Süddeutsche Zeitung

Personalnot:Stellenanzeigen am Straßenrand

Die Ammersee-Gemeinden Utting und Schondorf greifen wegen der prekären Situation in ihren Kitas zu einem ungewöhnlichen Mittel: Sie suchen mit Plakaten nach Erzieherinnen. Die Lage könnte sich in den nächsten Jahren noch verschärfen.

Von Armin Greune

Die drei Gemeinden am Westufer des Ammersees stehen vor akuten Problemen, die Nachfrage nach Kita-Plätzen zu stillen. Noch mehr als an Räumen mangelt es an Personal, was auch zum stunden- oder sogar gruppenweisen Ausfall der Kinderbetreuung geführt hat. Weithin sichtbares Zeichen des Notstands sind Informationstafeln an den Ortseingängen von Utting und Schondorf mit überdimensionalen Stellenanzeigen. Aber auch in Dießen treten immer wieder personelle Engpässe auf. In den nächsten Jahren droht sich die Lage zu verschärfen: Derzeit entsteht am Ammersee-Westufer Wohnraum für Hunderte Neubürger. In Utting und Schondorf werden gezielt erschwingliche, familiengerechte Quartiere geschaffen, um der Gentrifizierung entgegenzuwirken. Alle drei Kommunen planen entweder den Neubau von Kindertagesstätten oder den Ausbau bestehender Einrichtungen. Der räumliche Bedarf lässt sich so wohl mittelfristig in den Griff bekommen.

Die Personalsituation aber ist schon momentan prekärer als je zuvor, die den Eltern zugesicherten Betreuungszeiten lassen sich oft nicht mehr einhalten. "Deshalb greifen wir jetzt auch zu ungewöhnlichen Formen, um Bewerberinnen zu finden", sagt Schondorfs Bürgermeister Alexander Herrmann. Die plakativen Stellenanzeigen am Straßenrand sollen Erzieherinnen für das kommunale Kinderhaus an der Schulstraße gewinnen, das vier Kindergarten- und zwei Krippengruppen umfasst. Dort sind schon länger zwei Mitarbeiterinnen erkrankt, zwischenzeitlich kam es zur Teilschließung einer Kindergartengruppe.

"Die Leitung sucht fieberhaft nach einer Lösung", sagt Herrmann, doch die gesetzlichen Betreuungsschlüssel setzten Grenzen. Zudem dürfen Kinder jetzt pandemiebedingt nur noch in festen Gruppen betreut werden. Mittlerweile sind die Arbeitszeiten in der einzigen Schondorfer Kita so umorganisiert worden, dass vier Gruppen montags um 14 statt um 17 Uhr schließen: "Aufgrund unverschuldet anhaltender personeller Engpässe ist es derzeit aus faktischen Gründen nicht möglich, die satzungsgemäß festgelegten Öffnungszeiten aufrecht zu erhalten," heißt es auf der Homepage des Kinderhauses.

Gleiches gilt für das "Haus der Kinder zur Ludwigshöhe in Utting. Weil es an Personal mangelt, muss man seit dem 3. Oktober die Öffnungszeiten täglich um zweieinhalb Stunden verkürzen: Die vier vorübergehend in Containern an der Jahnstraße untergebrachten Kita-Gruppen schließen nun um 14.30, die Krippe in der Bahnhofstraße um 12.30 Uhr. Immerhin könne man "vor Weihnachten dem Wunsch der Eltern nach mehr Betreuung ein Stück entgegenkommen", sagt Beatrix Reindl, Leiterin der katholischen Einrichtung: Montags ist künftig wieder bis 17 Uhr geöffnet. Für Januar habe man eine Mitarbeiterin dazu gewonnen, aber um alle Betreuungsstunden abzudecken, reiche es immer noch nicht.

"Der Bewerbermarkt ist leer gefegt", klagt Herrmann, der in der mageren Entlohnung nach fünf Jahren Ausbildung einen Grund für den Mangel an Erzieherinnen sieht. Dem knappen Gehalt stünden im Fünfseenland hohe Wohnkosten gegenüber, in Schondorf diskutiere man daher gerade, im geplanten Neubau gegenüber dem Kinderhaus auch Wohnungen für Personal zu schaffen. Dazu komme, dass Kita- Betreuerinnen in der Pandemie noch stärkeren Belastungen ausgesetzt sind und sie selbst "an vorderster Front des Infektionsgeschehens" stehen, sagt Herrmann. Auch weil gesetzliche Regelungen für Kita-Mitarbeiterinnen im Fall der Schwangerschaft ein sofortiges Kontaktverbot mit Kindern vorsehen, könne man "von einem Tag auf den anderen mit einer neuen Personallücke konfrontiert sein".

Der Dießener Kindergarten St. Gabriel unterstütze Kinderwünsche von Mitarbeiterinnen und sei auch "sehr erfinderisch, um Teilzeit-Lösungen zu finden", betont Peter Cammerer, der die katholische Einrichtung nach außen vertritt. "Die Sorge um das bestehende Personal ist Grundlage für eine geringe Fluktuation", die ja auch im Sinne der Kinder sei. Von 17. bis 19. November musste die Kita geschlossen bleiben, weil dort sieben Covid-Fälle bestätigt wurden, auch Betreuerinnen waren betroffen. Inzwischen laufe der Betrieb wieder normal, "aber für die Krippe wird es schwer", sagt Cammerer. Auch die Gemeinde Dießen sucht gerade für ihre zwei Kinderhäuser in Dettenschwang und Riederau drei Vollzeitkräfte. Zu Schuljahresbeginn herrschte akute Personalnot: eine Kinderpflegerinnen- und zwei Erzieherinnen-Stellen waren unbesetzt. Inzwischen habe sich dank neuer Mitarbeiterinnen "die Situation grundsätzlich wieder entspannt", sagt Petra Freund, Sprecherin der Gemeinde. Aktuell sind alle Gruppen über die gesamten Betreuungszeiten hinweg geöffnet, doch heuer stehen für beide Einrichtungen noch insgesamt 23 Kinder auf den Wartelisten.

Im weiten Umkreis kann nur die Kita im Dießener SOS-Kinderdorf vermelden, "personell sehr gut aufgestellt" zu sein. Wie SOS-Sprecherin Victoria Leipert mittelt, stünden pro Gruppe mindestens zwei Fachkräfte und ein bis zwei weitere Mitarbeiter zur Verfügung. Als Vorteil wirke sich auf dem Arbeitsmarkt aus, dass man Praktikanten, Azubis und Mitarbeiter in der Probezeit Appartements anbieten könne.

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Quelle:
SZ vom 01.12.2021
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