Es ist ein Anblick zum Gotterbarmen: Drei junge Katzen, gerade einmal neun Wochen alt, sitzen kläglich miauend und völlig verdreckt in einer Biomülltonne. Wie sind die da hineingekommen? Sind die Katzenbabys versehentlich hineingeplumpst? War es ein übler Scherz? Oder wurden sie womöglich entsorgt zwischen Salatblättern, Zwiebelresten und Küchenabfällen? Niemand weiß es genau. So oder so: Tierfreunde sind entsetzt über die Leidensgeschichte der Tiere, die sich vergangene Woche an der Grundschule im Tutzinger Ortsteil Traubing ereignet hat.
In sozialen Netzwerken wie Facebook und in Whatsapp-Gruppen gibt es zahlreiche Kommentare über die möglicherweise herzlose Tat. Auch an der Traubinger Schule ist die Betroffenheit groß. „Die Kinder waren entsetzt“, sagt Schulleiterin Michaela Walch, die bei aller Ungewissheit die Version von einem dreifachen Katzenmissgeschick für wahrscheinlicher hält.
Der Hausmeisterin der Schule war am frühen Dienstagmorgen kurz vor sechs Uhr aufgefallen, dass eine Biotonne in einem Verschlag auf dem Schulgelände offen steht. Beim Blick in die Tonne entdeckt sie die drei verängstigten und in ihrer verzweifelten Situation aggressiven Tiere, die zunächst keine Anstalten machen, sich freiwillig aus der Tonne retten zu lassen. Erst ein Anruf bei der Tierhilfe Tutzing – ein Verein mit insgesamt 86 ehrenamtlichen Mitgliedern – bringt Hilfe: Ruth Holzer, 76, fischt die wilden Kätzlein schließlich aus dem übel riechenden Behältnis.

„Das stinkt zum Himmel“, sagt Tierhilfe-Vereinsvorsitzender Stephan Holzer, „die Geschichte ist so ein bisschen Wirrwarr“. Er bezweifelt, dass die Jungtiere versehentlich in die Mülltonne geraten sein könnten. „Wenn eine Katze in die Tonne fällt, ja vielleicht“, sagt er. Aber gleich alle drei? „So blöd sind Katzen nicht, das ist alles schon ein bisschen komisch“, meint er und fragt sich, warum der Tonnendeckel hochgeklappt war und wie die Katzen in den geschlossenen Verschlag gekommen sein sollen, der selbst kleineren Tieren kaum ein Schlupfloch bietet. „Unmöglich“, sagt Holzer, „da kommt keine Katze durch“. Der ganze Vorfall sei „eine mysteriöse Sache“. Was sich wirklich in der Nacht an der Biotonne abgespielt hat, steht in den Sternen. „Da wurde nachgeholfen“, glaubt Holzer, „aber beweisen können wir es nicht“.
Dennoch möchte sich der Elektromeister nicht an Spekulationen über Tierquäler und Katzenhasser im Landkreis beteiligen. Sein Verein, den es seit 2021 gibt, rückte seither schon mehr als tausendmal zur Tierrettung aus. Allein dieses Jahr gab es bereits 400 Einsätze: Jungvögel im Frühjahr, Igel im Herbst, das ganze Jahr über Hunde, Eichhörnchen, Fledermäuse, Schwäne, Füchse, Schwalben, Gänse oder Siebenschläfer. Und Katzen: Meist vermisste oder überfahrene Tiere, zuweilen geht es auch um Beratung. Mit dem Tierheim steht Holzer ebenso in Kontakt wie mit der Polizei. Wenn es schnell gehen muss, ist einer seiner ehrenamtlichen Mitarbeiter binnen 20 Minuten am Ort des Geschehens.
Katzen zählen in Deutschland mit Abstand zu den beliebtesten Haustieren. Der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe geht bundesweit von 15,7 Millionen Tieren aus, statistisch gibt es in jedem vierten Haushalt mindestens eine. Die Kehrseite der Medaille: Viele Tierschutzvereine kommen bei der wachsenden Aufnahme von Katzen an ihre Kapazitätsgrenzen, konstatierte der Deutsche Tierschutzbund nach einer Umfrage bei seinen angeschlossenen Vereinen.
Der Deutsche Tierschutzbund fordert eine Kastrationspflicht für Freigängerkatzen
Der Verband fordert eine bundesweite Kastrationspflicht für Freigängerkatzen. Nur so könne die unkontrollierte Vermehrung verhindert werden. „Der praktische Tierschutz vor Ort ist kollabiert“, kritisiert Tierschutzbund-Präsident Thomas Schröder. Insbesondere bei Katzen könnten Tierheime und Tierschutzvereine der Flut an Tieren nicht mehr gerecht werden. Unkontrollierte Vermehrung und unüberlegte Anschaffungen hätten dazu geführt, dass immer mehr Katzen in Not sind.

Eine Erfahrung, die Tanja Wieber nur bestätigen kann. Allein im Vorjahr wurden 160 Tiere vermittelt, doch „dieses Jahr ist es besonders schlimm mit der Katzenflut“, sagt die Leiterin des Starnberger Tierheims. Kaum ein Tag ohne Fundtierabgabe, etwa 50 Katzen warten derzeit auf neue Besitzer. „Wir platzen aus allen Nähten“, sagt Wieber. Viele ungeimpfte Tiere würden aus dem Ausland mitgenommen, hinzu kämen Streunerkatzen, die sich unkontrolliert vermehren. Erst kürzlich wurden zwei Jungtiere an einer Starnberger Tankstelle gefunden, die Nabelschnur noch am Bauch; ein drittes Tier war bereits tot. Auch Katzen mit Chip, die aber nicht registriert sind, landen zuweilen im Tierheim und werden aufgepäppelt.

Was sich in Traubing abgespielt hat, bleibt derweil wohl ein Rätsel. Die Starnberger Polizei hat den Vorfall zwar in einer Aktennotiz vermerkt, nachdem Schulleiterin Walch die Beamten informiert hatte. Für eine Anzeige zur Strafverfolgung wird es aber nicht reichen. Es handle sich eben um kein Offizialdelikt, heißt es, also keine Straftat, die von der Staatsanwaltschaft von Amts wegen selbsttätig verfolgt wird. Tierquälerei gilt jedoch als Ordnungswidrigkeit und kann mit hohem Bußgeld oder einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren geahndet werden.
Für die drei schwarzen Katzenbabys, die dem wahrscheinlich sicheren Tod in der Biotonne entronnen sind, hat die Geschichte ein gutes Ende gefunden: Rosi, Franz und Blacky, so heißen sie nun, sind bei Tierliebhabern untergekommen. Zuvor waren sie beim Tierarzt, wurden gewaschen und entwurmt. Mehr als 20 Interessenten hätten sich nach ihrem Aufruf in sozialen Netzwerken, in Rundbriefen an Schulleiter und Elternschaft gemeldet, sagt Walch. „Den dreien geht es jetzt richtig gut.“ Dennoch bleibt ein gewisses Unbehagen im Dorf und die Frage: Wer entsorgt lebende Katzen in der Biomülltonne?
Der Verein „Tierhilfe Tutzing“ ist täglich rund um die Uhr unter der Notrufnummer 0176-550 11 972 erreichbar, das Tierheim Starnberg unter Telefon 08151-8782.