Entwicklungshilfe:Würde statt Almosen

Entwicklungshilfe: Uli Ernst, Biobauer aus Utting, war als Coach von Jugendleitern schon mehr als ein Dutzend Mal in Afrika und ist vom Schwarzen Kontinent und dessen Menschen fasziniert.

Uli Ernst, Biobauer aus Utting, war als Coach von Jugendleitern schon mehr als ein Dutzend Mal in Afrika und ist vom Schwarzen Kontinent und dessen Menschen fasziniert.

(Foto: privat)

Der Uttinger Biobauer Uli Ernst gibt in Afrika Seminare für junge Führungskräfte. Sein Ziel ist es, Landwirten Selbstvertrauen und unternehmerische Verantwortung zu vermitteln - und so beim Aufbau einer demokratischen Gesellschaft zu helfen.

In seinem Terminkalender findet sich auf Monate hinaus keine leere Zeile. Uli Ernst betreibt mit seiner Frau Corinne einen extrem vielseitig aufgestellten Bauernhof bei Utting, dessen Tätigkeitsfelder sich von biologischer Tierhaltung über Wein- und Schnittblumenanbau bis zu erlebnisorientierten Freizeitangeboten spannen. Darüber hinaus ist er als landwirtschaftlicher Dozent und Trainer deutschlandweit ein viel gefragter Mann. Und dann ist der ehemalige Leistungssportler, Akrobat und Vater zweier schulpflichtiger Söhne noch vier Mal im Jahr in Afrika unterwegs, um dort langfristig zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung beizutragen.

Der 51-Jährige ist überzeugt, dass man dazu beim individuellen Menschen und dessen Selbstwertgefühl ansetzen sollte. Mildtätige Hilfeleistungen wirken in dieser Hinsicht kontraproduktiv: Wer Almosen empfängt, wird in die passive Rolle des Bittstellers gedrängt. Uli Ernst hingegen will den Menschen Respekt zollen und ihr Selbstvertrauen wecken, damit sie Eigeninitiative entwickeln und schließlich auch ökonomische und politische Verantwortung in ihren Heimatländern übernehmen.

"Es ist gut, denen gar nicht so viel beibringen zu wollen." Wenn er in seinen Seminaren für landwirtschaftliche Führungskräfte an der Andreas-Hermes-Akademie (AHA) deren Konzept der Entwicklungshilfe vorstellt, stößt er anfangs oft auf Unverständnis. Ernst warnt vor oberlehrerhaftem Auftreten und vorschnellen Ratschlägen: Wichtiger als den Bauern im Globalen Süden etwa Tipps für den Weizenanbau zu geben, findet er es, sich erst einmal für die Leute dort zu interessieren und ihnen aufmerksam zu begegnen.

Man müsse ihnen die kollektive Würde zurückgeben, die jahrhundertelang unter der Herrschaft der Kolonialmächte oder aus deren Militärs hervorgegangenen Tyrannen gelitten hat. Nur wenn die Landwirte, die in den meisten afrikanischen Staaten die Bevölkerungsmehrheit stellen, Selbstvertrauen aufbauen, könne daraus Selbstverantwortung erwachsen. Die wiederum sieht Ernst als Basis für die Entwicklung der Bauernfamilien, Farmen und Organisationen - in Mitteleuropa wie im Globalen Süden.

Entwicklungshilfe: Als vielseitig engagierter Landwirt betreibt Uli Ernst unter anderem auch das jährliche Feldlabyrinth am Ammersee.

Als vielseitig engagierter Landwirt betreibt Uli Ernst unter anderem auch das jährliche Feldlabyrinth am Ammersee.

(Foto: Georgine Treybal)

Für ihn, der einer jahrhundertealten Dynastie von Ammerseefischern und Bauern entstammt, war vor dreißig Jahren der Besuch des AHA-Seminars für teilnehmerorientierte Persönlichkeitsentwicklung (TOP-Kurs) ein Schlüsselerlebnis. Das erlernte unternehmerischen Denken brachte er in den heimischen Landwirtschaftsbetrieb ein: Mit dem Feld-Labyrinth und dem Hochseilklettergarten wagten sich Uli Ernst und sein Team in den Freizeit- und Dienstleistungssektor vor, beim Anbau verlegte er sich auf Nischenprodukte.

Seit zwanzig Jahren gehört er selbst zu den TOP-Kursdozenten in Deutschland. In den vergangenen elf Jahren ist er im AHA-Auftrag immer wieder nach Afrika gereist - zum Coachen von Führungskräften oder als Leiter der entwicklungspolitischen Studienreisen, die fester Bestandteil des TOP-Programms geworden sind. Und nun ist der seit jeher vom "Schwarzen Kontinent" faszinierte Uttinger dabei, das Pendant dieser Seminare für landwirtschaftliche Führungskräfte im südlichen Afrika aufzubauen.

Im vergangenen Sommer startete eine Kooperation der AHA mit der Southern African Confederation of Agricultural Unions (Sacau), einem Zusammenschluss von 19 Bauernverbänden aus zwölf Nationen des südlichen Afrikas. Von den Seychellen bis Namibia vertreten diese Organisationen die Interessen von etwa 80 Millionen Landwirten.

Entwicklungshilfe: Seit vergangenem Jahr arbeitet die Andreas-Hermes-Akademie mit der Sacau zusammen, der Southern African Confederation of Agricultural Unions.

Seit vergangenem Jahr arbeitet die Andreas-Hermes-Akademie mit der Sacau zusammen, der Southern African Confederation of Agricultural Unions.

(Foto: privat)

Das erste Leadership-Training für Landjugendleiter 2022 in Johannesburg erwies sich als voller Erfolg. Für die zweite, paritätisch mit Männern und Frauen besetzte Gruppe steht Ernst mit Masankho Banda aus Malawi jetzt bereits ein afrikanischer Dozent zur Seite. Selbst coacht der Uttinger bis Anfang März und von Ende April an jeweils für zwei Wochen live in Johannesburg, in der Zwischenzeit wird das Seminar online geführt. Langfristiges Ziel dieser Mission ist es, trotz des Klimawandels die Ernährung im Globalen Süden zu sichern, dabei die Ressourcen zu schonen sowie regionale und globale Umweltbelastungen zu bekämpfen.

Es gilt aber auch, ethnische, politische und gesellschaftliche Konflikte zu überwinden. Regierungsorganisationen und NGOs sollen gestärkt werden und sich weiterentwickeln. Uli Ernst erläutert das Vorgehen mit den drei Wörtern "ich", "wir" und "es". Zunächst steht das Individuum im Fokus: Man trainiert etwa, sich geschickt zu präsentieren oder eigene Verhaltensmodelle zu hinterfragen. Unter "wir" fällt dann das Teamtraining, um bäuerliche Organisationen zu stärken und Verbände zu gründen. "Es" bedeutet schließlich, gesamtgesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen, sich an politischen Prozessen zu beteiligen.

Neu ist dieses Konzept nicht. In Deutschland wurden die Grundlagen von dem Agrarpolitiker Andreas Hermes entwickelt, der als Widerstandskämpfer im Dritten Reich bereits zum Tode verurteilt war, aber gerade noch rechtzeitig von sowjetischen Truppen aus dem Gefängnis befreit wurde. Aus seinen Erfahrungen mit dem Nazi-Regime zog der spätere Präsident des deutschen Bauernverbands den Schluss, dass man gerade im ländlichen Raum die jungen Menschen mit Bildungsprogrammen für demokratisches Engagement gewinnen muss. Hermes rief vor 75 Jahren die später nach ihm benannte Akademie ins Leben, um die Landjugend sozial, politisch und persönlichkeitsbildend zu stärken, damit sie Barbarei und den Versuchungen von Demagogen widerstehen können. 24 ausgewählte Jugendliche erhalten inzwischen jährlich die Chance, am individuellen Persönlichkeitstraining teilzunehmen.

Wir äußern selbstverständlich unsere Meinung, andere gehen damit ein Risiko ein

Die AHA-Kooperation in Afrika ist auf der "Grünen Woche" in Berlin aus den jährlichen Begegnungen des TOP-Kurses mit Vertretern der Sacau erwachsen. Der 48. deutsche Kurs steht nun unter dem treffenden Motto "An den Grenzen wachsen Horizonte". Vor vier Wochen kam es zur ersten gemeinsamen Videokonferenz zwischen afrikanischen und deutschen Kursteilnehmern. Auch wenn das Online-Treffen durch Stromausfälle und schwankende Routerleistungen getrübt wurde, gelang es dabei, auf Augenhöhe Erfahrungen zu teilen. "Für mich geht als einer der begleitenden Trainer beider Seminare damit ein kleiner Traum in Erfüllung," kommentiert Ernst. Allerdings seien für die afrikanischen Teilnehmer nicht nur die Chancen, sondern auch die Risiken um ein Vielfaches höher als in Deutschland: "Während wir völlig selbstverständlich unsere Meinungen öffentlich äußern können, riskieren einige Sacau-Jugendleiter in ihren Heimatländern Bestrafung und Verfolgung", sagt Ernst. Demokratisches und emanzipatorisches Training trifft auch heute noch bei manchen autoritären Regimen auf wenig Gegenliebe.

Während er aus den freiberuflichen Tätigkeiten für die AHA einen Teil des Familieneinkommens bezieht, gibt es in Afrika für Ernst noch eine ehrenamtliche Herzensangelegenheit. Mehr als ein dutzendmal hat er schon seine "Bienen-Ladys" in Äthiopien besucht. Dort betreut er ein Alumni-Projekt von TOP-Kursabsolventen für arbeits- und landlose junge Frauen: Qualifizierte Agrarstudentinnen werden bei der Gründung eines Imkerei-Unternehmens begleitet und gefördert.

Bei dem Projekt leisten die Mädchen unter anderem aktiven Klimaschutz: Mit der Pflanzung von zigtausend Bäumen als Bienenweiden tragen sie zum "Grünen Band" bei, dem Waldgürtel, der die Ausbreitung der Sahara nach Süden stoppen soll. Und ganz im Sinne von Uli Ernst und Andreas Hermes macht ihr Beispiel als Leuchtturmprojekt Schule: Die Bienen-Ladys geben ihr Wissen weiter, inzwischen sind im Bienenland Äthiopien schon mehr als 200 Imkerinnen aktiv geworden.

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