Jugend und Politik:Die Politpioniere von Tutzing

Jugend und Politik: Regelmäßig trifft sich der Tutzinger Jugendbeirat in der Rathaustenne, um seine Themen zu besprechen.

Regelmäßig trifft sich der Tutzinger Jugendbeirat in der Rathaustenne, um seine Themen zu besprechen.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Seit mehr als einem Jahr setzt sich ein Jugendbeirat für mehr Mitsprache junger Menschen im Ort ein. Gelingt die Partizipation? Ein Abend bei den jungen Wegbereitern.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

"Also, wer ist für die Aktivierung des Minigolfplatzes?", fragt Paul Friedrich und schaut in die Runde. Zwei melden sich. Jetzt die alternative Option. "Wer ist dafür, dass wir, ehm, ...", setzt der Vorsitzende an, da grätscht rechts von ihm seine Stellvertreterin, Juliana von Brühl-Störlein, rein: "Dass wir eine Umfrage machen und uns der vorherrschenden Meinung anschließen?" Rechts von ihr schüttelt Fabian Möller den Kopf. "Nein, nicht vorherrschend", sagt der 20-Jährige im weißen Hoodie. "Dass wir das separat beschließen und vortragen, was wir am besten finden. Irgendwie so." Gegenüber von ihm kratzt sich sein Zwillingsbruder Tobias Möller mit der Hand am Kinn. "Haben wir überhaupt soviel Mitspracherecht?", fragt er.

Ein Freitagabend in der Tutzinger Rathaustenne. Weiße Decken, Schummerlicht, im Kreis formierte Einzeltische. Insgesamt sieben Leute sind für die kleine Revolution der Ortsjugend gekommen. Sie diskutieren, haken Tagesordnungspunkte ab, ringen miteinander, lachen. Manche sind leger gekleidet, eine trägt Sakko. Manche tippen am Laptop mit, andere schreiben auf Papier. Auf einem der Tische liegt ein Banner. "Tutzing jung denken", steht darauf geschrieben, in Großbuchstaben.

Jugend und Politik: Der Jugendbeirat hat sich zum Ziel gesetzt, die Themen der Gemeinde aus Sicht der Jugend anzugehen.

Der Jugendbeirat hat sich zum Ziel gesetzt, die Themen der Gemeinde aus Sicht der Jugend anzugehen.

(Foto: Viktoria Spinrad)
Jugend und Politik: Fleißig wird mitgeschrieben.

Fleißig wird mitgeschrieben.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Es ist die achte Sitzung des Tutzinger Jugendbeirats, und es ist viel mehr: Es geht hier um nichts weniger als die Zukunftsfähigkeit des Ortes. Einer gediegenen Gemeinde, in der manchen Jugendlichen vor allem die Rolle der lärmenden Störenfriede zugeschrieben wird und junge Menschen selbst mit besten Kontakten im Dorf kaum eine bezahlbare Wohnung finden. Im Gemeinderat sind die meisten über 50 Jahre alt. Um mehr mitreden zu können, hat sich im Februar 2022 der Jugendbeirat formiert. Das Ziel: Tutzing für junge Menschen attraktiver machen. An diesem Freitagabend sind fünf junge Gesichter da. Tagesordnungspunkte, Beschlussvorlagen, Protokollführung. Kann man eine Gemeinde attraktiver für Junge machen, indem man es so macht wie die Alten?

Die Tutzinger Unterführungen, der Unterzeismeringer Fahrradschutzstreifen, Bericht aus dem Dachverband. Richtung Ende geht es um den Tutzinger Minigolfplatz. Der liegt seit Jahren brach: Die Bahnen wellen sich, überall liegt Müll. Gleichzeitig wissen viele Junge im Ort nicht so recht, wo sie sich treffen sollen. Ein Paradethema für den Jugendbeirat also. In der Mitte des Raums richtet sich zum Auftakt Paul Friedrich auf. Sollte der Jugendbeirat da mitmachen? "Schadet auf jeden Fall schonmal nicht", sagt er. Der 19-Jährige mit der dunklen Brille studiert Jura und ist Mitglied der "Julis", der Jugendorganisation der FDP. Er hat zum Jugendbeirat vor drei Jahren mit den Anstoß gegeben, seit der Gründung im Februar 2022 ist er der Vorsitzende. "Man gewinnt schon an Durchhaltevermögen", sagt er.

Jugend und Politik: Paul Friedrich, 19 Jahre alt, ist Vorsitzender des Jugendbeirats und Delegierter für den Dachverband der bayerischen Jugendvertretungen. Er studiert Jura an der LMU und ist bei den Julis, den jungen Liberalen. Er hat die Gründung des Jugendbeirats über die FDP-Fraktion im Gemeinderat vorangetrieben.

Paul Friedrich, 19 Jahre alt, ist Vorsitzender des Jugendbeirats und Delegierter für den Dachverband der bayerischen Jugendvertretungen. Er studiert Jura an der LMU und ist bei den Julis, den jungen Liberalen. Er hat die Gründung des Jugendbeirats über die FDP-Fraktion im Gemeinderat vorangetrieben.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Neben ihm lehnt sich Juliana von Brühl-Störlein nach vorn. Es geht um die Frage, ob auf dem Minigolfplatz nicht auch eine Padel-Tennis-Anlage des nebenan gelegenen Tennisclubs entstehen könnte. Die Preise des Clubs seien ja nicht grad moderat, argumentiert sie. "Da fände ich einen Minigolfplatz besser." Die 19-Jährige im blauen Sakko studiert Politik und Jura in München, sie ist die Zweite Vorsitzende. Jugendbeirat, braucht's das? "Wenn man das ordentlich macht, kann man richtig was erreichen", sagt sie.

Jugend und Politik: Juliana von Brühl-Störlein, 19, ist stellvertretende Vorsitzende, Pressesprecherin und Delegierte für den Dachverband der bayerischen Jugendvertretungen. Nach dem Abitur hat sie ein FSJ an der Akademie in Tutzing absolviert. Seit Herbst 2022 studiert sie Politik und Jura in München.

Juliana von Brühl-Störlein, 19, ist stellvertretende Vorsitzende, Pressesprecherin und Delegierte für den Dachverband der bayerischen Jugendvertretungen. Nach dem Abitur hat sie ein FSJ an der Akademie in Tutzing absolviert. Seit Herbst 2022 studiert sie Politik und Jura in München.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Links von ihr kommt Claus Piesch immer wieder ins Gestikulieren. Er taxiert die Runde, breitet die Arme aus. Wenn sich die jungen Leute einbringen wollten, "könnt ihr schauen, ob man den Minigolfplatz nicht wieder zu einem Treffpunkt machen könnte". Der Tutzinger Gemeinderat (FW), Jugendbeauftragte und Vorsitzende des Starnberger Kreisjugendrings ist hier eine Art Mittler zwischen den Welten der Jüngeren und der Älteren. Er gibt Einschätzungen ab, zu dem, was realistisch ist, er motiviert - und wird auch mal lauter, wenn er unzufrieden ist. "Beide Seiten", also die Jungen und die Rathausverwaltung, sagt er, "müssen die Beteiligung erst einmal lernen".

Jugend und Politik: Claus Piesch ist FW-Gemeinderat in Tutzing und dessen Beauftragter für Jugend, Sport und Freizeit. Außerdem ist er Vorsitzender des Starnberger Kreisjugendrings. Er begleitet den Jugendbeirat bei seiner Arbeit.

Claus Piesch ist FW-Gemeinderat in Tutzing und dessen Beauftragter für Jugend, Sport und Freizeit. Außerdem ist er Vorsitzender des Starnberger Kreisjugendrings. Er begleitet den Jugendbeirat bei seiner Arbeit.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Sechs Jugendbeiräte gibt es im Landkreis Starnberg. Als Vorreiter gilt Herrsching: Hier haben sich die Jugendlichen über die Jahre ein eigenes Jugendzentrum inklusive Mitarbeiter erkämpft. In Tutzing ist man davon noch weit entfernt. Nach einem Jahr Jugendbeteiligungsexperiment in der 10 000-Einwohner-Gemeinde muss man schon genau hinschauen, um Spuren der Bemühungen der jungen Truppe im Ort zu finden. Der Zebrastreifen vor der Grund- und Mittelschule wurde neu aufgetragen. An der Rathaustenne hängt jetzt ein eigener Briefkasten, eine Art Kummerkasten für die jungen Menschen im Ort. In der Greinwaldstraße hängt ein Schaukasten. Und in den Räumlichkeiten der "JM", einer Art Landjugend im Ort, sollen sie in Zukunft auch selber Veranstaltungen machen dürfen - zumindest dann, wenn die Räume saniert wurden.

Jugend und Politik: Der Briefkasten des Tutzinger Jugendbeirats hängt neben dem Aufgang zur Rathaustenne.

Der Briefkasten des Tutzinger Jugendbeirats hängt neben dem Aufgang zur Rathaustenne.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)
Jugend und Politik: Der Schaukasten des Tutzinger Jugendbeirats hängt an der Greinwaldstraße neben denen der übrigen Tutzinger Vereinigungen.

Der Schaukasten des Tutzinger Jugendbeirats hängt an der Greinwaldstraße neben denen der übrigen Tutzinger Vereinigungen.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)
Jugend und Politik: Der Verein "Junge Menschen Tutzing" hat im Würmseestadion sein Zuhause. Von Herbst an soll der Jugendbeirat die Räumlichkeiten an zwei Tagen in der Woche nutzen dürfen.

Der Verein "Junge Menschen Tutzing" hat im Würmseestadion sein Zuhause. Von Herbst an soll der Jugendbeirat die Räumlichkeiten an zwei Tagen in der Woche nutzen dürfen.

(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Ansonsten bleibt eine lange Liste von zwar verabschiedeten, aber noch nicht umgesetzten Projekten: Ringe für Pfandflaschen, Spender für Periodenprodukte an den Schulen, Grillplätze, Picknickbänke - all solche Dinge hängen irgendwo in den Mühlen der chronisch unterbesetzten Verwaltung fest. Zwar hat der Rat ein eigenes Jahresbudget von 5000 Euro, doch am Ende schaut der Gemeinderat dann doch gerne nochmal ganz genau drauf. So versanden Projekte im abstrakten wie kleinteiligen Bürokratie-Dschungel, irgendwo zwischen Datenschutz und EU-Ausschreibungen.

Etwas ernüchternd sei es schon, sagt Paul Friedrich. Aber man sei nun einmal nicht rechtsfähig, sprich: von der Verwaltung abhängig. "Es ist ja auch politische Bildung für uns selber", sagt Juliana von Brühl-Störlein. Dass die Jugendpolitik schnell wie die Erwachsenenpolitik in der Bürokratiefalle landet, das kennt man überall in Bayern. Etwa 100 aktive Jugendvertretungen gibt es hier mittlerweile. Manche planen vor allem Partys, andere verteilen Kulturgutscheine. Eine der größten Herausforderungen, sagt der bayerische Oberjugendrat Aron Gabriel, sei es, Selbstwirksamkeit zu erfahren, sprich: die Früchte der eigenen Arbeit zu ernten. "Die Kommunalverwaltung kann man nicht ändern", sagt der 21-jährige Vorsitzende des Dachverbands der bayerischen Jugendvertretungen (DVBJ).

Umso schwieriger wird das mit der Selbstwirksamkeit, da Jugendvertretungen wie die Tutzinger mit praktisch unvereinbaren Erwartungen konfrontiert sind. Hört man sich im Gemeinderat um, dann grummeln die einen über zu wenige jugendspezifische Themen, die anderen darüber, dass der Jugendbeirat nicht bei den großen Ortsthemen wie Hauptstraße, Flüchtlingspolitik, Wohnraum mitredet und die Stimmung der Jugend dazu bündelt. "Es gibt nicht die Tutzinger Jugend", sagt Juliana von Brühl-Störlein. "Da müsste man dicke Bretter bohren", sagt Paul Friedrich zum Dauerthema Wohnen. Man müsse die Themen der Jungen eben auch dann ernst nehmen, wenn sie einem selber nicht wichtig seien, sagt Claus Piesch - und nicht die eigene Sicht der Dinge forcieren.

Wie das aussieht, konnte man im Winter im Rathaus beobachten. Da stand Juliana von Brühl-Störlein in ihrem blauen Sakko im Sitzungsaal des Rathaus vor dem versammelten Gemeinderat und warb für gendergerechte Sprache in der Korrespondenz des Rathauses. Sprich: "Guten Tag, Max Mustermann" statt "Sehr geehrter Herr Mustermann". Ein Sprung mitten rein ins strittige Gender-Thema also - und das direkt nach einer hitzigen Debatte über den Standort der neuen Asylcontainer. Viele Gemeinderäte wirkten da noch abgelenkt und eher wenig interessiert. Das Thema landete erst im Hauptausschuss, dann stellte man fest, dass man die Korrespondenz auf Bayernebene angehen müsste - es vor Ort also gar keine Handhabe gibt. Da konnte die Bürgermeisterin in der Sitzung noch so betonen: "Wir nehmen hier die Wünsche unseres Jugendausschusses ernst."

In die Rathaustenne ist auch Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) an diesem Freitagabend gekommen, wie so oft, um die Jugend zu unterstützen. Wie geht es mit dem Minigolfplatz weiter? Es gebe keinerlei Geld im Haushalt dafür, sagt sie, "gar nichts." Spricht man mit ihr über das Experiment Jugendbeteiligung, klingt auch sie ernüchtert. Ja, die Gruppe sei sehr engagiert, sie habe "Hochachtung" für deren Durchhaltevermögen. Man denke aber zu umständlich, nehme die Ortsjugend nicht genug mit. Es sei "erschreckend", wie wenige Teilnehmer zu den Sitzungen kämen. Auch nach diesem Freitag wird am Ende wieder im Protokoll stehen: "Diskussionsrunde mit den anwesenden Jugendlichen entfällt."

Jugend und Politik: Auch Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) besucht die Sitzungen regelmäßig. Doch hadert sie mit der Strategie der jungen Leute. Sie müssten sich vor Ort noch bekannter machen, fordert sie.

Auch Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) besucht die Sitzungen regelmäßig. Doch hadert sie mit der Strategie der jungen Leute. Sie müssten sich vor Ort noch bekannter machen, fordert sie.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Ist die Jugend schlicht zu träge oder auch zu müde vom Schulalltag, um sich mitreißen zu lassen in die Politrevolution der jungen Ehrenämtler? Obwohl der Jugendbeirat auf Instagram stets fleißig Werbung macht, ist die Resonanz überschaubar. Von den 1077 Wahlberechtigten zwischen zwölf und 23 Jahren hat nur jeder Sechste an der Wahl des ersten Tutzinger Jugendbeirats teilgenommen. Zur Vorstellung der Kandidaten kamen vor allem die Kandidaten selber. Nun, nach einem Jahr folgen überschaubare 188 Leute dem Kanal. Das sieht auch die Führung kritisch. "Wir sind noch nicht bekannt genug", sagt Paul Friedrich. Zur Wahrheit gehört auch: Im Gemeinderat schlagen die Menschen auch vor allem erst dann auf, wenn eine Flüchtlingsunterkunft vor ihrer Tür geplant ist oder sie ein Bauvorhaben durchkriegen wollen.

Jugend und Politik: Nach der Sitzung posiert Tobias Möller für ein Video über die Ergebnisse der Sitzung, die der Jugendbeirat auf Instagram posten wird. Die jungen Menschen über Social Media zu erreichen, ist dem Team wichtig.

Nach der Sitzung posiert Tobias Möller für ein Video über die Ergebnisse der Sitzung, die der Jugendbeirat auf Instagram posten wird. Die jungen Menschen über Social Media zu erreichen, ist dem Team wichtig.

(Foto: Viktoria Spinrad)

Wie kann es weitergehen? Man müsse sich jetzt von oben nach unten durcharbeiten, sagt Piesch, der Mentor. Der Gemeinderat müsse den Jungen noch mehr freie Hand lassen. Der Jugendbeirat wiederum könnte noch mutiger mit seinen Vorstößen sein, müsse nicht alles auf Herz und Nieren prüfen. An der Motivation dürfte es nicht scheitern. Sowohl Störlein als auch Friedrich sagen, dass sie es sich gut vorstellen könnten, nochmal anzutreten. "Wir leisten hier ja Pionierarbeit", sagt Juliana von Brühl-Störlein. "Die Synergien würden mir sonst fehlen", sagt Paul Friedrich.

Und der Minigolfplatz? Die Runde einigt sich darauf, als "unterstützende Partei" mitzuwirken und sich am neuen Konzept zu beteiligen. Zwei Monate später gibt es eine Arbeitsgruppe des Gemeinderats. Der vorläufige Schluss: Eine Padel-Anlage lohnt sich nicht. Nun aber soll erst einmal beim Ramadama vor Ort aufgeräumt werden.

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