Süddeutsche Zeitung

Dorf hilft Welt:Leben auf zwei Kontinenten

Im Sommer betreiben Esther und Rupert Riedel das Uttinger Strandbad, im Winter waren sie mehr als 20 Jahre lang in Afrika: Mit dem Verein "Kenianische Waisenkinder in Not" unterstützen sie Hilfsbedürftige und bieten Jugendlichen die Chance zum Schulabschluss.

Von Armin Greune, Utting

Unterstützung für die wirtschaftlich benachteiligten Völker der Dritten Welt geht verschiedene Wege: Es gibt entwicklungspolitische und -ökonomische Initiativen, die langfristig dazu beitragen sollen, das globale Gefälle zwischen Arm und Reich zu verringern. Daneben hat aber auch die unmittelbare Unterstützung von Notleidenden schon aus humanitären Gründen ihre Berechtigung - auch wenn damit zwangsläufig nur einzelne Bedürftige erreicht werden können. Menschen, die unter Mangelernährung und Missernten, Natur- und Umweltkatastrophen leiden, keinen Zugang zu sauberen Wasser und adäquater Bildung haben, benötigen Barmherzigkeit. Wer aber Kinder und Jugendliche beim Schul- und Hochschulbesuch unterstützt, investiert in die Zukunft der finanzschwachen Regionen dieses Planeten. Wenn die Absolventen anschließend am Aufbau ihrer von der Ersten Welt geplünderten Länder mitarbeiten, ist dies Hilfe zur Selbsthilfe - und das nicht nur auf individueller Ebene.

Diese Absicht verfolgt der Verein "Kenianische Waisenkinder in Not", den Esther und Rupert Riedel schon 2004 ins Leben gerufen haben. Das kenianisch-deutsche Paar ist weit über Utting hinaus als Betreiber des pittoresken Standbads bekannt. Die von ihnen gegründete Organisation sammelt Spenden für humanitäre Hilfe in der Region Kabazi im zentralen Hochland Kenias. Dazu ist der Verein stets auf dem Wasserwacht-Flohmarkt und dem Adventsmarkt in Utting präsent und verkauft dort gespendete Kuchen und Plätzchen. Darüber hinaus finden etwa an der Dießener Mädchenrealschule oder der Uttinger Grundschule regelmäßig Sponsorenläufe für die Kinder in Afrika statt.

Den größeren Teil der Einnahmen aber generiert der Verein, in dem man Patenschaften für etwa hundert eltern- oder heimatlose Kinder und Jugendliche vermittelt - so unterstützt etwa der Uttinger Telos-Kindergarten ein Mädchen namens Dorcas. Dieser Initiative verdanken inzwischen mehrere hundert Schützlinge die Erlösung aus ärgster materieller Not und eine zukunftsfähige Bildung. Im vergangenen Jahr wurden die Riedels deshalb mit der Bundesverdienstmedaille ausgezeichnet.

"Utunzi kwa Watoto" heißt das Projekt in der Landessprache, die auch Esther Riedels Muttersprache ist. Es klingt wie ein Klischee - aber am Anfang dieser kenianisch-deutschen Lebens- und Arbeitsgemeinschaft stand eine Safari. 1994 hatte der Uttinger Rupert Riedel die Liebe seines Lebens Esther in der afrikanischen Savanne kennengelernt. "Eigentlich wollte ich ja mit dem Motorrad in den Nationalpark fahren, aber das war aus Sicherheitsgründen verboten - zum Glück", sagt er heute. Stattdessen buchte er deshalb eine geführte Gruppentour zu den wilden Tieren, der sich an diesem Samstagnachmittag auch Esther anschließen konnte, die im Büro des Safari-Veranstalters angestellt war.

"Jede Form von Bildung hat immer einen Vorteil", sagt Rupert Riedel

In der Folge verbrachte das Ehepaar fast zweieinhalb Jahrzehnte lang regelmäßig fünf Wintermonate in Kenia. Von Ostern bis in den Herbst hinein bewirten die beiden das Uttinger Strandbad, das Rupert Riedel seit 1991 gepachtet hat. Am Karfreitag, 7. April, geht der Betrieb wieder los. Die kalten und dunklen Monate am Ammersee aber schlagen ihm schon immer auf die Stimmung. Früher hatte Riedel zunächst den persönlichen Winter mit Rucksackreisen verkürzt; dann nahm er in der ansonsten tatenlosen Zeit ein BWL-Studium auf, das er nach vier Semestern wieder abbrach.

Von den erworbenen ökonomischen Grundkenntnissen hat Riedel dennoch im Leben profitiert: "Jede Form von Bildung hat immer einen Vorteil, das versuche ich auch gerade meiner Tochter zu vermitteln." Um ihr eventuell den Zugang zu einem Studium zu ermöglichen, haben die Eltern ihren Lebenswandel umgestellt: Seit die zwölfjährige Maria der "fortgeschrittenen Schulpflicht" unterliegt, können die Riedels nicht mehr jahreszeitenweise in Afrika leben. Jetzt bleiben der Familie dort bloß noch zwei Wochen Weihnachtsferien: "Und das ist dann dreimal so teuer, doppelt so voll und einfach nicht so lustig", beklagt sich Riedel mit trockenem Lachen.

Für das Hilfsprojekt in Kabazi, das sie bis dahin regelmäßig selbst aufgesucht und betreut haben, ist nun kaum Zeit mehr übrig. Es bleibt trotzdem in der Familie und in zuverlässigen und fachkundigen Händen: Esthers Schwester Benedett Mugwe hat in Nairobi Sozialarbeit studiert und eine Zusatzausbildung für psychologische Betreuung absolviert. Während in Deutschland nur ehrenamtlich für den Verein gearbeitet wird, ist Mugwe seit 2006 fest angestellt. Sie steht in Kenia das ganze Jahr über Waisenkindern und den Familien, in denen sie leben, zur Verfügung: Sie begleitet sie zum Arzt, organisiert Anschaffungen und regelt Behördenkram. Mugwe besucht auch regelmäßig die Patenkinder, die in Internaten untergebracht sind. Unterstützung und Zuwendung erfahren sie zudem von den Frauen der "Mama Wa Mungo Group", mit denen der Verein seit Jahren zusammenarbeitet.

Eine Patenschaft für 30 Euro pro Monat sichert den Besuch einer privaten Schule

Die Idee, notleidende Kinder in Afrika zu fördern, geht auf einen Stopover des kenianischen Geistlichen Father Bethuel Mwaura in Utting zurück: Über den katholischen Priester erfuhr Esther, die tief im christlichen Glauben verankert ist, von den vielen unversorgten Aids-Waisen in dessen Pfarrei. Bei der Registrierung des Vereins vor 19 Jahren stand noch die Finanzierung eines Hauses zur Tagesbetreuung der Kleinkinder im Fokus. Doch das war nach einem Jahr fertig gebaut, und die Riedels suchten nach weiteren Tätigkeitsbereichen. Eine Großmutter mit sieben Enkelkindern, deren Eltern verstorben waren, wurde die erste Familie, die ihr Verein direkt unterstützte, erinnert sich Rupert Riedel.

Nach wie vor ist essenzielle materielle Not in Kenia weit verbreitet. Das Land sei "vom Klimawandel schwer betroffen, Hunger ist leider immer noch ein Thema", sagt Riedel. Wenn ein Waisenkind in Patenschaft genommen wird, ist oft zuerst eine Grundversorgung zu leisten: Neben Lebensmittellieferungen und medizinischer Untersuchung finanziert der Verein Decken, Matratzen und einfaches Mobiliar. Auf Dauer steht aber die Bildung im Mittelpunkt: Eine Patenschaft für 30 Euro pro Monat sichert den Besuch einer privaten Schule, denn das öffentliche kenianische Bildungswesen befindet sich in einem desolaten Zustand. Bei entsprechender Eignung fördert der Verein sogar Universitätsstudien. "Selbst wenn einzelne Kinder die Kooperation aufkündigen", sagt Riedel, "erreichen weit mehr als die Hälfte der Kinder einen Bildungsabschluss".

89 Kinder hat der Verein derzeit unter seinen Fittichen, aktuell werden wieder neue Bewerberfamilien ausgesucht. Erstmals können die Gründer dabei nicht direkt mitwirken. Die von ihnen initiierten Hilfsprojekte sind aber nicht der einzige Grund, warum Rupert Riedel seine zweite Heimat schmerzlich vermisst: Im Jahr 2000 hat sich die Familie ein Grundstück direkt am Indischen Ozean gekauft und dort in vierjähriger Arbeit ein Wohnhaus hergerichtet. "Ich wollte schon immer am Wasser leben." Bis auf Weiteres muss ihm aber erst mal das Arbeiten am Ammersee genügen.

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