Süddeutsche Zeitung

Tutzing:Präsenz im Raum

Beim sommerlichen Bilderwechsel in der Akademie für Politische Bildung finden die Kuratorinnen Inge Kurtz und Penelope Richardson mit feinem Gespür für jedes Exponat den richtigen Platz

Von Katja Sebald, Tutzing

Seit mehr als drei Jahrzehnten ist es in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing guter Brauch: der sommerliche Bilderwechsel. Ein ganzes Jahr lang werden auch diesmal in den Gängen und Speiseräumen die "20 Positionen" zu sehen sein: Bilder von zwanzig verschiedenen Künstlerinnen, die in der GEDOK organisiert sind. Die GEDOK, gegründet 1926 als "Gemeinschaft Deutscher und Oesterreichischer Künstlerinnenvereine", ist das europaweit älteste und größte Netzwerk für Künstlerinnen. Die Ausstellung ist nicht nur für Seminarteilnehmer, sondern zu den Öffnungszeiten der Akademie (Montag bis Freitag von 8 bis 17 Uhr) auch für Besucher zu sehen.

Alles wie gehabt also? Keineswegs. Seit 2016 wählen Inge Kurtz und Penelope Richardson als Kuratorinnen und Mitausstellerinnen die Künstlerinnen aus, deren "visuelle und konzeptionelle" Arbeiten sie präsentieren wollen. In diesem Jahr gab es weniger Bewerberinnen als sonst und am Ende ist eine überraschend zurückhaltende Ausstellung entstanden, die es jedoch in sich hat.

Beim Rundgang fällt zunächst auf, dass mit ausgesprochen feinem Gespür für jedes Exponat der richtige Platz gefunden wurde. Es gibt kaum marktschreierische Bilder und keinerlei Effekthascherei. Vielmehr bilden die meisten Werke eine schlüssige ästhetische Ergänzung der vorhandenen Raumsituation, ohne jedoch banal zu sein. Im Grunde sei ihre Malerei in zwei Sätzen erklären, sagt etwa die in München lebende Künstlerin Cigdem Aky: "Ich trage Farbe auf - und reagiere darauf." Nur auf den allerersten Blick könnte man ihre beiden so entstandenen abstrakten Bilder für simpel halten oder gar für zu klein, um damit einen ganzen Raum zu bespielen. Tatsächlich entfaltet sich auf der Leinwand ein subtiles Frage-und-Antwort-Spiel aus lichten Farbtönen, aus glatten und strukturierten Flächen und aus Formen, die so angeordnet sind, dass sich ohne eine eigentlich perspektivische Darstellung eine gewisse Bildtiefe ergibt. Das gezeigte Bildpaar hat eine Präsenz, der man sich kaum entziehen kann.

Formal höchst überzeugend sind auch die beiden Gemälde von Anne Pincus: Unter dem Titel "Hexacoralla" zeigen sie in extrem reduzierter Farbigkeit riesenhafte "Blumentiere", die aus den Leinwänden gleichsam herausquellen. Dass sie in einem Nebenraum des Speisesaals über zwei Rechauds hängen und auf frappierende Weise mit deren weit aufgerissenen Chrom-Mäulern korrespondieren, mag ein Zufall sein - lässt aber ebenso verwirrende wie erheiternde Assoziationen zu.

Die Starnberger Malerin Ulrike Prusseit beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Kleidern, die in Abwesenheit der Trägerin symbolhaft für bestimmte Lebenssituationen oder Handlungsräume erscheinen. In der ihr eigenen Mischtechnik aus Malerei, Collage und Druck variiert sie diesmal auf drei Leinwänden einen kopflos-kühlen Körper mit einer glänzenden schwarzen Daunenjacke und einem Stück Tüll zu einer surreal anmutenden Bildsequenz.

Spätestens vor dem Kaffeeautomaten werden die Seminarteilnehmer dann doch miteinander über die Kunst ins Gespräch kommen, wenn sie auf einem der Bilder von Inge Kurtz "all monsters are human" lesen. Die Künstlerin, die ihre vielschichtig comicartigen Bildgeschichten im Grenzland zwischen echter Welt und virtueller Realität spielen lässt, verweist damit auf Freuds berühmte Schrift "Das Unbehagen in der Kultur", in der er 1930 den Gegensatz zwischen der Kultur und den Triebregungen des Menschen beschreibt.

Mit den Untiefen der menschlichen Psyche und mit zwischenmenschlichen Verwerfungen beschäftigt sich auch Susanne Wagner in ihren bezaubernd schönen, aber gleichzeitig abgründigen Zeichnungen. Weitere Arbeiten sind in Tutzing von Maria Hobbing, Anne Fraaz-Unterhalt, Annegret Bleisteiner, Eva Kollmar, Heidrun Eskens, Hertha Miessner, Penelope Richardson, Monika Humm, Judith Reiter, Ursula Steglich-Schaupp, Partricia Lincke, Ruth Effer, Waldtraud Waldherr, Ayako Koike und Anneliese Neumann zu sehen.

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Quelle:
SZ vom 03.06.2019
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