Die aktuelle Sonderausstellung im Ortsmuseum Tutzing würdigt nicht nur den Künstler Walter Becker, sie spiegelt auch ein Stück Tutzinger Geschichte. Unter dem Titel "Die frühen Jahre" zeigt Andreas Hoelscher, der Beckers Nachlass verwaltet, bereits zum zweiten Mal eine Auswahl aus dem Werk des vielseitigen Künstlers, der von 1938 an in Tutzing lebte und dort 1984 starb. Bis Anfang November sind die Zeichnungen, druckgrafische Arbeiten, Illustrationen und bemalte Keramik zu sehen, die bis in die 1950er Jahre den Schwerpunkt von Beckers Arbeit bildeten. Es sei die erste Einzelausstellung seit mehr als hundert Jahren, die Becker als Grafiker und Zeichner gewidmet ist, sagt Hoelscher.
Der Künstler Walter Becker hatte viele verschiedene Facetten. 1893 in Essen geboren, absolvierte er zunächst eine Ausbildung an der Kunstgewerbeschule Essen und studierte dann an der Kunstakademie Karlsruhe bei Walter Conz und schließlich in Dresden bei Karl Albiker. Früh machte er sich mit Illustrationen zu Werken der Weltliteratur einen Namen. 1924 heiratete er die Französin Yvonne von König, sie war die Stieftochter des Malers Leo von König. Das Paar lebte bis 1936 in Cassis-sur-Mer in Südfrankreich. Als die Orte an der Cote d'Azur sich bereits mit deutschen Exilanten gefüllt hatten, kehrte das Ehepaar Becker nach Deutschland zurück: Sie lebten hauptsächlich von Mieteinnahmen aus Berlin, die sie jedoch aufgrund der Devisenbewirtschaftung nicht mehr nach Frankreich transferieren konnten.
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1937 wurden Beckers Bilder aus dem Folkwang-Museum und aus der Städtischen Kunsthalle Mannheim entfernt. Andreas Hoelscher vermutet jedoch, dass Becker Mitglied der NSDAP war. 1941 erhielt er einen Ruf an die Kunstakademie Karlsruhe. Kurz darauf versiegelte die SS sein Berliner Atelier und er wurde durch versteckte Drohungen gezwungen, vom Vertrag zurückzutreten. Es sollte bis 1951 dauern, bis Becker tatsächlich eine Professur in Karlsruhe antreten konnte. In Tutzing hatte Becker mit seiner französischen Frau die Kriegsjahre "im gleichgesinnten Freundeskreis" verbracht, wie er in seinen Lebenserinnerungen schrieb.
Eine enge Freundschaft entwickelte sich dort zwischen dem Ehepaar Becker und dem Cellisten Ludwig Hoelscher und seiner Frau Marion. Die Beckers besuchten auch die Hauskonzerte, bei denen Hoelscher mit Elly Ney und Wilhelm Kempff auftrat, mit Künstlern also, die dem NS-Regime eng verbunden waren. Gleichzeitig pflegte Becker eine lange Anglerfreundschaft mit dem Tutzinger Ferdinand Derigs, der 1945 von der amerikanischen Militärregierung als Bürgermeister eingesetzt wurde und in dieser Eigenschaft unter anderem mit General Eisenhower verhandelte.
Diese Männerfreundschaft ist nun auch in der aktuellen Ausstellung dokumentiert: Zum einen durch eine Reihe von Tuschezeichnungen, die zu Derigs 65. Geburtstag entstanden und zum anderen durch eine Bilderzählung, in der Becker mit spitzer Feder und im Zeichenstil von Wilhelm Busch einen Angelausflug voller Tücken darstellt. Von ihm illustrierte Bücher und von ihm bemalte Keramik sind in einer weiteren Vitrine versammelt. Eine ganze Wand ist der wundersam altmodisch anmutenden Erzählung über ein "Liederliches Mädchen" gewidmet und eine weitere Wand den vier Holzschnitten aus dem Jahr 1919, die wohl zu den Höhepunkten in Beckers Werk gezählt werden dürfen.
Diese ausdrucksstarken Porträts gehören dem Tutzinger Sammler Joseph Hierling, sind aber nicht Teil der Sammlungsbestände, die er bereits an das Buchheim-Museum abgegeben hat. Ein fünfter Holzschnitt in spannungsvoll expressiver Bildsprache trägt den Titel "Einsamer". Man könnte dieses Blatt aus dem Jahr 1918 so deuten, dass es bereits auf die schweren Depressionen verweist, unter denen Becker später zu leiden hatte.
Insbesondere nach dem plötzlichen Tod seiner Frau im Jahr 1957 sei der Maler in ein tiefes Loch gefallen, berichtet Andreas Hoelscher, der Becker als Freund und Nachbarn seiner Eltern gut kannte. Er selbst habe gesehen, wie er eines Tages seine Bilder im Garten verbrennen wollte, weil er von tiefen Selbstzweifeln geplagt wurde. Seiner Mutter Marion Hoelscher sei es jedoch immer wieder gelungen, ihn zu bestärken und zum Malen zu motivieren. Die Zeit in Südfrankreich, wo weiterhin Illustrationen für deutsche Buchverlage entstanden, bezeichnete Becker rückblickend als "die schönsten Jahre meines Lebens".
Die Ausstellung "Walter Becker - Die frühen Jahre" im Ortsmuseum Tutzing ist noch bis zum 5. November jeweils Mittwoch, Freitag, Samstag und Sonntag von 14 bis 17 Uhr zu sehen.