Ungewöhnliches Hobby:Die Königinnen von Machtlfing

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Seit Susanne und Michaela Grötsch ein Bienenschwarm zugeflogen ist, sind die Zwillingsschwestern Imkerinnen mit Leib und Seele. Urlaub machen sie längst nicht mehr

Von Astrid Becker, Machtlfing

Es ist dieser zweite Imkerhut. Wäre er nicht gewesen, dann wäre Susanne Grötsch wohl nicht Imkerin geworden. Vielleicht hatte ihre Zwillingsschwester Michaela schon so etwas geahnt und rein vorsorglich gleich die typische Imkerschutzkleidung in doppelter Ausfertigung besorgt. Denn wenn man die beiden 30-jährigen Machtlfingerinnen heute über die Imkerei sprechen hört, denkt man, es sei nie anders gewesen.

Doch Susanne Grötsch hatte mit Bienen oder der Honigherstellung erst mal nichts im Sinn. Bei ihrer Zwillingsschwester Michaela war das anders. Als eine gemeinsame Freundin vor elf Jahren auf die Idee kam, einen Imkerkurs in Landsberg zu besuchen, war Michaela sofort dabei. Schon der Urgroßvater hatte Bienen besessen, doch dass ihr das Imkern deshalb im Blut liege, mag sie nicht behaupten. Vielmehr, so sagt sie, sei ihr Antrieb damals eher ihrer Neugier geschuldet gewesen: "Nur eines habe ich nicht bedacht: wie umfangreich das ist und wie sehr in die Tiefe gegangen wird." Ein Jahr habe die Ausbildung gedauert, der Kurs immer einmal im Monat stattgefunden. Erst Theorie, später Praxis am Lehrbienenstand: "Wir waren damals schon der erste Kurs, der geteilt werden musste, weil der Andrang so groß war." Michaela Grötsch hat für das wieder erwachende Interesse an einem Metier, das lange Zeit als altbacken galt, gleich mehrere Erklärungen parat: Da seien die besseren Fachberater, die mit ihrem Wissen Begeisterung dafür hervorriefen. Da sei das gesteigerte Bewusstsein für die Natur.

Und da ist offenbar auch noch etwas anderes: Die Entdeckung des weiblichen Geschlechts in der Zunft der Imker. Jahrhundertelang blieb diese Welt den Frauen verborgen: Sie galten als unrein. Dies, so die feste Überzeugung damals, führe zum Auszug der Bienen. Auch als sich die rein auf Familie und Haushalt beschränkte Rolle der Frau vor etwa 100 Jahren zu wandeln begann, änderte sich in der Imkerei nichts. Vorurteile gegen Frauen wurden sogar weit darüber hinaus, fast liebevoll, gepflegt. Noch heute werden in Internetforen Aussagen zitiert, denen zufolge Frauen die körperliche Kraft fehle, um die schweren Beuten zu schleppen, wie die Holzkisten mit den Bienenwaben im Fachjargon genannt werden. Auch Michaela und Susanne Grötsch haben damit ihre Erfahrungen gemacht. Die Schwestern sind Imkern begegnet, die nicht mit ihnen, sondern nur mit ihren Männern über Bienen geredet haben: "Dabei imkern die beiden gar nicht." Doch lassen sich Frauen von Vorurteilen heute nicht mehr schrecken und entdecken mehr und mehr ihre Liebe zu dieser Art von Tierhaltung. Im Landkreis Starnberg zum Beispiel gibt es seit einiger Zeit einen reinen Imkerinnen-Stammtisch, der sich einmal im Monat im "Georg Ludwig" in Maising trifft. Auch Michaela und Susanne Grötsch sind regelmäßig dabei: "Dort kann man Erfahrungen austauschen, über Fehler sprechen, die man gemacht hat, ohne dass man dumm angeschaut wird", erzählen sie.

Denn mit der Imkerei ist es so eine Sache. "Es gibt keinen einzigen Tag, an dem wir nicht etwas Neues dazulernen. Die Bienen stellen einen immer vor neue Herausforderungen", da sind sich beide Schwestern einig. Überhaupt ähneln sie sich sehr - auch wenn sie selbst nicht wissen, ob sie eineiige oder zweieiige Zwillinge sind. "Das konnte bei uns nicht herausgefunden werden." Beide sind blond, beide haben blau-graue Augen, Michaela ist nur etwas größer als Susanne. Doch im Grunde spielt dies alles für sie keine Rolle. Sie wirken recht bodenständig, legen Wert auf Familie und Zusammenhalt, wohnen sogar Tür an Tür. Ein Leben ohne die andere - unvorstellbar.

Keine Angst vor Bienen: Die Zwillingsschwestern Michaela (links) und Susanne Grötsch aus Machtlfing betreiben zusammen eine Imkerei. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

So gesehen, verwundert es nicht, dass auch Susanne trotz ihrer anfänglichen Unlust auf die Imkerei diese dann doch für sich entdeckte. Heute steht sie ihrer Schwester in nichts nach, schon gar nicht in dem Gefühl, die Imkerei als essenzielles Bedürfnis zu begreifen - trotz der vielen Arbeit, die sie vor allem in der warmen Jahreshälfte bereitet. "Da Urlaub machen - unmöglich. Ich bin einmal für eine Woche in den Schwarzwald gefahren, das war nur Stress vorher und nachher. Das mache ich nie mehr", sagt Michaela. Acht Völker haben die Schwestern mittlerweile, jedes davon trägt einen eigenen Namen, Anna zum Beispiel oder Sepp: "Wir nennen sie je nach Charakter." Denn ein Bienenvolk, so sagen beide, bestehe nicht aus 40 000 oder 50 000 Einzelindividuen. "Sie bilden zusammen einen einzigen Organismus, und so muss man sie auch begreifen." Ihren verschiedenen Völkern können sie sich heute auch mal nur im T-Shirt nähern. Das war nicht von Anfang an so. Damals trugen die Schwestern recht viele Stiche davon. "Das Beste ist dann, sie auf natürlichem Weg ausheilen zu lassen", sagen sie, "bloß nicht mit Kortison oder gar Antibiotikum zu behandeln." Da fielen die Schwellungen bei den nächsten Stichen noch dicker aus, sagen sie.

Heute haben beide damit keine Probleme mehr: Die Bienen kennen sie. Tatsächlich verfügen diese Tiere über einen sehr ausgeprägten Geruchssinn. Das mag vielleicht auch die Erklärung dafür sein, warum die Bienen ihren Imkerinnen sogar anmerken, ob sie gut oder schlecht gelaunt sind: "Ich habe mir aus Erfahrung angewöhnt, bevor ich zu den Bienen gehe, durchzuatmen, den Kopf frei zu bekommen, das ist dann wie so eine Art Meditation", sagt Michaela Grötsch. Und auch ihre Schwester meint, dass Aggression etwas sei, was Bienen nicht ausstehen könnten. Aber da ist noch viel mehr, was die beiden Frauen an diesen Lebewesen fasziniert. Es sind vor allem die verschiedenen Erkenntnisse, die sie durch sie gewonnen haben. Zum Beispiel, und das mag gerade für Laien überraschend klingen, "dass es bei der Imkerei nicht um Honig geht." Davon, sagen beide, könne man ohnehin nicht leben. Ein Volk bringe "vielleicht noch acht bis zehn Kilo Honig, nicht mehr." Ein Pfund liege dabei derzeit bei einem Preis von fünf bis 5,50 Euro. Etwas besser sehe da die Bestäubungsleistung der Bienen aus, die theoretisch einen Wert von 3000 Euro pro Volk im Jahr habe. Allerdings setzten die Deutschen in diesem Punkt mehr auf Hummeln - anders als die Amerikaner oder die Kanadier, für die genau das Bestäuben eine wichtige Einnahmequelle darstelle.

Dann seien da ja auch noch die Kosten für die Parasitenbekämpfung und die Anschaffung neuer Völker. Eines koste etwa 100 Euro, sagen sie. Ökonomisch gesehen, ist die Imkerei also ein ordentliches Verlustgeschäft - zumal auch noch viele andere Gefahren von außen drohen, die die ohnehin wirtschaftlich miese Lage weiter verschlechtern. Der Klimawandel beispielsweise. 2013, so erzählen die beiden Machtlfingerinnen, sei ein ganz schlechtes Jahr gewesen. "Wir hatten nur Zementhonig." In der Imkersprache wird dieses Phänomen Melezitose genannt. Hervorgerufen wird es vor allem von Ausscheidungsprodukten der Schwarzen Fichtenrindenlaus. Dadurch entsteht ein Dreifachzucker, der den Honig sehr trüb und extrem dick erscheinen lässt. Für die Menschen gilt er als gesund, für die Bienen jedoch ist er tödlich: Er ist schwierig zu gewinnen, muss aber aus den Waben, durch ein sehr aufwendiges Verfahren, beseitigt werden. Anderenfalls gehen die Völker an Hunger zugrunde. Daher wird Melezitose vor allem von kleinen Betrieben ohne große technische Ausstattung wie dem der Grötsch-Schwestern gefürchtet: "Wir hatten gar keinen normalen Honig, kämpften um unsere Bienen und mussten uns laufend bei den Leuten entschuldigen, die gern Honig gehabt hätten." Aber da seien auch noch die großen modernen Mähmaschinen der Bauern und die vielen Spritzmittel, die die Bienen töteten oder schwächten: "Ein starkes Bienenvolk", so sagen die beiden Schwestern, "käme locker mit der allseits bekannten und als größte Gefahr hingestellten Varroa-Milbe zurecht, aber damit nicht."

Dennoch habe sich bereits vieles zum Besseren gewendet, sagen die beiden Frauen. Jüngstes Beispiel für sie: die Veranstaltung des Vereins Zivilcourage gegen Agro-Gentechnik für den Landkreis Starnberg, bei der der Präsident des europäischen Berufsimkerverbandes, Walter Haefeker, über die geplanten Freihandelsabkommen mit USA und Kanada sprach. Was die beiden Damen so besonders freut: Die Veranstaltung fand in Kooperation mit dem Bienenzuchtverein Starnberg und dem Bundesverband Deutscher Milchviehhalter statt. Denn sie wünschen sich einen stärkeren Zusammenhalt zwischen Viehzüchtern, Obstbauern, Imkern, Jägern und Förstern, um zum Wohle aller die Erwerbsquelle Natur besser zu schützen. Wie wichtig diese sei, erführen sie jeden Tag von ihren Bienen, sagen sie. "Man fängt an, bewusster in die Landschaft zu schauen, sogar bewusster zu leben."

Damals, als Michaela ihre einjährige Ausbildung zur Imkerin abschloss, ahnte sie das freilich noch nicht. Als ihr jedoch wenig später ein Bienenschwarm zuflog, wertete sie dies als Zeichen, selbst mit dem Imkern zu beginnen. Doch das Einfangen des Schwarms erwies sich beim ersten Mal noch als etwas schwierig. Michaela brauchte Hilfe. Ihre Schwester schnappte sich den zweiten Imkerhut - und von diesem Moment war auch für Susanne Grötsch nichts mehr wie es zuvor war. Die Bienen hatten ihr Herz erobert.

© SZ vom 28.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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