Tutzing:Zufluchtsort Kustermann-Villa

Eine Münchner Familie kam in der Nachkriegszeit in Tutzing unter. Die Tochter übergab die Dokumente jetzt dem Archiv

Von Manuela Warkocz, Tutzing

In alten Familienunterlagen stieß Margareta Schaefer aus Baldham kürzlich auf Dokumente aus der Nachkriegszeit: Sie fand eine Fahrrad-Karte ihrer Mutter Amalie Sprinkhart und eine zeitweilige Registrierungskarte der Amerikaner, beide ausgestellt 1945 in Tutzing. In der Seegemeinde war Margareta mit ihren Eltern 1944/45 zuerst in der Kustermann-Villa, später im Beringerheim und schließlich im Kustermann-Gärtnerhaus untergekommen. Die Funde ließen bei der Baldhamerin wieder Kindheitserinnerungen wach werden. Ein Klassentreffen in Tutzing war jetzt für Margareta Schaefer der Anlass, die 70 Jahre alten Original-Dokumente dem Tutzinger Archiv zu übereignen. Archivarin Roswitha Duensing freut sich über solche historischen Belege des Alltagslebens in den Nachkriegsjahren. Davon gibt es bislang nicht allzu viele in den Tutzinger Unterlagen

Die Familie Sprinkhart war 1944 in München bei einem Angriff ausgebombt worden, ihre Wohnung am Rindermarkt war nicht mehr bewohnbar. Mutter Amalie hatte im nahegelegenen Eisen- und Haushaltswarengeschäft Kustermann gearbeitet. Auch der Laden war teilweise zerstört worden, ebenso bei weiteren Angriffen das zweite Ladengeschäft an der Karlstraße sowie das Lagerhaus und die Fabrik der Kustermanns. Die vermögende Unternehmerfamilie zeigte sich dennoch sozial. Vater und Mutter Sprinkhart fanden mit dem zweijährigen Töchterchen Margareta Aufnahme in der weißen Villa Kustermann in Tutzing, mitten in einem Park am See. 1945 allerdings beschlagnahmten Amerikaner das Anwesen. "Wir wurden in das Beringer Heim in Tutzing verbracht", erzählt Margareta Schaefer. Das wenige, was die Familie noch an Möbeln hatte, luden Soldaten auf einen Lastwagen. "Unser Sofa wollten die aber nicht mitnehmen. Das war ihnen wohl zu schwer. Da hab ich so gebrüllt, weil das Sofa doch mein Lieblingsplatz war", sagt die Zeitzeugin. Im Alten Beringerheim bezieht die Familie ein Zimmer.

Um mobil zu sein, lässt sich Amalie Sprinkhart am 17. Oktober 1945 die nötige Fahrrad-Karte ausstellen. Das vergilbte deutsch-englische Dokument nennt als Fabrik-Marke "Adler-Rad", die Kennzeichnung Damenrad ist durchgestrichen. "Vermutlich konnte meine Mutter ein Herrenrad aus München herausbringen, wohl das meines Vaters", mutmaßt die Tochter. Gestempelt und unterzeichnet ist die "Bycicle card" mit "Das Bürgermeisteramt Tutzing" und "The Mayor of Tutzing". Die "Temporary Registration" des "Military Governmetn of Germany" samt Fingerabdruck ist in Tutzing am 5. Oktober 1945 ausgestellt, unterschrieben von "Captain Melvin W. Nitz, Landkreis Starnberg".

Für die Kustermanns soll Amalie Spinkhart in Tutzing möglichst rasch den Besitz im Auge behalten. Margareta Schaefer ließ dem Archiv in Auszügen ein Schreiben vom 28. Februar 1946 zukommen, das Hubert Kustermann an ihre Mutter adressierte: "Sie sind von meinem Bruder und mir als Hausmeisterin und Beschliesserin in Tutzing eingesetzt . . .und ich bitte Sie auch weiterhin diese verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. . . Ich bitte Sie darauf zu achten, dass alles fremde Eigentum sofort dem Bürgermeister von Tutzing zur Verfügung gestellt wird. Ich hielte es für richtig, wenn Sie Ihren persönlichen Umzug möglichst bald bewerkstelligen würden, damit Sie wieder im Anwesen wohnen. . .Nach Angabe des Bürgermeisters von Tutzing wird das Gärtnerhaus als landwirtschaftlich genütztes Anwesen betrachtet und unterliegt deshalb keiner Beschlagnahme". Bis 1962 wohnen Spinkharts im Gärtnerhaus, gemeinsam mit weiteren Flüchtlingen und der Gärtnerfamilie. Margareta geht in Tutzing zur Schule.

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