Das „Momo“ in Tutzing:Das Café, das keines sein will

Lesezeit: 5 Min.

Nadine Abeler betreibt den Concept-Store "Momo" in der Kustermannvilla. Hier dekoriert sie den Wintergarten des Hauses, in dem man auch Kaffee trinken kann. (Foto: Nila Thiel)

In der Kustermannvilla am Starnberger See wird Kaffee und Kuchen angeboten – neben ganz vielen anderen Dingen. Nadine Abeler hat sich mit dem „Momo“ einen kostspieligen Traum erfüllt.

Von Max Fluder, Tutzing

Das vielleicht Schönste an der Kustermannvilla in Tutzing ist nicht die Lage, der Park oder das Parkett. Das Schönste, das ist für viele, die sich in der fast 150 Jahre alten Villa direkt am Starnberger See aufhalten, das Licht. Jeder Raum wird zu einem Zeitpunkt am Tag hell erleuchtet. Am Morgen und am Abend ist es weiches Licht von Ost beziehungsweise West, zum Mittag hin wird dann die fensterreiche Südfront des einstigen Sommerhauses des Münchner Industriellen Max Kustermann angestrahlt. Die Sonne flutet die Zimmer mit Wärme.

„Die Architekten haben sich den Platz klug ausgesucht“, sagt Nadine Abeler, die im vergangenen Jahr die Räume der Villa bezog. Sie renovierte die Villa aufwendig, versetzte sie so gut wie nur möglich, äußerst behutsam und in Absprache mit dem Denkmalschutzamt in ihren Ausgangszustand zurück. Wo früher Halogenleuchten waren, hing sie wieder Kronleuchter auf. „Als ich die Villa übernommen habe“, sagt sie, „war sie in keinem guten Zustand.“ Jetzt betreibt sie zusammen mit einer Handvoll Angestellter in der Villa ein kleines Geschäft, das „Momo“. Bald soll ein Online-Shop folgen. Und sie verkauft Kaffee und Kuchen, im Sommer auch Eis, weswegen manche den Ort „Café“ nennen, was Abeler gar nicht mag. Aber dazu gleich mehr.

Denn erst einmal soll es hier um den Star gehen, also um die Villa selbst. Der Neorenaissance-Bau aus dem Jahr 1865 dürfte das sein, was sich viele unter dem Stichwort „gediegenes Herrenhaus“ erträumen. Ein nahezu quadratischer Grundriss, die Fassaden in einem ruhigen Ocker gehalten, außen wie innen viel Stuck. Und dann ist da das Treppenhaus, der wohl imposanteste aller Räume. Früher, sagt Abeler, haben die Bauherren da besonders viel Wert draufgelegt. Immerhin wurden hier Gäste empfangen.

Heute empfangen Abeler und ihr Hund Otto Gäste, Besucher, auch Kunden. Das Momo, sagt Abeler, sei ein „Concept Store“. Ein neudeutscher Begriff, der eigentlich nur meint, dass sich hier die verschiedensten Dinge erwerben lassen. Dinge, die das Leben schöner machen: Blumen natürlich, aber auch Schmuck, kleine Naschereien, Glaswaren, hochwertige, hochpreisige und fair produzierte Dekoartikel sowie Möbel aus antiken Materialien.

Abeler und ihr Hund Otto im Treppenhaus der Villa. (Foto: Nila Thiel)
Alles, was in den Ausstellungsräumen zu finden ist, lässt sich auch erwerben. (Foto: Nila Thiel)

Im Obergeschoss, dort also, wo früher, die Privaträume der Kustermanns waren, findet man heute lateinamerikanische Christbaumkugeln aus Stoff, Tische aus dem Holz von antiken Türen, Kochbücher des international berühmten israelischen Kochs Yotam Ottolenghi und Keramik, die Abeler selbst designt hat. Bald soll das Geschirr in großer Stückzahl in Portugal produziert werden. Sie sagt: „Wir haben unser ganzes Haus eingerichtet mit Prototypen und dann den Alltag mit drei Kindern bestritten. Wenn es das überlebt, überlebt es alles andere.“

Die Räumlichkeiten, in denen man sich laut Abeler nicht nur inspirieren lassen, sondern in denen man sich auch aufhalten soll, sehen aus wie aus einem Magazin für stilvolle Inneneinrichtung. Es wechseln sich alte und neue Möbel ab, mediterrane Formen und Farben mit klassisch nordeuropäischem Design. Vieles ist in Weiß-, Beige- und hellen Brauntönen gehalten. Es sind die Farben, in denen sich auch Abeler selbst kleidet. Der Kustermannvilla hat sie neues Leben eingehaucht – ziemlich sicher hat sie sich aber auch selbst verwirklicht.

Abeler wohnt zusammen mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Tutzing. Bevor sie sich selbständig machte, Keramik und andere Gegenstände designte und nicht nur für das „Momo“, sondern auch Räume für Firmenkunden und Ärzte einrichtete, arbeitete sie als Kommunikations-, Grafik- und Produktionsdesignerin. Jetzt einen Laden zu betreiben, und dann gleich die Kustermannvilla, das sei für sie eine Herausforderung, sagt Abeler. „Es macht aber wahnsinnig viel Spaß.“

Im "Momo" werden Bücher, kleine Dekoartikel und Möbel angeboten. (Foto: Nila Thiel)

Das erste Mal in Kontakt mit der Kustermannnvilla kam sie vergangenes Jahr, als der Vormieter ausgezogen war und Künstlerinnen das Anwesen „bespielten“, wie es unter Kunsttreibenden oft heißt. Als das Projekt vorbei war, sei es ihr darum gegangen, dass das Haus offen für alle bleibe und keineswegs zu Privatgrund werde. Also schrieb sie für die Gemeinde Tutzing, der das Anwesen gehört, ein Konzept zusammen, auf Grundlage dessen sie das Haus dann betreiben, öffnen und finanzieren wollte. „Es ist nicht mehr an der Zeit, dass solche repräsentativen Orte privatisiert werden“, sagt sie. „Der Ort soll allen zugänglich sein.“

Was das genau bedeutet? Vor Kurzem fand hier zum Beispiel eine Kunstausstellung statt. Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums in Tutzing präsentierten ihre Fotos, auch ein Abend zur NS-Vergangenheit des Starnberger Landkreises, den der Tutzinger Jugendbeirat organisierte, fand hier statt. Um das finanziell zu stemmen, veranstaltet Abeler abends neben dem Betrieb des Ladens Events, die Geld einspielen, etwa einen Flamenco-Abend. Firmen und Privatpersonen können das Haus mieten, einige wenige Firmen haben dauerhaft Räume angemietet. Und dann gibt es noch Kaffee und Kuchen.

Die Villa ist der Traum eines jeden Landhaus-Fans. (Foto: Nila Thiel)

Was das angeht, räumt man aber am besten erst einmal ein Missverständnis aus: Ja, im Momo werden Kaffee und Kuchen serviert. Wer möchte, kann hier auch Eis essen, hergestellt wie so viele Produkte hier in der Region. Und ja, auf Google Maps – dem wohl am weitesten verbreiteten Kartendienst – findet man das Geschäft unter „Café Momo“. Allerdings erstellte jemand Drittes den Eintrag, Nadine Abeler sagt, sie sei seither mit Google im Austausch, um den Eintrag wieder loszuwerden. Bislang ohne Erfolg.

Ein Café – und das wird Betreiberin Nadine Abeler nicht müde zu betonen – ist das „Momo“ nicht, darauf will sie den Ort „nicht reduziert“ wissen. Um Gastronomie gehe es ihr nicht, sagt Abeler. Die Menschen sollten eher hier zusammenkommen, sich auf- und unterhalten, vielleicht auch arbeiten. Wie ein Café – und das ist Teil der Wahrheit – funktioniert das „Momo“ dann aber doch. Zumindest in dem Sinne, dass man sich hier aufhalten, Kaffee an der Theke bestellen und sich dann bei gutem Wetter auf die Terrasse und bei schlechtem in den Wintergarten mit der französischen Deckenmalerei setzen kann. Selten eröffnet sich einem ein so guter Blick auf See und Berge.

Es gibt Gerüchte, wonach die Kommune über einen Verkauf des Anwesens nachdenkt

Ob das „Momo“ Bestand hat, ist derzeit ungewiss. Sie habe ein treues Publikum, sagt Abeler: „Fast alle, die herkommen, kommen auch wieder.“ Aber ob sie noch lange in der Villa bleiben kann, hängt nicht nur von ihr ab. Mit der Sanierung der Grund- und Mittelschule sowie der Hauptstraße laufen in Tutzing derzeit zwei größere Projekte, die die Kommune stemmen muss. Die Gemeinde ist allerdings – wie andere Kommunen in der Region auch – knapp bei Kasse und das Gerücht hält sich wacker, dass über einen Verkauf der Villa samt Gelände nachgedacht werde.

Aus dem Tutzinger Rathaus ist Gegenteiliges zu vernehmen. Stand jetzt gebe es keine Pläne, die Villa zu verkaufen, heißt es da. Auch wenn man natürlich darüber reden müsse, die Einnahmen zu steigern, etwa über Veränderungen bei Grund- und Gewerbesteuer. Denkbar sei ein solcher Verkauf natürlich schon, aber bevor man Liegenschaften veräußere, gebe es noch andere Wege, um die Kommune finanziell stabil zu halten.

Abeler macht die Unsicherheit dennoch zu schaffen. Sie baut hier etwas auf, investiert viel Geld ins „Momo“, ohne langfristig planen zu können. „Ich mache das alles, weil ich hier selbst in Tutzing wohne“, sagt sie. Sie wolle etwas zurückgeben. Für den Erhalt der Kustermannvilla im Gemeindebesitz, sagt sie, lohne es sich zu kämpfen.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusKirche und Kloster
:Weihe von Frauen? „Ich finde keinen Grund, der dagegen spricht“

Der Andechser Abt Johannes Eckert sieht dringenden Reformbedarf in der Kirche, auch wenn sich seiner Meinung nach bereits vieles geändert hat – etwa im Umgang mit Homosexualität. Ein Gespräch.

Interview von Astrid Becker

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: