Utting:Zwischen Mensch und Kunst

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Die Uttinger Ateliertage changieren zwischen Inszenierung und Zufall. Auch heute, so scheint es, wohnt hinter jeder zweiten Tür noch ein Künstler oder eine Künstlerin. Ein Rundgang durch die Ateliers

Von Katja Sebald, Utting

Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert war Utting ein Künstlerdorf. Erst als Ort der Sommerfrische, dann als dauerhafte Heimat, entdeckten Maler und Bildhauer, aber auch Karikaturisten und Schriftsteller das Ammersee-Westufer. Und noch heute, so scheint es, wohnt in Utting hinter jeder zweiten Haustür eine Künstlerin und ein Künstler. 14 von ihnen öffnen bei den "9. Uttinger Ateliertagen" die Türen zu ihren Arbeitsräumen. "Mensch und Raum" haben sie sich als gemeinsames Thema gewählt.

Harry Sternberg braucht keinen Raum für seine Installation über Flucht und Vertreibung, er hat sie im Uttinger Summerpark aufgebaut. (Foto: Georgine Treybal)

Die Grenze zwischen Mensch und Kunst, zwischen Inszenierung und Zufall, zwischen Ausstellung und Happening sind bei Almut Winkler fließend. Die Kunstpädagogin bespielt die Diele ihres Wohnhauses an der Bahnhofstraße mit vielteiligen Materialcollagen. Fundstücke aus Haus und Garten, Blüten und Früchte an dünnen Drähten, kleine Schachtelobjekte, Zigarrenkisten und Schatztruhen, Bildchen und Schildchen, Zeichnungen und Fotos, brennende Kerzen, ein Bonbon und noch einiges mehr hat sie zwischen Dingen drapiert, die sich ohnehin hier befanden: eine Zimmerpflanze, ein Kerzenleuchter an der Wand und der eine oder andere Schlüsselbund an einem Nagel. Entstanden ist ein ebenso merkwürdiger wie zauberhafter Kosmos, eine Zusammenstellung von kleinen Geschichten ohne Anfang und Ende. "Rhizom" nennt sie diese Installation.

Ganz ohne Raum hingegen kommt Harry Sternberg mit seiner Installation zu Flucht und Vertreibung aus: Er hat eine Stellwand mitten im Summerpark aufgestellt, auf der er zwei Menschen porträtiert, die in Utting eine neue Heimat gefunden haben. Einer von ihnen war sein Schwiegervater, der mit fünfzehn Jahren noch ganz zuletzt in den Krieg geschickt wurde, in russische Gefangenschaft geriet und nach vielen Umwegen seine Familie, die aus Böhmen vertrieben worden war, in Utting wiederfand. Dort lebte er bis zu seinem Tod im April 2017. Er hatte hier mit seinen eigenen Händen ein Haus gebaut und ein Leben lang hart gearbeitet. Auf dem Speicher fand Sternberg eine Kiste mit Dokumenten und Fotos, die über den Flüchtling von einst erzählen. Der andere ist ein junger Syrer. Auch er musste seine Heimat verlassen. Auch er ist vom Krieg traumatisiert. Auch er wurde von seiner Familie getrennt. Auch er ist in Utting gestrandet. Aber im Hier und Heute. Seine Zukunft beginnt erst jetzt mit der Aufenthaltserlaubnis, im Herbst wird Abd Allah A. eine Lehrstelle antreten.

Almut Winkler lädt bei den "9. Uttinger Ateliertagen" zu sich ein. (Foto: Georgine Treybal)

Die Uttinger Ateliertage sind mit einer gemeinsamen Ausstellung aller teilnehmenden Künstler zum Thema "Schnittstelle Heimat" auch in die Landsberger Kreiskulturtage eingebunden. Die Galerie UnARTig in der Bahnhofstraße 13 ist deshalb der ideale Ausgangspunkt für einen Rundgang durch die Ateliers. Einige Künstler haben die beiden Themen zu einem einzigen verbunden: Barbara Manns etwa zeigt eins von zehn "Erinnerungsbildern" in der Ausstellung, die anderen neun, die Stationen ihres Lebens abbilden, sind nebenan in ihrem Arbeitsraum zu sehen. Ute Rossow hat "Heimaterde" in ihre Farben gemischt. Marianne Rahneberg erforscht ihr Zwillingsdasein als "seelische Heimat". Für Katrin Pesch ist Heimat Geborgenheit, die sie mit einem gefilzten "Kokon mit Ausblick" darstellt. Christiane Noll setzt in einem akustischen Feature das Puzzle Heimat zusammen. Für Mica Knorr-Borocco besteht Heimat aus Menschen, die sie mit flinken Tuschestrichen aufs Papier bannt. Peter Dietz fasst seine Gedanken zum Thema in einer Video-Collage zusammen.

Die Uttinger Ateliers sind am 1. und 2. Juli, jeweils von 14 bis 19 Uhr geöffnet. Am Samstag, 1. Juli, 19.30 Uhr, findet in der Galerie UnARTig außerdem ein offenes Künstlergespräch statt. Alle Infos unter www.uttinger-ateliertage.de

© SZ vom 26.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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