Lokale KulturWie die Tutzinger ihr Kino retteten

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Kinoretterinnen aus Tutzing (von rechts): Lucie Vorlíčková (Erste Vorsitzende) und Angela Schubert (Zweite Vorsitzende) haben mit einem inzwischen 500 Mitglieder zählenden Verein das Kurtheater wieder zu einem Erfolgsprojekt gemacht.
Kinoretterinnen aus Tutzing (von rechts): Lucie Vorlíčková (Erste Vorsitzende) und Angela Schubert (Zweite Vorsitzende) haben mit einem inzwischen 500 Mitglieder zählenden Verein das Kurtheater wieder zu einem Erfolgsprojekt gemacht. (Foto: Arlet Ulfers)

Dem traditionsreichen Tutzinger Kurtheater drohte 2024 das Aus. Doch dann übernahm eine Bürgerinitiative mit viel Idealismus, speziellen Filmreihen und Live-Acts den Betrieb. Nach einem erfolgreichen ersten Jahr startet der Verein in die zweite Saison.

Von Armin Greune, Tutzing

420 Vorstellungen, 7209 zahlende Besucher und 75 Prozent Stammkunden: Die erste Jahresbilanz des Tutzinger „Kulturtheaters“ kann sich sehen lassen. Das vom gleichnamigen Verein übernommene Bürgerkino zieht mit einem Programm aus Filmklassikern, Arthouse, Mainstream-Hits und Live-Events inzwischen Zuschauer bis aus München an. „Unser Konzept ist gut aufgegangen“, freut sich die Vorsitzende Lucie Vorlíčková. „So gut war das Kino nie“, habe sie öfter von Gästen gehört. Mit viel Engagement und dank Spenden und Beiträgen von 500 Mitgliedern ist ein im weiten Umkreis einzigartiges Projekt gelungen.

Dabei hat sich die Initiative „Tutzing macht Kino!“ erst im März vergangenen Jahres formiert. An Weihnachten 2023 hatte der vormalige Pächter Michael Teubig nach 20 Jahren das Handtuch geworfen. Obwohl die Pacht in seinem „Kurtheater“, bescheidene 660 Euro, nie erhöht wurde, habe er „bei fast jedem Film draufgezahlt“. Weil kein privater Nachfolger zu finden war, schienen die Tage des 1953 gegründeten Lichtspielhauses gezählt: Der Institution im Tutzinger Zentrum mit ihren 99 Plüschsesseln drohte das Schicksal, zur Lagerhalle umgebaut zu werden.

Doch dann ergriff Vorlíčková gemeinsam mit Eigentümer Robert Harthauser die Initiative. Innerhalb von nur zwei Monaten konnten 80 000 Euro für den Erhalt des Kinos gesammelt werden – wozu maßgeblich der Business-Plan der 55-jährigen Betriebswirtschaftlerin beitrug. Vorlíčková hat Erfahrung in der Unternehmensleitung und führt auch bei der Bürgervereinigung „Tutzinger Liste“ die Finanzen. Im Mai wurde der gemeinnützige Verein „Kulturtheater“ gegründet, am 3. Oktober 2024 startete der Kinobetrieb mit dem Film „Die Landärztin“ – in Anwesenheit der Schauspielerin, Ärztin und Tutzinger Ehrenbürgerin Marianne Koch, die 1958 die Hauptrolle spielte. Jetzt war es Uschi Glas, die als Ehrengast mit „Zur Sache Schätzchen“ die zweite Saison eröffnete. Die Veranstaltung mit Filmgespräch, Signierstunde und Sektumtrunk bescherte dem Kulturtheater erstmals ein ausverkauftes Haus.

Im regulären Betrieb finden donnerstags bis sonntags elf Vorstellungen statt, aktuell sind etwa „In die Sonne schauen“ und „Das Kanu des Manitu“ vertreten.  Neustarts kann das Kulturtheater erst nach einigen Wochen zeigen, weil die Verleihe zunächst die großen Kinokomplexe beliefern. „Vor allem drei Dinge sind wichtig: Programm, Programm, Programm“, sagt Vorlíčková. Bei der Auswahl wird der Verein von der Filmdisposition Peter König professionell unterstützt, die das aktuelle Programm jeweils für zwei Wochen zusammenstellt.

Fim ab: Das Kurtheater im Tutzinger Zentrum läuft dank der Ehrenamtlichen weiter. Am 22. November wird dort „Das Boot“ gezeigt, im Beisein von Hauptdarsteller Jürgen Prochnow.
Fim ab: Das Kurtheater im Tutzinger Zentrum läuft dank der Ehrenamtlichen weiter. Am 22. November wird dort „Das Boot“ gezeigt, im Beisein von Hauptdarsteller Jürgen Prochnow. (Foto: Arlet Ulfers)

Im Gegensatz dazu erfordern Live-Acts im Kino sechs Monate Vorlauf, sagt die zweite Vorsitzende Angela Schubert, die im Verein die Bildungs- und Bühnenveranstaltungen organisiert. So sind zu Halloween zwei Stummfilmnächte mit Livemusik geplant: Zu „Nosferatu“ und „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“  tritt der international renommierte Hamburger DJ Raphaël Marionneau auf. Die Einführung übernimmt wieder der Filmhistoriker Friedemann Beyer aus Berlin, der die Reihe „Tutzinger Filmerkundungen“ betreut. Er hat dabei vor allem prominente Protagonisten vom Starnberger See wie Albers, Rühmann oder Loriot im Blick. Am 22. November wird Jürgen Prochnow erwartet, wenn „Das Boot“ läuft. Und im Februar ist wieder eine Tutzinger Kurzfilmnacht anberaumt, die der Pöckinger Jungregisseur Lukas März präsentiert.

Einmal im Monat gibt es nachmittags eine primär für Senioren gedachte Vorstellung bei reduziertem Eintritt, im selben Turnus wird vormittags das „Babykino“ mit gedimmtem Licht und moderater Lautstärke für Eltern mit Säuglingen angeboten. Reihen mit Literaturverfilmungen und Originalversionen runden das Programm ab. Etwa zehnmal jährlich finden Extra-Vorstellungen für Schulklassen statt, auch die Munich International School war schon zu Gast. Montag bis Mittwoch stehen Saal und Bühne für Untervermietungen offen: Unter den bislang rund 20 Interessenten finden sich etwa das örtliche Krankenhaus oder die Initiative „Tutzing 2035 Klimaneutral“.

Der Betrieb eines Programmkinos sei „nicht gewinnorientiert möglich“, sagt die Vorsitzende

Das erste Jahr hat den ehrenamtlichen Kinobetreibern viel Einsatz und Flexibilität abverlangt. Nur zwei Wochen hielt die zu Beginn halbtags angestellte Kinoleiterin durch: Sie musste bald feststellen, dass sie das Pensum von vier wöchentlichen Vorführtagen nicht bewältigen konnte. Nun sind vier Mini-Jobber für je einen Vorführtag als „Betriebsengel“ beschäftigt. Dazu kommen ehrenamtliche Teams, die als „Filmengel“, „Flyerengel“, „Transportengel“ oder „Backengel“ mitwirken. Die aktive Arbeit verteilt sich auf 27 Vereinsmitglieder, die Vorsitzende ist 40 Wochenstunden im ehrenamtlichen Einsatz, ihre Stellvertreterin Schubert 20.

Vor dem Start hat sich Vorlíčková gründlich bei Bürgerkinos in Kochel und Tettnang informiert, zudem ist sie kurz bei Markus Eisele „zweimal in die Lehre gegangen“, der drei Arthauskinos in München und Fürstenfeldbruck führt. Freilich sei das von ihr angestoßene Projekt „Tutzing macht Kino!“ noch lange nicht „über dem Berg“. Das gelte auch für die Finanzen: Nach Abzug der Investitionen für Foyer, Bühne und Projektionstechnik war vom Startkapital nur noch die Hälfte für den Betrieb übrig – „und dann haben uns die Energiekosten überrollt“, sagt Vorlíčková.  Vom Eintrittspreis (normal elf Euro) bleibt nach Abzug der Verleihgebühren und Steuern etwa der halbe Erlös, deshalb sei der Betrieb eines Programmkinos „nicht gewinnorientiert möglich“.

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Aber auch der ehrenamtliche Einsatz hat seinen Preis. „Es hat schon Kraft gekostet“, räumt Vorlíčková ein. Die zweimonatige Sommerpause hatten viele „Engel“ zur Regeneration dringend nötig. Nun gelte es, „den Arbeitsaufwand durch Routinen zu vereinfachen und optimieren“. Und Vorstand wie Teamleiter durch weitere ehrenamtliche Mitwirkende zu entlasten.

Weder die erste noch die zweite Vorsitzende werden in erster Linie von cineastischer Begeisterung angetrieben. Ihnen ist vor allem wichtig, „einen bürgernahen, generationsübergreifenden Treffpunkt zu schaffen“, sagt Schubert. „Das Gesellige liegt uns besonders am Herzen.“ Die gemütliche Atmosphäre im Foyer lädt zum Austausch ein, im Getränkeautomat findet sich eine handverlesene Auswahl an Flaschen. Ein regulärer Ausschank ist nicht erlaubt, fließendes Wasser und eine Kochgelegenheit fehlen. Auch das immer wieder nachgefragte Popcorn kann wegen der mit der Maschine verbundenen Arbeitsbelastung nicht verkauft werden. Die von den „Backengeln“ ins Kulturtheater mitgebrachten Hausmacher-Snacks sind ohnehin viel delikater.

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