Tutzing:Späte Bescherung

Tutzing: Anmerkungen zur Geschenkeschlacht: Maria Peschek, Christian Ude, Brigitta Rambeck und Michael Skasa (von links) bei der Lesung in Tutzing.

Anmerkungen zur Geschenkeschlacht: Maria Peschek, Christian Ude, Brigitta Rambeck und Michael Skasa (von links) bei der Lesung in Tutzing.

(Foto: Arlet Ulfers)

Die vorweihnachtliche Lesung mit Peschek, Rambeck, Skasa und Ude in der Evangelischen Akademie

Von Gerhard Summer, Tutzing

Oh Gott, wie konnte das nur passieren! "Erna, der Baum nadelt!", "ei Schorsch, was mach'n mir denn 'etzt?" Die Breitlingers kommen zum Glück auf die Idee, den Notdienst vom botanischen Institut zu verständigen. Nachbarn klingeln an der Wohnungstür, weil sie von der Sensation gehört haben. Bald trifft ein Professor samt Studenten im Schlepptau ein und doziert über das Naturschauspiel am Heiligen Abend. Das Wohnzimmer der Breitlingers füllt sich, alle reden durcheinander, Fotos entstehen. Und als Erna gerade das Fernsehen informieren will, weil das nun wirklich ein dickes Ding ist, hört der Baum abrupt auf zu nadeln.

Das hessische Dramulett stammt aus der Feder von Robert Gernhardt, es gehört zu den Weihnachtssatiren, die hübsch abgedreht und völlig sinnfrei sind. In diesem Fall markierte es das wunderbare Ende eines Abends, der eher zäh begonnen hatte: der Lesung "Stade Zeit und blanke Nerven". Maria Peschek, Brigitta Rambeck, Michael Skasa und Christian Ude waren mit dem Pianisten Frederic Hollay gekommen, um dem Freundeskreis der Evangelischen Akademie Tutzing Reverenz zu erweisen. Ihr Auftritt nahm sich wie die Geduldsprobe vor der Bescherung aus: Die Vorfreude ist groß, aber dann dauert es doch, bis die ersten Preziosen auf dem Tisch funkeln.

Schon Pescheks Einstieg war merkwürdig fahrig und in den hinteren Reihen schwer zu verstehen, weil die Kabarettistin in ihrer Rolle als niederbayerische Ratschkathl so nuschelte. Ex-OB Christian Ude wiederum hatte es darauf angelegt, die ganze Abscheulichkeit des weihnachtlichen Rottach-Egern mit Ludwig Thomas "Heiliger Nacht" zu kontrastieren, wobei die Originalpassagen die Peschek brummte. Eigentlich eine feine Idee. Aber zum einen zogen sich die detaillierte Beschreibungen so barock und schwer an Adjektiven dahin wie die mäandernden Reden des ehemaligen Oberbürgermeister. Denn Ude ließ nichts aus: weder das riesige Hotel Überfahrt, jene "Lichtmaschine", die eher nach Dubai oder Las Vegas passen würde, noch das mit goldenem Dacherl gezierte Firmenschild. Und zum anderen: Der Kabarettist wollte die Thoma-Fans widerlegen, die behaupten, der Meister habe die "Heilige Nacht" nur in dieser Umgebung schreiben können. Schön und gut. Aber zwischen der Entstehung des Textes 1915/1916 auf dem Hof über Rottach-Egern und Udes Spaziergang durch den Ort dürften mindestens sieben Jahrzehnte liegen.

Der frühere Radio-Moderator und Theaterkritiker Michael Skasa entschädigte dafür mit einem feinen Thoma-Essay und der berührendsten Geschichte des Abends: dem von Fritz Vincken überlieferten "Zwischenfall im Hürtgenwald", der 1944 während des Ardennen-Feldzugs spielt und 2002 in Kanada verfilmt worden ist ("Silent Night"). Der Inhalt: Einer Mutter gelingt ein Weihnachtswunder, sie versöhnt Feinde, zumindest einen Heiligen Abend lang: drei amerikanische und vier deutsche Soldaten, die durch die Gegend geirrt waren und junge Kerle im Alter zwischen 16 und 23 Jahren sind.

Die Lesung in der Akademie hatte inzwischen Fahrt aufgenommen. Pianist Holley gab seinem Faible fürs Potpourri nach und kam in einem Rutsch von "O Tannenbaum" über "Jingle Bells" zu "White Christmas". Peschek steuerte, diesmal gut verständlich, Briefe ans Christkind bei, in denen italienische Kinder ihr Herz ausschütten. Die Texte kommen lustig daher ("Könntest du mein Brüderchen wieder dahin bringen, wo's hergekommen ist?"), haben es aber in sich: Ein Bub, der bisher nur Zettel mit "herzlichsten Glückwünschen" bekam, wünscht sich ein Paar Turnschuhe in Größe 40, bitte nicht 38, und schließt: "Danke und die herzlichsten Glückwünsche". Brigitta Rambeck, die besonnene Moderatorin des Abends, las mit sonorer Stimme Elli Kauts Geschichte von erdrückender Liebe ("Der Hase"). Die Peschek packte einen sarkastischen Paula-Pirschl-Sketch aus. Und Ude schob die Geschichte mit Münchens ehemals dümmsten Entmieter hinterher, dem der Anwalt Ude das Handwerk legte. Was der Weihnachtsbaum nach dieser Aufholjagd tat? Er hörte auf zu nadeln.

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