Auf dem Weg zum Vortrag schüttet es wie aus Eimern und das Anfang Mai, dennoch ist der Gastraum der "Jolle" in Utting mehr als voll besetzt. Es geht um ein Thema, das viele, die am Ammersee leben, interessiert: Der Einfluss des Klimawandels auf den See. Die Grüne Alternative Liste (GAL) Utting hat als Referenten den promovierten Biologen Bernhard Ernst gewonnen, der aus einer alteingesessen Fischerdynastie stammt und als Berufsfischer am Ammersee arbeitet. Seit gut 25 Jahren beschäftigt er sich wissenschaftlich mit dem See, zehn Jahre davon sei er intensiv am See unterwegs gewesen, sagt Ernst. Er schränkt aber ein, dass er kein Klimaforscher sei, aber eines beobachtet habe: "In den vergangenen 20 Jahre hat sich sehr viel verändert".
Ernst hat viele Zahlen und Statistiken im Gepäck, die ihn sehr bedenklich stimmten, wie er erzählt. Die durchschnittliche Wassertemperatur stieg zum Beispiel von 1931 bis 2010 von sieben auf 8,2 Grad, das ist ein Anstieg von 1,2 Grad. Der See wirke dabei wie ein Hitze-Puffer, er gleiche aus, deshalb sei es um den Ammersee kühler als anderswo im Landkreis. Die Energie fließe in den See hinein, sagt Ernst und lasse die Wassertemperatur schneller ansteigen. Messdaten von der Schiffsanlegestelle Stegen, seit 1980 aufgezeichnet, würden dies belegen. So wurde in den Jahren von 2000 bis 2012 eine Jahreshöchsttemperatur von 24 Grad, 2015 bereits 26 Grad erreicht. Ernst rechnet damit, dass die 27 Grad-Marke in naher Zukunft geknackt wird. Aber nicht nur die Höchsttemperatur steige, sondern auch die Anzahl der warmen Tage. "Früher war die Badesaison Mitte August zu Ende", erzählte er. Waren es 1992 im Jahr noch unter 40 Tage mit über zwanzig Grad warmem Wasser, so konnte man 2022 mehr als 90 Tage im mehr als 20 Grad warmen Wasser baden.
Bernhard Ernst beschäftigt sich seit 25 Jahren wissenschaftlich mit dem Ammersee.
(Foto: Georgine Treybal)Für 2030 prognostiziert der Biologe mehr als 100 Tage über 20 Grad und weitere zehn Jahre später mehr als 140 Tage. "Die Renke mag es nicht wärmer als 20 Grad", sagt der Fischer. Eine Folge davon: Die Fische ziehen sich immer mehr in die Tiefe zurück. Aber auch die Jahrestiefsttemperatur steige und das habe nicht nur auf die nötige Durchmischung der Schichten im Ammersee Auswirkungen. Die Energie der Sonne reiche bis acht Meter in die Tiefe, dann komme eine trennende Sprungschicht und schließlich die Tiefenschicht. Ganz unten ist das Wasser wegen der Dichteanomalie vier Grad kalt. Der Ammersee sei wie eine Badewanne geformt, erklärt Ernst. Nötig sei eine Durchmischung der drei Schichten, die dann stattfinde, wenn diese ungefähr dieselbe Temperatur haben. Ernst hat hier eine Marke bei fünf Grad gesetzt und geschaut, wann der Zeitpunkt kommt, da diese überschritten wird. Er hat festgestellt, dass es nun schon Anfang April und damit drei Wochen früher wärmer wird und auch andersrum die Abkühlung länger dauert. "Dieses Jahr war es erst Mitte Januar richtig kalt", stellt er fest. Sauerstoffmangel über Gewässergrund und Störungen im Ökosystem seien die Folgen. Ernst rechnet damit, dass sich bereits 2030 die Schichten nicht mehr jedes Jahr durchmischen, von 2060 an werde dies sogar die Ausnahme sein.
Die Blutalge profitiert vom Klimawandel
Die Burgunderblutalge, ein Cyanobakterium, bezeichnet Ernst als Gewinner der Veränderungen, denn diese hat in einer Tiefe von etwa acht Metern nun eine Nische gefunden, um sich auszubreiten. Wenn diese nach oben geschwemmt werde, könne es gefährlich werden. Bei Hunden, die das Wasser trinken, komme es zu Vergiftungen, Badeverbote könnten dann ausgesprochen werden, so Ernst. Ein solcher Algenteppich lasse das Wasser rotbraun erscheinen, so geschehen schon in Eching. Das gebe es auch in anderen Seen wie dem Zürichsee, erläutert Ernst. Es verändern sich Wasserchemie und Nährstoffkonzentrationen im See. "Für die Fische bedeutet das Stress, der sie anfällig für Krankheiten macht."
Es sei kein Vergnügen, so einen Vortrag vorzubereiten, so Bernhard Ernst in der Uttinger "Jolle". Er präsentierte viele Zahlen und Daten.
(Foto: Georgine Treybal)Für Badenden sind die Algen nicht gefährlich, aber die Badedermatitis, die Zerkarien auslösen, ist unangenehm. Dass diese zunehme, erkläre sich damit, dass der Prozess der Entenparasiten bei zwanzig bis einundzwanzig Grad Wassertemperatur stoppe. In Eching und in Herrsching treten die Zerkarien häufiger auf als in Utting, da dort aufgrund der seichteren Uferbereiche mehr Enten leben, so Ernst. Es lebten im See dreißig Fischarten, manche Arten wie der Waller würden Gewinner sein, manche wie der Ammersee-Saibling Verlierer.
"Wir müssen uns ändern", fordert der Biologe
"Wird der Ammersee eine stinkende Kloake?", fragt besorgt ein Zuhörer. Die Burgunderblutalge rieche man schon, meint Ernst. Wie sich technische Neuerungen auswirkten, werde oft nicht überlegt. So beschäftigt den Biologen der zunehmende Lärm unter Wasser durch die vielen Elektromotoren. Er appelliert daher an alle, das eigene Verhalten kritisch zu hinterfragen, denn klar sei: "Wir müssen uns ändern." Michika Neugebauer, die die Veranstaltung moderiert, bringt es in ihrem Schlusswort auf den Punkt, denn sie kündigt an, dass sie "im Sommer die neuen Temperaturen mit einem bitteren Beigeschmack genießen" werde.