Prozess in MünchenPolizist gesteht dutzendfachen Missbrauch an Jungen: "Ich war neugierig"

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Der 60-Jährige war fast 20 Jahre bei der Starnberger Polizei. Er war Jugendwart bei der Tutzinger Feuerwehr, er hat eine Musikgruppe geleitet und war ehrenamtlich beim Kreisjugendring tätig.
Der 60-Jährige war fast 20 Jahre bei der Starnberger Polizei. Er war Jugendwart bei der Tutzinger Feuerwehr, er hat eine Musikgruppe geleitet und war ehrenamtlich beim Kreisjugendring tätig. (Foto: dpa)

Der 60-Jährige muss mit einer Gefängnisstrafe zwischen gut vier Jahren und mehr als fünf Jahren rechnen. Die sexuellen Übergriffe fanden in einem zugesperrten Unterrichtsraum und auf einem Segelboot auf dem Starnberger See statt.

Aus dem Gericht von Christian Deussing

Mit einer blauen Mappe schützt sich der suspendierte Hauptkommissar vor den Kameras am Montag in der 1. Jugendkammer des Landgerichts München II. Dem 60-jährigen Tutzinger wird dutzendfacher sexueller Missbrauch von Jugendlichen und auch Kindern vorgeworfen, die sich ihm bei der örtlichen Jugendfeuerwehr oder in einer Musikgruppe anvertrauten. In beiden Institutionen hat sich der Familienvater ehrenamtlich engagiert. Zudem muss er sich wegen Freiheitsberaubung und des Besitzes von 81 kinder- und 39 jugendpornografischen Schriften verantworten.

Der Tutzinger räumt die Taten über eine Erklärung seiner Anwälte im Prozess ein und bereut sein Verhalten. Mit diesem umfassenden Geständnis hat der Beamte nun zumindest die Chance, mit einer Gefängnisstrafe zwischen gut vier Jahren und fünf Jahren und drei Monaten davon zu kommen. Denn auf diesen Strafrahmen verständigten sich die Parteien - mit einem Urteil wird am Freitag gerechnet.

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Der frühere Beamte der Starnberger Inspektion soll Kindern und Jugendlichen gegenüber zudringlich geworden sein - unter anderem auf dem Polizeiboot.

Von Christian Deussing

Der Angeklagte befindet sich seit 15 Monaten in Untersuchungshaft. Während die 14-seitige Anklageschrift verlesen wird, starrt er auf seine Notizen und schüttelt nur einmal kurz den Kopf. Die Vorwürfe, die Staatsanwalt Marc Heim vorträgt, sind erschütternd: Es geht unter anderem um Übergriffe in einem zugesperrten Unterrichtsraum der Tutzinger Feuerwehr, auf einem Segelboot auf dem Starnberger See und in einem Ferienhaus von Freunden. Er habe auch einem Schülerpraktikanten der Starnberger Polizeiwache, der der Hauptkommissar fast 20 Jahre angehörte, pornografische Bilder und Videos aufs Handy gesendet. Der Anklage zufolge soll er außerdem Sex-Szenen mit seiner Frau ohne deren Zustimmung im Internet hochgeladen und verschickt haben.

Die Familie hat ihn offenbar trotzdem nicht fallen lassen. Seine Ehefrau und beiden Töchter würden ihn regelmäßig besuchen, mit seiner Frau gebe es einen wöchentlichen Briefwechsel. Und an seiner Pinnwand hänge ein Foto seiner damaligen Musikgruppe, welcher auch ein Jugendlicher angehörte, bei dem er sich immer wieder entschuldige. "Ich hatte ihn sehr in mein Herz geschlossen." Es tue ihm unendlich weh, diese "Scheiße" gemacht und sein freundschaftliches Vertrauen mit Füßen getreten zu haben, sagt der Angeklagte unter Tränen. Mit eben dieser Masche habe er als Respektsperson und auf väterliche Art seit dem Jahr 2000 seine jungen Opfer ausgesucht, wirft der Ankläger dem Tutzinger vor. Der betont aber, dass er niemandem Schaden oder Schmerzen habe zufügen wollen. "Ich hatte nie ein Interesse an Kindern, ich bin nicht pädophil." Aber es habe sich so in der "Chemie ergeben und eine Neugier entwickelt", versucht der Angeklagte sein Verhalten vor Gericht etwas nebulös zu erklären.

Zuvor hat er mit ruhiger Stimme sein bisheriges Leben skizziert: Er sei als uneheliches Kind in Unterfranken geboren worden und habe seinen Vater nie kennengelernt. Die Vorsitzende Richterin Regina Holstein hakt nach und will wissen, ob auch er einmal Opfer eines sexuellen Übergriffes geworden sei? Das verneint der 60-Jährige, gesteht jedoch, auch an "Männern durchaus interessiert zu sein."

Der Polizist war in etlichen Vereinen in Tutzing aktiv, leitete die Bläser-Musikgruppe, bis 2006 die Jugendfeuerwehr und war danach bis zu seiner Verhaftung im März 2019 Vorsitzender des Feuerwehrvereins. Er galt als sehr engagiert, umgänglich und zuvorkommend - ebenso beim Kreisjugendring, mit dem er Städtefahrten organisierte. Da sei aber nie etwas vorgefallen, versichert der Tutzinger in der Verhandlung.

Diese wollte auch sein einstiger Polizeichef Bernd Matuschek aus Starnberg mit einer Kollegin besuchen, die sich nach eigenen Angaben mit dem angeklagten Hauptkommissar ein Dienstzimmer geteilt hatte. Laut Matuschek sei der Beamte, der auch Bootsführer war, loyal und zuverlässig gewesen. In der Inspektion sei "nie etwas aufgefallen". Doch wegen der Corona-Auflagen und der begrenzten Plätze im Gerichtssaal hatten die beiden Polizisten, die nicht als Zeugen geladen wurden, keine Chance, dem Prozess beizuwohnen.

Auch ein Rentner aus Tutzing ist gekommen, der sich wundert, dass Polizeikollegen seinerzeit nichts bemerkt hätten. "Das ist kein Ruhmesblatt", meint der Mann. Im Gerichtsgebäude erschienen ist zudem ein Tutzinger, der den Angeklagten bei der Jugendfeuerwehr kennengelernt hat. "Ich war nicht davon überrascht, als voriges Jahr alles herauskam", behauptet der Mann. Er wird von einer Person begleitet, der nach eigener Aussage das Opfer aus dem Raum Augsburg kennt, das im Februar vergangenen Jahres mit einer Strafanzeige die Ermittlungen gegen den Polizisten, auslöste.

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