Am Ammersee:33 Jahre zwischen Grill und Sprungturm

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Rupert Riedel mit Ehefrau Esther und Tochter Maria. (Foto: Arlet Ulfers)

Mit Mitte 20 hat Rupert Riedel das Uttinger Strandbad übernommen und seitdem im Badegelände und Biergarten viel erlebt. Nun ist Schluss, aber als Privatier will er sich nächste Saison eine Jahreskarte kaufen.

Von Armin Greune, Utting

Mit einem rauschenden Sommernachtsfest hat Rupert Riedel im Uttinger Strandbad kürzlich zwar noch nicht den endgültigen Schlussstrich gezogen, aber seine letzte Runde eingeläutet. Der Badebetrieb rund um den weithin bekannten Sprungturm ist gerade eingestellt worden – Kiosk und Biergarten aber bleiben bei schönem Wetter noch bis zum zweiten Oktoberwochenende geöffnet. In den letzten Wochen seiner 33-jährigen Tätigkeit kann sich der Pächter noch mal ungestört dem Job als Gastronom widmen – nachdem in den vergangenen Jahren die Pflichten als Bademeister immer mehr Zeit eingenommen haben.

Die Uttinger Freizeiteinrichtung ist die letzte ihrer Art am Ammersee; 2019 wurden die beiden kommunalen Strandbäder in Dießen aus Haftungsgründen zu Erholungsgeländen rückgebaut, Eintrittskartenverkauf und Badeaufsicht dort eingestellt. Rupert Riedel aber übernahm die Verantwortung und erneuerte alle drei Jahre seinen silbernen Rettungsschwimmerschein. Seit 1991 ist er Pächter des traditionsreichen Anwesens, das tief in der Biografie vieler Bewohner am Ammersee verankert ist. In der kommenden Saison wird Miene Gruber den Posten übernehmen – wie Riedel ein Ur-Uttinger, der um die Rolle als Sozialisationsort im Dorf weiß. Mag der Kirchturm von Mariä Heimsuchung auch weiter in den Himmel ragen – der Sprungturm im Bad nimmt für die meisten Alt- und Jungeingesessene einen höheren Stellenwert ein. Nicht umsonst gilt das Holzgerüst im See als inoffizielles Wahrzeichen des Orts.

Bis es in die nunmehr endgültige Winterpause geht, stehen Rupert Riedel, seiner Frau Esther und Tochter Maria allerdings noch ein paar harte Tage bevor. Es gilt unter anderem die Bude auszuräumen, auch wenn schon seit Mai der Verkauf des Inventars läuft, ist das „Blaue Haus“ mit seinen fünf Giebeln immer noch bis zur Decke mit persönlichen Erinnerungen gefüllt. Die veraltete Küche muss raus, das mehr als 40 Jahre alte Gebäude wird entkernt, die Grillhütte am Biergarten abgerissen. Nicht angerührt wird natürlich der denkmalgeschützte Umkleidetrakt, ein zweiflügeliger Holzbau mit 47 Kabinen aus dem Jahr 1929. Das Gleiche gilt auch für den ein Jahr jüngeren Kiosk im Süden des nur etwa 1000 Quadratmeter großen Areals – das Dießener Erholungsgelände St. Alban ist mehr als 15-mal so groß.

An diesem Werktagnachmittag Mitte September ziehen Regenschauer in Streifen über den Ammersee. Nach zwei Wochen spätsommerlichem Dauerstress findet Riedel die Zeit, auf die vergangenen 33 Saisons zurückzublicken. Hätte immer Badewetter geherrscht, wären es gut 55 000 Arbeitsstunden geworden; 77 Stunden umfasst das maximale Wochenpensum, das im Freibad bei schönem Wetter zu bewältigen ist.

Das "Blaue Haus" wird nun entkernt. (Foto: Arlet Ulfers)
Das Gelände ist mit etwa 1000 Quadratmeter nicht groß. (Foto: Arlet Ulfers)
Maximal 300 Besucher finden im Bad Platz. (Foto: Arlet Ulfers)

„Das mit dem Strandbad war mehr oder weniger eine Schnapsidee“, sagt der 58-Jährige. Er kann sich nicht mehr genau erinnern, wo ihn der Auftakt zu seinem Berufsleben und Lebensberuf ereilte: Im Winter 1990/1991 war er mit dem Rucksack auf mehrmonatiger Weltreise unterwegs. Auf einer Insel in Malaysia oder Indonesien erreichte den damals 23-Jährigen die Botschaft, dass in Utting ein neuer Bad-Pächter gesucht werde. „Die Kassette habe ich immer noch“, erzählt Riedel: Weil Briefeschreiben anstrengend, telefonieren seinerzeit kompliziert und sehr kostspielig war, hielt er den Kontakt mit seiner Mutter Sieglinde über Tonbandaufnahmen aufrecht.

Statt eine Tauchlehrerausbildung im südchinesischen Meer anzutreten, entschied er sich für das Bad am Ammersee. Als er im März heimkam, erhielt er erst einmal probeweise einen Vertrag für ein Jahr. Ausdrücklich behielt sich die Gemeinde eine Bürgschaft der Mutter für ihren gastronomisch völlig unerfahrenen Sohn vor. „Es war schon ziemlich hart, ohne meine Mitarbeiterinnen wäre es nicht zu schaffen gewesen“, sagt Riedel, wenn er an die ersten Jahre zurückdenkt. Aber der intensive Saisonbetrieb brachte auch den Vorteil, dem Winter mehrere Monate lang den Rücken kehren zu können: Obwohl er gern mal Ski fährt, mag der Uttinger die dunkle, kalte Jahreszeit daheim nicht und verbringt sie lieber im Süden.

So lernte er auch 1994 seine Lebenspartnerin Esther auf einer Safari in Kenia kennen. 24 Jahre lang arbeiteten sie von Ostern bis Herbst am Ammersee und lebten die übrigen fünf Monaten in Afrika. Vor 20 Jahren gründete das Paar den Verein „Kenianische Waisenkinder in Not“, der Bildungspatenschaften für sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche vermittelt. 2021 erhielten die Riedels dafür die Bundesverdienstmedaille.

Liebevoll hat Riedel die Anlage und seine Gebäude gepflegt. (Foto: Arlet Ulfers)
Auch im Herbst blühen noch Blumen. (Foto: Arlet Ulfers)

Seit die nun 13-jährige Tochter eine weiterführende Schule am Ammersee besucht, sind die Familienaufenthalte in Kenia – wo die Riedels auch ein Wohnhaus am Meer gebaut haben – auf die Weihnachtsferien zusammengeschrumpft. „Maria hat in beiden Kulturkreisen ihre Wurzeln“, sagt der Vater nicht ohne Stolz, sie und Esther tauschen sich auch mal auf Suaheli aus.

Wenn man ihn nach den prägenden Ereignissen im Strandbad fragt, fällt Riedel erst ein Todesfall ein: Als noch die örtliche Wasserwacht an Wochenenden die Aufsichtspflicht hatte, starb eine asthmakranke Frau beim Schwimmen. Viel plastischer ist ihm ein Vorfall vor mehr als 20 Jahren in Erinnerung. Damals war ein elfjähriges Mädchen im Flachwasser in Ohnmacht gefallen, der Vater trug das leblose Kind ans Ufer. Der Strandbadpächter konnte unter den Badegästen einen Arzt finden, der am Mädchen keinen Puls mehr fühlte und sofort seinen Notfallkoffer holen ließ. Es gelang, die Elfjährige bis zum Eintreffen des Rettungshubschraubers zu reanimieren: „Das war schrecklich und sehr unangenehm, aber ist dann doch sehr gut ausgegangen.“

Mit der seit 2018 geänderten Aufsichtspflicht in öffentlichen Bädern habe sich sein Tätigkeitsfeld entscheidend verlagert: „Wegen der Badeüberwachung habe ich mich aus der aktuellen Bewirtung zurückgezogen“, sagt Riedel, an regnerischen Tagen ist er etwa mit Planung und Einkauf beschäftigt. Herrscht Badewetter, brauche er sieben Leute, um den Betrieb am Laufen zu halten. 2022 erlebte er als „komplettes Krisenjahr“: Als die Post-Covid-Personalnot auch das Strandbad erreichte, musste sich der Pächter förmlich zerreißen: Für die Gäste stellte er eine Tafel auf, auf der im Wechsel „Sprungturm“ oder „Grill geschlossen“ zu lesen war.

Den Lockdown selbst hingegen habe er als Erleichterung empfunden: Bad und Turm waren gesperrt – doch den Biergarten habe er dank der Fürsprache von Bürgermeister Florian Hoffmann unter den Abstandsregelungen offen halten dürfen. So hat Riedel „keine tragischen Umsatzeinbußen erlitten, die niedrigere Mehrwertsteuer hat die fehlenden Eintrittsgelder kompensiert“.

Maximal 300 Besucher finden im Bad Platz

An guten Tagen verkauft er etwa 150 Tageskarten, dazu kommen einige hundert Jahreskarten, maximal 300 Besucher finden im Bad Platz. An die 500 Leute, schätzt Riedel, habe er im Laufe der Jahrzehnte beschäftigt – manche blieben länger als zehn Jahre. Einige hätten zwar sicher hinterrücks über den Chef geschimpft, doch in keinem einzigen Fall musste das Arbeitsgericht angerufen werden. Wie auf Zuruf schaut in diesem Moment eine vormalige Mitarbeiterin mit einem Geschenkkorb für Riedel vorbei. Beim Abschiedsfest am Wochenende zuvor war sie verhindert, die ehemalige Kollegin zählte zu den 250 geladenen Gästen. Insgesamt 450 Menschen kamen, um im Biergarten mit der Band Supercharge zu feiern: „Das Wetter passte perfekt, ein wunderbarer Abschluss“, schwärmt Riedel.

Die legendären Strandbadfeste fanden früher etwa einmal jährlich statt, dazu kamen Open-Air-Events wie etwa Live-Übertragungen der Fußball-Weltmeisterschaften auf der Großbildleinwand. „Eigentlich habe ich nie einen großen Ärger mit den Nachbarn gehabt“, sagt Riedel. Doch einmal mussten seine Festgäste mit ansehen, wie ihr Wirt im Polizeigewahrsam abgeführt wurde. Am Gerücht, er sei verhaftet worden, war freilich nichts dran: Er hatte bloß die Genehmigung für die Veranstaltung daheim liegen gelassen. „Wenn’s mi ’nauffahrts“ habe er die Beamten auf die Forderung nach Vorlage beschieden, seine eigene Fahrtüchtigkeit sei da wohl schon ziemlich angegriffen gewesen. Ein Bußgeld wegen Lärmüberschreitung habe er damals aber bezahlen müssen. Zu Recht, findet er im Nachhinein: „Selbst in meinem Haus in der Laibner Straße haben noch die Scheiben geklirrt.“

Der Uttinger Sprungturm gilt als Wahrzeichen der Gemeinde. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Mit randalierenden Jugendlichen, die in Utting schon mal zum örtlichen Problem hochstilisiert wurden, habe er keine Konflikte ausgetragen: „Das habe ich im Strandbad immer in Griff gehabt.“ Abgesehen von zwei, drei Einbrüchen und gelegentlichen Scherbenfunden am Morgen sei es „ein super schöner, friedlicher Platz“, findet Riedel. Obwohl es da auch noch den „bösartigen Biber“ gibt, der die imposante Weide angenagt hat, die schon vor 70 Jahren als Naturdenkmal unter Schutz gestellt wurde. Jetzt hat der fast fünf Meter umfassende Stamm eine Drahthose an. Das habe dem Nager den Appetit verdorben, erzählt Riedel augenzwinkernd.

Im Rückblick auf die 33 Jahre klingt fast alles versöhnlich. Nur ausgerechnet denen, die sich als Freunde des Strandbads bezeichnen, will Riedel nicht verzeihen. Sie hatten 2014 einen zähen und erbitterten Streit um die Markise entfacht, die dem Biergarten Schatten und Regenschutz bringt – den „Ortsbildbewahrern“ aber ein Dorn im Auge war. „Die ’Strandbadfreunde’ sind mir zutiefst zuwider“, sagt Riedel, deren Engagement habe „wenig mit Liebe oder Freundschaft zu tun“. Obwohl er sich ursprünglich zum Rückbau der Markise verpflichten musste, hat ihm die Gemeinde nun die Überdachung abgekauft, die Bedingungen seien „von meiner Seite her akzeptierbar gewesen“, meint der scheidende Pächter.

Ob er die neue Freiheit als Privatier nutzt, um den Lebensschwerpunkt nach Afrika zu verlagern? Vorerst steht dem Marias „fortgeschrittene Schulpflicht“ entgegen. Aber auch mittelfristig wolle die Familie „auf keinen Fall ganz in Kenia bleiben“, sagt Riedel. Immerhin bestehe jetzt die Option, während der Sommerferien sechs Wochen am Indischen Ozean zu verbringen. Aber dann sei es halt auch am Ammersee am schönsten. Auf jeden Fall aber werde er sich 2025 eine Strandbad-Jahreskarte kaufen: Für 35 Euro sei das eine lohnende Investition, findet Riedel.

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