Es war eine mutige Entscheidung in schwerer Zeit: Auf dem Höhepunkt der Weltwirtschaftskrise 1929 beschloss die Gemeinde Utting, die 18 Jahre zuvor gegründete Badeanstalt zum Strandbad auszubauen. Ein Kiosk und 47 Umkleidekabinen wurden errichtet, um den Fremdenverkehr weiter anzukurbeln. Schließlich hatte sich der Ammersee nach dem ersten Weltkrieg zum Lido der Augsburger entwickelt: In den so genannten Badezügen reisten an Sommerwochenenden tausende Städter zur Naherholung an das Westufer. Die Kommune betrieb damals schon Tourismus-Marketing: "Gesundheitlich ist Utting glänzend", heißt es in einem Prospekt von 1929: "Tuberkulose ist bei den Einheimischen fast ausgeschlossen". Auch sei der Ort "der Staubplage durch Autos nicht unterworfen". Gut zwei Dutzend Wirte und Privatvermieter boten seinerzeit Fremdenzimmer an - zu Bettpreisen von 1,00 bis 1,50 Reichsmark, Vollpension war für 4 bis 7 Reichsmark zu haben. Nachzulesen ist das alles in der höchst sehenswerten Ausstellung "Strandbadgeschichte(n)", die bis 7. August im Kunstraum "Mezzavia", nur 200 Meter vom Bad entfernt, zu sehen ist.
Aus heutiger Sicht hat sich die Investition vor 87 Jahren nicht nur in monetärer, sondern auch in ideeller Hinsicht rentiert: Der Sprungturm - mittlerweile das vierte Glied in seiner Genealogie - gilt als Wahrzeichen Uttings. Am 8. Juli sind nun die Umkleidekabinen und der erste Kiosk des Strandbads unter Denkmalschutz gestellt worden. Die mit 1100 Quadratmeter Fläche recht kompakte Anlage ist eng mit der Ortshistorie des vergangenen Jahrhunderts verknüpft und fast jeder Alteingesessene kann persönliche Erfahrungen in der kommunalen Badeanstalt erzählen.
Den Uttinger Strandbadfreunden - einem lockeren Kreis von zehn bis zwölf Personen - ist es zu verdanken, dass diese Erinnerungen nicht verloren gegangen sind. Die Debatte vor eineinhalb Jahren um die über den Biergartentischen errichtete Markise sei der Auslöser gewesen, sich auch mit der Historie des Bads zu befassen, sagt Harry Sternberg, einer der Initiatoren der Ausstellung. Im Erzählcafé des Bürgertreffs sammelte man die Geschichten der Dorfbewohner, ein Teil der Tonbandprotokolle kann in der Ausstellung mit Kopfhörern verfolgt werden. Bereitwillig stellten viele Uttinger mehr oder minder kuriose Exponate aus Speichern und Kellern zur Verfügung. Die Strandbadfreunde durchsuchten die Zeitungsarchive und füllten Schautafeln mit Artikeln, Dokumenten, Postkarten und privaten Fotos: Das ansprechend gestaltete Ergebnis kann durchaus mit den Werken professioneller Museumspädagogen mithalten. Und die Uttinger Künstlerin Angelika Böhm-Silberhorn steuerte auf zwei Gemälden ihre persönlichen Impressionen vom Sprungturm bei.
Es ist wirklich erstaunlich, welche Vielfalt von wirtschaftlichen, orts- und sozialgeschichtlichen Aspekten rund um das Strandbad im eigentlich doch eng begrenzten Kunstraum versammelt sind. Historische Badebekleidung - die im Bad einst wie Liegestühle und Sonnenschirme verliehen wurde - gehört ebenso zu den Exponaten wie ein Kasten mit "Chabeso"-Flaschen, einem Erfrischungsgetränk, das in der Zwischenkriegszeit Kultcharakter genoss. Eine Tafel widmet sich den Bademoden im Wandel der Zeiten und auch der berühmte "Zwickelerlass" von 1932 findet Erwähnung, mit dem die Obrigkeit auf die zuvor ungeregelte Bekleidungsfrage in öffentlichen Badeanstalten reagierte: "In sogenannten Familienbädern haben Männer einen Badeanzug zu tragen." Für "gschamige Leid" - aber auch Geistliche und Kriegsversehrte - gab es in Utting übrigens spezielle "Wasserkabinen" zum Umkleiden, die einen Hinterausgang direkt in den See aufwiesen. Und natürlich wird in der Ausstellung die lokale Prominenz gewürdigt: Michl Sirch etwa, legendärer Badewart und "uneingeschränkter Präsident" der Anstalt oder Hilde Brandl, die ungekrönte Strandbadkönigin, die schon 1953 auf Fotos im Bikini posierte.
Schon der Zugang zum Kunstraum verdient Beachtung: Er besteht aus der nunmehr zum Denkmal erhobenen Originaltür der Kabine 54. In der ehemaligen Scheune der Uttinger Sautermühle lässt sich ohne Probleme eine kurzweilige Stunde verbringen. Es kann aber auch länger werden, wenn man mit Strandbadkennern ins Fachsimpeln oder Plaudern gerät. Viele Neugierige würden es nicht bei einem Besuch belassen und kämen mehrmals, sagt Sternberg: Die Ausstellung sei "unwahrscheinlich gut angekommen." Der große Erfolg hat die Initiatoren ermutigt, gleich noch ein Fortsetzungsprojekt anzupacken: Demnächst soll die Geschichte des Strandbads von 1970 bis heute dargestellt werden. Wer Exponate, Filme oder Geschichten dazu beitragen kann, möge sich an Harry Sternberg (Tel. 0880/2706) oder Conny Bader (0173/162 8076) wenden.
Die Ausstellung im "Mezzavia", Mühlstraße 4, ist noch bis 7. August geöffnet: Bei schönem Wetter täglich; ansonsten montags, donnerstags und freitags von 14 bis 20 Uhr und am Wochenende von 12 bis 20 Uhr. Weitere Infos im Internet unter www.strandbadfreunde.de