dass Nachrücker für wichtige Funktionen sukzessive aufgebaut werden. Dabei ist durchaus Eile geboten, denn Hoppe, 79, will für die nächsten Vorstandswahlen nicht mehr kandidieren, und auch sein Stellvertreter Roderich von Pilar möchte sich baldmöglichst zurückziehen. Wer dann ihre Aufgaben übernehmen könnte, ist bislang völlig unklar.

50 Jahre Stadt Wolfratshausen

Die Osteuropahilfe hat rund 80 Mitglieder, die weit verstreut sind von Gilching über Tutzing bis nach Wolfratshausen und Münsing. Zum 50. Geburtstag der Stadt Wolfratshausen im Jahr 2011 gab es einen großen Festzug.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Es ist ein "Dreisäulenmodell", das dem Vorstand für die Nachfolgeregelung vorschwebt: Konkret werden erstens Personen gesucht, die sich in die Vereinsfinanzen einarbeiten, denn die muss Hoppe, derzeit in Personalunion auch Schatzmeister, mitverwalten. Es ist eine Aufgabe, die buchhalterische Kenntnisse, den Umgang mit Excel-Tabellen und Online-Banking voraussetzt. Der Appell zur Mitarbeit richtet sich zweitens an alle, die bereit sind, ihre EDV-Kenntnisse zur Verfügung zu stellen und die Website des Vereins zu unterstützen, denn sie ist das wichtigste Forum, auf dem der Verein öffentlich auftritt, über seine humanitären Aktionen berichtet und seine Kontakte pflegt. Drittens werden Interessenten gesucht, die Heidrun Opitz in den Bereichen Patenschaften und Familienhilfe zur Seite stehen.

Der Bedarf an Helfern ist hier besonders groß, denn die Situation von Frauen und Familien, insbesondere solche mit kranken oder behinderten Kindern, ist nach Opitz' Erfahrungen in der Ukraine nahezu aussichtslos. Die Gesellschaft in dem Land sei stark von Männern dominiert, die sich von ihren Familien abwendeten, sobald eines der Kinder krank oder behindert ist. Eine Krankenversicherung existiere nicht, und auch der Staat wende sich von solchen Problemfällen ab, sodass neben den miserablen Wohnverhältnissen in den viel zu engen, heruntergekommenen Plattenbau-Unterkünften meist auch große Geldnot das Leben beeinträchtige. Von Gleichberechtigung und einem selbstbestimmten Alltag seien solche Frauen Lichtjahre entfernt, sagt Opitz. "Frauen gelten nichts, leben ohne den Schutz von Männern, haben den schlechtesten Part in der ukrainischen Gesellschaft, sie haben auf Deutsch gesagt die Arschkarte". Die Jobsituation sei furchtbar, einen Studienplatz oder Krankenbetreuung müsse man sich in dem von Oligarchen beherrschten Land teuer erkaufen, die Lebenserwartung liege unter diesen Umständen bei 50 bis 60 Jahren. "Wenn man arm ist, stirbt man einfach."

Osteuropahilfe Starnberg WOR

Ekkehart Otto, Erhard Hoppe und Dorabella Hoppe (von links) von der Osteuropahilfe.

(Foto: Manfred Neubauer)

Hinzu komme noch der Krieg in der Ostukraine und die daraus resultierenden Flüchtlingsströme, rund eine Million Binnenflüchtlinge seien hier jedes Jahr in westlicher Richtung unterwegs. Die Fernsehsender in der Ukraine seien allesamt in privater Hand, sodass sich die Helfer schwer tun, an objektive Informationen zu kommen. Unter diesen Vorzeichen wird der Bedarf an Helfern eher noch größer, als dass er abnimmt. Erschwerend hinzu kommen für den Verein der Bürokratismus und die Zoll-Schikanen an den Grenzen, durch die dringend benötigte Hilfslieferungen in die Partnerstadt Brody immer wieder aufgehalten werden.

Von alledem hat sich der Osteuropa-Verein in den vergangenen Jahren nicht entmutigen lassen, nebst Lebensmitteln wurden unter anderem ein Notstromaggregat für ein Krankenhaus in Lemberg sowie Heizkörper und sogar eine ganze Zahnarztpraxis mit zwei Behandlungseinheiten nach Brody geliefert. Aufgrund des großen organisatorischen Aufwands für solche technischen Hilfestellungen bei gleichzeitig fehlendem Nachwuchs im Verein stellt sich im Vorstand nun die Frage, ob man sich künftig nicht stärker auf Einzelfallbetreuungen verlegen sollte.

Spektakulärster Fall einer solchen Betreuung war die extrem teure, am Ende aber erfolglose Knochenmark-Transplantation bei einem an Leukämie erkrankten 15-jährigen Buben, für den sich Schäftlarner Mitglieder des Vereins eingesetzt hatten. Ein Schwerpunkt für die Aktivitäten in den kommenden Jahren soll es nun sein, Paten zu finden, die Familien unterstützen. Dafür braucht man nicht nur Geld, sondern auch sozial eingestellte Menschen, die freie Zeit zur Verfügung stellen können. Und dafür kommen vor allem Rentner in Frage. Ansprechpartner finden sich unter www.osteuropa-hilfe.de.

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