„Kennen sie das nicht auch? Sie haben ein gutes Stück gelebt, vieles hat funktioniert, manches weniger, Sie ertappen sich immer wieder bei dem Gedanken: Was wäre, wenn.“ In ihrem Roman „Amaryllis“ stellt sich die Schauspielerin und Autorin Jutta Speidel Fragen, wie „wenn ich nicht Jutta heißen würde oder nicht Schauspielerin geworden wäre (…)? Und trotzdem ich wäre“. Nach diversen Sach- und Reisetagebüchern ist „Amaryllis“ der erste Roman, den Speidel, die in Gauting aufwuchs und inzwischen in München wohnt, geschrieben hat. Das Buch ist im Frühjahr erschienen und seither hat Speidel es auf mehr als 40 Lesungen in Deutschland vorgestellt dabei rund 6000 Kilometer zurückgelegt.
Elisabeth Hieronymus, Inhaberin der Tutzinger Buchhandlung „Das Eselsohr“ hatte Speidel am Freitag ins Lobsterhaus eingeladen. Unter den rund 40 Besuchern waren überwiegend Frauen. Als versierte Schauspielerin waren Speidels Ausführungen kurzweilig und akzentuiert. Sie schlüpfte routiniert in die Charaktere der verschiedenen Protagonisten und wechselte problemlos in deren Sprachen: Italienisch, Französisch oder Deutsch. Scheinbar mühelos sprach sie sogar deren Dialekte, wie Schweizerdeutsch, Österreichisch oder Schwäbisch. Für Speidel war es deshalb nicht schwer, das Publikum in ihren Bann zu ziehen. Der einzige Wermutstropfen war, dass es keine Diskussion gab. Denn zu gerne hätten die Besucher gewusst, ob Teile des Romans einen autobiografischen Hintergrund haben.
Das Buch handelt von der Clownin Valerie. Die Geschichte beginnt mit der Geburt im März 1954 und endet mit ihrem 70. Lebensjahr. Dabei spielt die Blume Amaryllis eine große Rolle. Sie schläft lange in ihrer Zwiebel, bevor sie sich zu einer prächtigen Blume entwickelt. Obwohl sie eine Winterblume ist, blüht sie bei der Geburt von Valerie im März prächtig rot neben dem Bett der Mutter. Auch Speidel ist im März 1954 geboten und jetzt 70 Jahre alt. Und für sie ist die Amaryllis ein Sinnbild für Metamorphose und Widerstandskraft.
Auch andere Parallelen zur Biografie der Schauspielerin gibt es. Sie habe sich das Buch zu ihrem 70. Geburtstag geschenkt, sagte sie am Rand der Veranstaltung. Allerdings habe sie die Idee schon zehn Jahre lang im Kopf gehabt. Sie wollte die Geschichte zunächst als Drehbuch verwerten. Als sie während der Corona-Pandemie Zeit hatte, hat sie das Exposé für das Drehbuch überarbeitet und zu einem Roman ausgebaut. Als nach der Pandemie das Reisen wieder erlaubt war, sei sie in die Welt der Valerie eingetaucht.
Geschrieben hat Speidel schon immer. Bereits in ihrer Kindheit habe sie ihren ersten Roman verfasst. Er sei sieben Seiten lang gewesen, verriet sie.

Eine weitere Szene im Buch zeigt ebenfalls deutliche Parallelen zur Person Speidel. Den Unterricht in der Clown-Schule und die dortigen Lehrer beschreibt sie derart detailliert, dass man durchaus vermuten könnte, Speidel habe alles selbst erlebt. Auf Nachfrage antwortet die Autorin: „Es ist nicht so, es ist alles erfunden.“ Allerdings hatte sie lebende Personen als Vorbild für ihre Protagonisten genommen, zum Beispiel den Clown Avner Eisenberg („Avner the Eccentric“). Sie habe lange zum Leben des Amerikaners recherchiert. „Der Clown ist vielleicht mein Alter Ego“, erklärt Speidel.
Die Geschichte ist vielschichtig und weist mehrere Erzählstränge auf. Dass Valerie und der Clown Lorenzo eine jahrzehntelange Lebens- und Liebesbeziehung haben und sich trotz aller Unterschiede bestens ergänzen, fasziniert Speidel. Denn sie selbst könne nicht über derartige Erfahrungen verfügen; ihre längste Beziehung habe nur elf Jahre gedauert.
Es gibt einen August, aber keine Augusta
Ein weiterer Geschichtspunkt ist, wie sich die Clownin in einer Männerwelt behauptet. „Der Clown wird immer als Mann wahrgenommen“, stellt Valerie fest. Es gebe einen August, aber keine Augusta. Und daher wird Valerie in der Geschichte kein Clown, sondern die Managerin von Lorenzo. Erst zum Schluss darf sie als Clown auftreten, aber nur in Vertretung für Lorenzo, als er erkrankt ist.
Auf Anfrage räumt Speidel ein, dass in den Roman durchaus auch persönliche Erfahrungen eingeflossen seien. Das könne man nicht trennen, sagt sie. Denn jeder Mensch habe eine Person in sich, die er sein wollte oder gerne gewesen wäre. Auf dem Buchumschlag ist zu lesen: „Ich bin Jutta, und ich bin Valerie. Ihre Biografie ist auch meine. Zumindest könnte sie es sein.“
Das Buch „Amaryllis“ von Jutta Speidel ist im Langenmüller Verlag erschienen und im Buchhandel erhältlich. Die Buchhandlung Eselsohr in Tutzing hat noch einige signierte Bücher auf Lager.