Lautes Dröhnen und tiefes Gurgeln ertönt, als Rainer Scheinpflug seine Maschine anwirft. Sie ist die älteste auf dem Clubgelände, Baujahr 1929. Als er den Motor wieder abstellt, hängt Ölgeruch in der Luft. 500 Kubikzentimeter Hubraum, Plattenfederungen über dem vorderen Schutzblech und ein Fahrgefühl "wie ein Flugzeugträger auf Land", so beschreibt es Scheinpflug. Mit breitem Grinsen schwärmt der 68-Jährige von seinem "Spandauer Springbock" - ein extrem seltenes Gefährt. So wird das in Berlin produzierte D-Rad R06 der Deutschen Industriewerke aufgrund seiner gewöhnungsbedürftigen Federung unter Oldtimerkennern genannt.
Der Mann mit dem Strohhut ist Mitglied des "Motorrad und Veteranenclub Tutzing". Am Clubhaus im Ortsteil Kampberg, einem alten Bahnhofshäuschen und Schaltwerk an den Gleisen, treffen sich diesen Sonntagvormittag Motorradverrückte zum Frühschoppen. Eine Welt mit klarer Aufteilung: Die Frauen stehen am Getränkestand, die Männer an den Motorrädern. Bei Flaschenbier und Halsgratsemmel präsentieren sie ihre Oldtimer und bewundern die "Veteranen" der Vereinskumpanen.
Die "Veteranen" sind motorisierte Schmuckstücke aus vergangenen Zeiten: BMW, DKW, NSU, Tornax, Ardie, Sunbeam. Alles dabei, was das Oldtimerherz höher schlagen lässt. Ein paar Motorräder waren im Kriegseinsatz - wie die Maschine von Hannes Klinge, unter dessen Clubshirt sich ein Wohlfühlbauch abzeichnet. Das alte Wehrmachtsgespann von 1943 ist in Tutzing ein Hingucker: Auf dem Beiwagen der Zündapp KS750, in dem Klinges Hund Wilson auf Kommando Platz nimmt, ist das Wappen der damaligen Marineeinheit mit Wellen und Möwen aufgemalt.
"Eigentlich ein ganz normales Motorrad" sagt Klinge und genehmigt sich eine Prise Schnupftabak. Mit 400 Kilo und nur 26 PS kein Leichtgewicht. "Die war in Frankreich an der Seine stationiert." Nach dem Krieg hätten französische Behörden diese "Beutemotorräder" dann billig verkauft, so Klinge. So gelangte das Gespann zu einem französischen Briefträger, der seine Post im Beiwagen transportierte. Danach kam die Zündapp über einige weitere Besitzer zurück nach Deutschland. So zumindest erzählt es Klinge. Seit 20 Jahren gehört die Maschine nun ihm. Wie viel er damals bezahlt hat, will er nicht verraten. "Ein Drittel von dem, was sie heute wert ist", sagt er lächelnd.
Rainer Scheinpflug, 68, fährt ein D-Rad, Typ R06, aus dem Jahr 1929.
(Foto: Nila Thiel)Damit die Maschine auch weiterhin "rund" läuft, hat er stets ein eigenes Reparaturset mit dabei.
(Foto: Nila Thiel)Der Hund von Hannes Klinge fährt im Beiwagen mit.
(Foto: Nila Thiel)Joachim Schreyer, 57, ist ein echter Motorrad-Nerd: Er arbeitet bei BMW.
(Foto: Nila Thiel)Er ist mit einem alte Polizeihelm unterwegs.
(Foto: Nila Thiel)Einige Meter weiter steht ein BMW-Enthusiast in Lederkombi und altem Polizeihelm auf dem Kopf. 15 alte Zweiräder der bayerischen Motorenwerke besitzt Joachim Schreyer mittlerweile. "Alles Vorkriegsmodelle", sagt der Sammler aus München stolz. Sein Modell R6 von 1937, mit dem er angereist ist, sei damals an die Berliner Polizei ausgeliefert worden, ehe es dann ebenfalls zum Kriegsdienst musste. "Sie kam nach Paris ins Polizeihauptquartier der Wehrmacht", erzählt der 57-Jährige.
Schreyer arbeitet bei der BMW-Motorradsparte und hat deswegen einige Insider-Tricks auf Lager, um die alte Technik bei Laune zu halten: "Ich tanke nur Flugzeugbenzin", sagt der Ingenieur. Avgas also, "Aviation Gasoline", so sein Geheimtipp. "Am besten mit 1000 Octan." Normaler E5- oder E10-Sprit von der Tankstelle sei für Oldtimer nicht geeignet. "Der verklebt mir die Düsen." In seiner Garage steht deswegen ein Fass Fliegersprit. Der Onkel sei Hobbypilot und könne das beschaffen.
"Der Club ist einfach kultig", schwärmt einer der Biker
Auch längere Fahrten absolviert Schreyer gern auf Oldtimern. Bis ans Nordkap in Norwegen sei er mit einer vergleichbaren BMW schon gefahren. Damit er so weit kommt, hat er im Handgepäck stets etwas Werkzeug dabei, eine handliche Ratsche und ein paar Zündkerzen: Oldtimer-Touren können zur Herausforderung werden. Nicht nur wegen eventueller Spontanreparaturen, sondern auch wegen der Fahreigenschaften. "Wenn du da mal zu schnell über einen Bahnübergang fährst, springst schon mal ein bisserl." Er kenne auch andere Clubs, trifft sich aber am liebsten in Tutzing. "Ich mag die Leute hier", sagt der Ingenieur. Das alte Bahnhofsgebäude sei urig und "der Club hier ist einfach kultig."
Das gilt auch fürs Clubheim, seit 1999 im Bahnhofsgebäude. Sepp Deimel, Schnäuzer und Streifenhemd, gibt einen Rundgang: Bald 50 Jahre ist er her, dass der damals 25-Jährige mit 15 anderen den MVC gründete. Heute ist er 74 und schleicht entlang holzvertäfelter Wände, über denen Rennpokale in Reih und Glied stehen. Es riecht nach Rauch, auf dem Ofen stehen silberne Aschenbecher: Durch Kurvenfahrten abgeschliffene Zylinderkopfdeckel des Boxermotors, die umfunktioniert wurden. Deimel deutet auf einen Polizisten aus Blech, der die PS-Freunde im Vorraum begrüßt. Einst von den "Hells Angels" geklaut steht er nun im Clubheim. "Ich war ja Kriminaler", also Kriminalpolizist, sagt er - und lacht.
Gustav Strauß ist mit seinen 21 Jahren der Jungspund unter den 190 Vereinsbikern.
(Foto: Nila Thiel)Draußen steht noch eine jüngere BMW, Modell R26 von 1956. Der schwarze Lack strahlt in der Sonne. Sie fällt vor allem wegen ihres jungen Fahrers auf. Gustav Strauß, Dreitagebart, Pilotenbrille, ist unter den Graubärten willkommener Nachwuchs. Mit 21 Jahren ist er der Jüngste unter den 190 Tutzinger Bikern. Der KFZ-Mechaniker aus Poing hat den Oldtimer vom Großvater geerbt und wieder aufgebaut. "Die stand davor 20 Jahre in der Garage." Motorradfahren liege in der Familie, auch der Vater ist Clubmitglied. Später schauen noch drei weitere U30-Biker aus Weßling und Gilching vorbei. Zum nächsten Stammtisch am Freitagabend werden sie vielleicht wiederkommen. "Schon wieder drei mehr", sagt Clubgründer Sepp Deimel.