Süddeutsche Zeitung

Tutzing:Von der Ilkahöhe ins Mittelalter

Das Gitarrenduo Nicolette Landgraf und Nadja Offinger spielt in der Kirche St. Nikolaus Transkriptionen des Franzosen Marc Le Gars und Musik des Barockkomponisten Silvius Leopold Weiss

Von Reinhard Palmer, Tutzing

Die Ilkahöhe über Tutzing mit ihrer grandiosen Aussicht über See und Alpen ist ein magischer Ort. Schade nur, dass auch vor dem einst hier gelegenen Dorf Zeismering die kompromisslose Barockisierungswelle nicht Halt gemacht hatte. Die spätmittelalterliche Kirche St. Nikolaus würde die Anhöhe weit mehr entrücken, als es die in Oberbayern so geläufige Version von 1723 tut. Und hätte auch eine stimmigere Kulisse vor allem zu den Transkriptionen keltischer und mittelalterlicher Stücke abgegeben, zumal das heute rudimentäre Oberzeismering von der Lage her mit keltischen Siedlungen Gemeinsamkeiten aufweist, die Kuppe der Anhöhe gar an ein keltisches Hügelgrab erinnert.

Entscheidend war für dieses von der Tutzinger Pfarrei St. Joseph ausgehende Benefizkonzert (zugunsten der Renovabis-Pfingstaktion) allerdings, dass sich der Gitarrenklang bestens dafür eignet, die melancholische, sehnsuchtsvolle Grundstimmung dieser alten Musik zu erfassen. Das Duo Nicolette Landgraf und Nadja Offinger hatte ein Programm zusammengestellt, das vor allem auf Schönklang und warme, runde Tonbildung abzielte. Auch wenn das Repertoire vom Entstehungsort her nicht ganz konsistent war, stammte doch Silvius Leopold Weiss aus dem schlesischen Grottkau, heute im südwestlichen Polen gelegen. In seiner Suite Nr. 2 in D-Dur vom englischen Typ entwarf Weiss eine Reihe geschmeidiger Tänze, die die Leichtigkeit des 18. Jahrhunderts zelebrieren. Als Lautenist verstand es Weiss, die Vorzüge und Charakteristika der gezupften Saiteninstrumente optimal in Szene zu setzen. Für zwei Gitarren vom erfahrenen Duospieler Volker Niehusmann gesetzt, gewann das Stück an Klarheit der Stimmführung und vor allem an Klangvolumen. Was bei dem relativ leisen Instrument das Gestaltungsspektrum im Sinne feinsinniger Differenzierung deutlich erweiterte. Gerade im feierlichen Prelude und im Finale der Giga bekamen die filigranen Passagen so eine plastische Rundung. Wie schon im anonymen "La Rosignoll" (Nachtigall) zuvor, nutzten die Gitarristinnen dies vor allem zur Gestaltung von Melodien und Themen, die sich auf diese Weise über die fließend begleitenden, in behutsam rhythmisierter Bewegung gehaltenen Geflechte einfühlsam emporhoben.

Was der französische Gitarrist Marc Le Gars unter den Überschriften "Paysages Celtiques", "Memoires Celtiques" und "Les Mabinogion" (benannt nach der Sammlung von mittelalterlichen walisischen Erzählungen) an keltischer und mittelalterlicher Musik transkribiert hatte, lag in seiner elegischen Melancholie von der Atmosphäre her nicht gar so weit von Weiss' slawischen Lyrik entfernt.

Hier wie dort ging es vor allem um eine seelentiefe Empfindsamkeit, die im Kontext mit Pfingstsonntag und der Feier der Ausgießung des Heiligen Geistes, dem Pfingstwunder, ein durchaus stimmiges Bild ergab. Mit Texten religiösen Inhalts - Hymne, Sequenz, Lied, Gebet -, vorgetragen vom Schweizer Klinikseelsorger im Klinikum Ingolstadt, Lorenz Gadient, entstand so eine Art Meditation zu dieser christlichen Thematik.

Gitarrenmusik an sich ist in der Regel schon eine Art Seelenmassage, wirkt sich doch der Klang des Instruments überaus wohltuend aus. Die sehnsuchtsvolle Variante der keltischen und mittelalterlichen Musik verstärkte diesen Effekt. Doch keinesfalls auf esoterisch-betuliche Art, auch wenn das Duo Landgraf und Offinger vom kultivierten, edel geformten Ton zu keinem Zeitpunkt abrückte. Doch die Lieder darunter fesselten mit ihrem erzählerischen Duktus. Als Tänze identifizierbare Stücke wahrten zwar meist die Melancholie, gerieten aber in ihrer Rhythmisierung bisweilen in unaufhaltsam vorantreibende Bewegung oder ins Wogen. Für die konzentriert lauschenden Hörer in der gänzlich gefüllten Kirche St. Nikolaus taten sich jedenfalls ganze Ausdruckswelten auf. Brahms' Wiegenlied folgte als Zugabe.

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SZ vom 08.06.2017
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