Tutzing:Mit Lucas Cranach in der Hängematte

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Diskutierten über Fiktion und Realität (von links): Moritz Hohlfelder, Michael Verhoeven, Gabriele Rose und Fred Breinersdorfer. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Filmgespräch über Fiktion und Realität mit Michael Verhoeven, Gabriele Rose und Fred Breinersdorfer

Von Gerhard Summer, Tutzing

Die Grenzen zwischen Dokumentation und historisch verbürgtem Spielfilm sind oft fließend. Letztlich geht es immer darum, eine Geschichte zu erzählen, ob sie nun von dem ungarischen Arzt Ignaz Semmelweis handelt, von Lucas Cranach dem Jüngeren oder der tschechischen Schauspielerin und Widerstandskämpferin Anna Letenská. Und in aller Regel ist es das persönliche Interesse oder die eigene Biografie, die damit zu tun haben, dass einen diese Stoffe nicht mehr loslassen - fast so wie der Haken, der den Fisch durchs Wasser zieht.

Authentizität, Verantwortung, Subjektivität und die Frage, wo die eigene Vorstellung beginnt und die recherchierte Realität aufhört - das waren einige der Themen des zweiten Filmgesprächs am See über "Realität und Fiktion: Verfilmte Zeitgeschichte(n)". BR-Moderator Moritz Hohlfelder leitete die Diskussion am Sonntag, zu der die Politische Akademie Tutzing einer der profiliertesten politischen Regisseure des Landes, Michael Verhoeven, die Historikerin Gabriele Rose und den Drehbuchautur und Produzenten Fred Breinersdorfer ("Sophie Scholl", "Elser") eingeladen hatte.

Die Drei machten auch deutlich, welch langen Atem Filmschaffende zuweilen brauchen. Verhoeven, der als Klinikarzt mit Hang zum Amazonas-Hospital und Regisseur ein paar Jahre lang ein "wunderbares" Doppelleben geführt hat, erklärte es am Beispiel seines Films über Semmelweis: Erst arbeitete er drei Jahre an dem Projekt, dann cancelten die Ungarn das Ganze, weil sie lieber mit einem französischen Team arbeiten und nach Paris reisen wollten. Zehn Jahre später ging es doch weiter: József Antall, der vormalige Präsident des Semmelweis-Museums, war inzwischen Ministerpräsident geworden und von Verhoevens Drehbuch überzeugt. Das einzige Problem: Er lehnte alle Hauptdarsteller ab, weil er aufgrund von Röntgenbildern genau zu wissen glaubte, wie Semmelweis auszusehen hat. Am Ende fand einer doch Gnade vor seinen Augen: Heiner Lauerbach. Breinersdorfer wiederum schilderte die Probleme, die er mit dem Film über Anna Letenská hatte. Die Tschechen hätten kein Interesse an dem Thema gehabt und die Deutschen auch nicht, weil sie fanden, das sei ein tschechisches Problem. Am Ende steckte Breinersdorfer viel eigenes Geld rein, um den Film zu realisieren.

Dass es objektive Doku nicht geben kann, machte auch Rose klar: Über Künstler des Mittelalters gebe es kaum Material, trotzdem müsse sie am Ende einen Schauspieler in ein Kostüm stecken und ihn Dialoge führen lassen. Sie verbringe deshalb sozusagen Monate mit dieser zu ergründenden Persönlichkeit, ja, "sie liegt in der Hängematte neben mir". Zuweilen ist auf Quellen auch kein Verlass, etwa auf die Verhörprotokolle der Nazis, sagte Breinersdorfer. Er habe deshalb aus Tagebüchern und Flugblatttexten kompiliert, was Sophie Scholl bei ihren Vernehmungen gesagt haben könnte. Auch Verhoeven fand: Schon durch die Fragen "inszeniere ich mein Gegenüber". Der Schnitt des Films sei persönliche Auswahl, denn er verzichte dabei auf Passagen, die ihn nicht überzeugten. Oder andersherum: Er habe auch mit Neo-Nazis gedreht und sei um jede Dummheit dankbar gewesen, die diese Leute von sich gaben.

© SZ vom 03.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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