Eineinhalb Jahre ungefähr lebte Rahim R. auf der Straße. Ein Fahrrad und ein Schlafsack waren alles, was er noch hatte. Der 52-Jährige stammt aus Baden-Württemberg, zuletzt hielt er sich aber vor allem am Münchner Hauptbahnhof auf. Von dort aus sei er, meistens ohne ein Ticket gelöst zu haben, mit der S-Bahn „einfach rumgefahren“, sagte der ehemalige Kfz-Mechaniker jetzt in einer Verhandlung vor dem Landgericht München II. So auch am Vormittag des 18. Oktober vergangenen Jahres. Rahim R. hatte wieder kein gültiges Ticket und wurde kontrolliert. Er gab sich als Polizist in Zivil aus und weigerte sich, seinen Ausweis vorzuzeigen. In Tutzing stieg er aus der S-Bahn aus. Als er am Führerstand des Zuges vorbeilief, sprach ihn die Lokführerin, die von der Zugbegleiterin informiert worden war, auf sein Verhalten an. Daraufhin rastete Rahim R. aus, wie er selbst nun einräumte.
Erst bespuckte er die Frau, die das Fenster ihres Führerstands geöffnet hatte. Als die Lokführerin ihn daraufhin zur Rede stellen wollte, schlug ihr Rahim R., der 1,87 Meter groß und 110 Kilogramm schwer ist, laut Anklage mit der rechten Faust mit voller Wucht ins Gesicht. Der Schlag war so heftig, dass die 54-Jährige kurzzeitig das Bewusstsein verlor und mit dem Gesicht auf den Bahnsteig prallte. Die Frau ist noch immer traumatisiert und kann ihren Job als Lokführerin nicht mehr ausüben.
Laut Staatsanwaltschaft erlitt sie bei dem Angriff unter anderem eine mehrfache Fraktur im Gesicht sowie einen Kiefergelenkbruch. „Die durch den Schlag verursachten Verletzungen waren lebensgefährdend und hätten zum Tod führen können“, heißt es in der Anklage. Einem Mann, der ihn nach dem Schlag an den Händen festhielt, trat R. mit dem Fuß gegen den Oberschenkel und versetzte ihm einen Faustschlag gegen den Hals.
Seit der Tat, die Rahim R. zum Auftakt des Prozesses weitestgehend einräumte, ist er in einer geschlossenen psychiatrischen Klinik untergebracht. Zum Zeitpunkt der Tat habe er psychische Probleme gehabt, unter Stimmungsschwankungen gelitten und überreagiert, berichtete der 52-Jährige dem Vorsitzenden Richter Thomas Lenz. Sein Kopf, so Rahim R., sei damals „voller Dreck“ gewesen, was heißen soll, dass er keine Hoffnung mehr gehabt habe, irgendwann wieder ein normales Leben führen zu können, psychisch gesund zu sein und eine Arbeit zu haben. Bevor der 52-Jährige auf der Straße landete, war er bei Amazon beschäftigt. Doch er verlor den Job und konnte irgendwann seine Miete nicht mehr bezahlen. Seit er einstweilig untergebracht ist, gehe es ihm besser, findet Rahim R.
Außer der Attacke auf die Lokführerin muss sich der 52-Jährige wegen zwei weiterer Vorfälle verantworten. Anfang Juli vergangenen Jahres wollte er nachts in einer psychiatrischen Klinik in Böblingen aufgenommen werden, weil er Medikamente brauchte. Doch das Krankenhaus war belegt. Als ihm dies eine Mitarbeiterin erklärte, beleidigte er die Frau. Wenige Wochen nach diesem Zwischenfall setzte er sich im Jobcenter Stuttgart auf den Boden. Draußen sei es ihm zu kalt gewesen, so Rahim R. Alarmierte Streifenpolizisten trugen ihn auf die Straße. Ein Urteil in dem Prozess wird noch in dieser Woche erwartet.