Bildung im Landkreis Starnberg:Die Schule für Langschläfer

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Die Create School pflegt einen besonderen Unterrichtsstil. Hier lässt sich der Siebtklässler Leon Kaschke von seinem Mathelehrer Gokhan Gulecoglu die Hausaufgabe erklären. (Foto: Arlet Ulfers)

An den Create Schools in Tutzing beginnt der Unterricht um 10 Uhr vormittags, und das ist nicht die einzige Besonderheit der Privatschule. Ein Unterrichtsbesuch anlässlich des zehnjährigen Bestehens.

Von Carolin Fries, Tutzing

Wenn am Freitag an den Create Schools in Tutzing feierlich die Zeugnisse überreicht werden, dann ist das nicht ein Blatt Papier pro Kind. Mehr als 20 Seiten umfasst der „school report“ jeder Schülerin und jeden Schülers. Bis zu zwei Seiten lang sind die Beurteilungen und Einschätzungen der Lehrer pro Unterrichtsfach in den Mappen, in den Hauptfächern sind es bis zu vier Seiten. Noten von eins bis sechs gibt es nicht. „Was bringt das?“, fragt Stefanie Norman. Wie solle eine Ziffer zutreffend beschreiben, wie sich ein Mensch ein Jahr lang mit Mathematik, Deutsch oder Englisch auseinandergesetzt hat? Die 47 Jahre alte Schulgründerin und -leiterin schüttelt den Kopf.

Sie und Gina Deininger wollten eine andere Schule, als solche, wie sie sie in Deutschland nach ihrem Studium in Großbritannien und Australien – beide Psychologie, Norman zusätzlich Lehramt – kennengelernt hatten. „Die Kinder freuen sich so sehr auf die Schule und haben dann nach einem halben Jahr keine Lust mehr. Das kann doch nicht sein“, erinnert sich Norman. Und dann zähle zunächst nur der Übertritt nach der vierten Klasse. „Die Leidenschaft und die Neugierde gehen verloren“, haben die beiden Frauen beobachtet, die ein paar Jahre für eine Privatschulkette in München als Lehrerinnen gearbeitet haben. Vor allem aber hat sie gestört, dass die gängigen Schulsysteme „gleichmachend“ seien: Alle sollen möglichst in allen Fächern gleich gut sein. Das löse viel Frust aus. Dabei sei doch klar, dass die Menschen in unterschiedlichen Bereichen individuelle Stärken und Begabungen haben. „Das können wir besser“, dachten sie sich – und gründeten ihre eigene Schule.

Weil sie in München keine Räume fanden und Nähe zur Natur ein wichtiges Kriterium bei der Standortwahl war, landeten sie in Tutzing am Starnberger See. Zehn Jahre ist das her, im September wird gefeiert. „Das heißt schon was, wenn sich eine Schule so lange halten kann“, sagt Dirk Rosenberg. Der Sportlehrer aus Bernried ist von der ersten Stunde an dabei, „wie ganz viele meiner Kolleginnen und Kollegen“, betont er. Es gebe kaum Wechsel, die Stimmung sei gut. Der 70-Jährige unterrichtet inzwischen zwar nur noch zweieinhalb Stunden in der Woche, doch in dieser Zeit alle Grundschüler und die Jungs der fünften bis achten Klasse. Rosenberg gefällt die Internationalität der Schule, dass man sich in Englisch unterhält. „Und den Schulbeginn um 10 Uhr finde ich gut. Da haben alle gefrühstückt und sind wach.“

Der späte Unterrichtsbeginn ist eine Besonderheit der Create Schools, die nach dem internationalen Modell der Cambridge School unterrichtet. Ausgeruht soll es ans Lernen gehen, dafür dauert der Unterricht bis 16 Uhr. Hausaufgaben gibt es zumindest bis zur sechsten Klasse nicht. Die Grundschule, Foundation genannt, dauert vier Jahre, dann geht es mit der High School weiter, die in der zehnten Klasse mit den IGCSE-Prüfungen abschließt, die der Mittleren Reife entsprechen. Im zweijährigen College können schließlich A-Level-Prüfungen in drei Fächern abgelegt werden, was einem Fachabitur entspricht. „Das ist richtig anspruchsvoll“, sagt Deininger.

Die Schulgründerinnen haben sich bewusst gegen den ebenfalls international anerkannten IB-Abschluss in fünf Fächern entschieden, welcher der Allgemeinen Hochschulreife entspricht und wie man ihn an den International Schools ablegt. Sie wollen gezielt Talente und Begabungen fördern; vor allem, wenn es in Richtung Abschluss und Studium geht. „Da soll Mathematik nicht aufhalten, wenn man es nicht mag“, sagt Norman. Sondern sich auf seine Schokoladenfächer konzentrieren, etwa Sprachen, Naturwissenschaften oder auch Psychologie und Soziologie.

Gina Deininger (links) und Stefanie Norman haben die Schule vor zehn Jahren gegründet. (Foto: Arlet Ulfers)
Erinnerungen, wie ein gutes Miteinander gelingen kann, hängen an der Wand. (Foto: Arlet Ulfers)
Unterricht kann auch aussehen wie ein Treffen am Familientisch: Maureen Worbs (rechts) unterrichtet die sechste Klasse in den Naturwissenschaften. (Foto: Arlet Ulfers)

Morgens um zehn ist es ruhig in dem Industriegebäude, das von außen mehr wie eine Lagerhalle als eine Schule aussieht. Da ist kein Kreischen und Schreien, die letzten Kinder huschen schnell noch in ihre Klassenzimmer. Es gibt keinen Gong, „wir benutzen die Uhr“, sagt Schulsekretärin Ina Vogelgesang. Die Tür zum Garten steht offen: Ein Bach plätschert dort am Spielhaus und an der Slackline vorbei, über eine kleine Brücke führt der Weg in den Wald. Zwischen 90 und 96 Schüler werden hier am Ortsrand unterrichtet. Die staatlich genehmigte Ergänzungsschule, als welche die Einrichtung bis zur achten Klasse formal gilt, und das Examens-vorbereitende Institut von der neunten Klasse an sind kaum bekannt. Auch in Tutzing kennen viele die Schule nicht. „Wir machen keine Werbung“, sagt Gina Deininger. „Mundpropaganda reicht.“ Der neue Bürgermeister Ludwig Horn hat die Schule derweil schon kennengelernt: „Der Kontakt ist gut, der Austausch unkompliziert“, sagt er. Er freue sich besonders, dass die Create Schools sich aktiv ins Gemeindeleben einbringen und zum Beispiel an der Kulturnacht mitwirken.

Unterrichtet wird in der Grundschule eine Woche lang in Englisch und eine Woche lang in Deutsch, später findet der Unterricht überwiegend in englischer Sprache statt. Viele Lehrer sind Native Speaker, viele Schüler aus dem Ausland. „In unseren zehn Jahren hatten wir Schülerinnen und Schüler aus 41 Ländern“, sagt Deininger stolz. Das bereichere den Alltag an der Schule ungemein. Überhaupt gebe es einen breiten Querschnitt durch alle Schichten, ob sozial, intellektuell oder wirtschaftlich. Hochbegabte besuchen die Schule ebenso wie Legastheniker oder Inklusionskinder. „Ganz normale Kinder eben“, so Deininger, die alle nur „Dr. G.“ nennen.

Die 55-Jährige hat ihre Doktorarbeit – vereinfacht gesagt – über kreative Denkprozesse geschrieben. „Wir wollen kritische Kinder, die hinterfragen, statt nur auswendig zu lernen“, sagt sie. Die Schule müsse sie vorbereiten auf die Zukunft, ihnen entsprechendes Werkzeug mit auf den Weg geben: Resilienz, Medienkompetenz, Klimabildung. Im Stundenplan stehen darum auch ungewöhnliche Fächer wie „Global Perspective“, Nachhaltigkeit oder Spanisch als zweite Fremdsprache. Geschichte und Wirtschaft werde aus der Perspektive der Gegenwart und Zukunft unterrichtet und mit der Vergangenheit verknüpft. Wenn in den USA ein Attentat auf den Präsidenten stattfindet, ist das am nächsten Schultag selbstverständlich Unterrichtsthema.

Die Schule an der Ziegeleistraße befindet sich in einem Industriegebäude, das von außen mehr wie eine Lagerhalle aussieht. (Foto: Arlet Ulfers)
Im Garten gibt es Schaukeln, eine Slackline und einen Bach. (Foto: Arlet Ulfers)
Kreatives Gestalten: Im Kunstraum trocknen gebastelte Planeten. (Foto: Arlet Ulfers)

„Mir gefällt, dass es so übersichtlich ist“, sagt ein Grundschüler, der gerade auf dem Weg in ein anderes Zimmer ist. Die Klassen haben maximal 14 Schülerinnen und Schüler und werden bis zur zehnten Klasse von einem Klassenlehrer- oder einer -lehrerin betreut. Ein anderer Junge findet den späten Unterrichtsbeginn gut und grinst frech. Wer sich bei den Create Schools bewirbt, muss einen Auswahlprozess durchlaufen. „Das Mindset muss stimmen“, sagt Deininger, die den Posten der Direktorin und Geschäftsführerin der gemeinnützigen GmbH innehat. Und auch der Geldbeutel: 1378 Euro kostet die Schule monatlich pro Kind, Geschwisterrabatt gibt es nicht. Durchaus aber Stipendien, auch anteilige. Laut Deininger zahlt lediglich die Hälfte der Schüler den vollen Preis. „Wir gestalten das sehr individuell.“ Anlässlich des zehnjährigen Bestehens will die Schule zusätzlich zehn Stipendien vergeben, die bis zu 75 Prozent Schulgeldreduktion für die Grundschuljahre vorsehen. Eine Verlängerung sei im Einzelfall möglich.

Zur Pause kommen ein paar Kinder in den Garten, Schaukel und Slackline sind sofort belegt. Später bekommen sie in der Schule Mittagessen, der Albrechthof aus Polling beliefert die Schule. Die Kinder essen zeitversetzt, weil der Speisesaal nicht groß genug für alle ist. Überhaupt platze die Schule aus allen Nähten, wie Deininger sagt, weshalb sie das College gerne auslagern würde. Doch wohin? Die Direktorin zieht die Schultern hoch. Soll heißen: Räume für eine Schule zu finden, das ist nicht leicht. Doch zum Schuljahresende will sie nicht klagen, sondern feiern: Für die Abschlussfeier ist das Beccult in Pöcking gebucht. Alle Klassen führen etwas vor, es gibt die Zeugnisse und für die Viertklässler zum Erreichen der Highschool Talare und kleine Doktorhüte.

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