Seine Lieblingsfläche ist das Erdgeschoss. Hier, wo sich derzeit noch Kabel aus den Wänden ringen, sollen Schüler in der Mensa sitzen. Wo Kritzeleien prangen, sollen sie Flohmarkt spielen. Wo es staubt, sollen sie Weihnachtslieder singen. Und, wenn eines Tages der Abschied von der Schule ansteht, sollen sie gefeiert werden, wie es sich eben auch für Mittelschüler gehört, findet Klaus Zeiler. Als Architekt weiß er ja: Gibt es irgendwann keine Arbeiter mehr, gibt es auch keine Häuser mehr.
Zeiler weiß, wie es ist, auf Baustellen zu schuften. In seiner Ausbildung als Bauzeichner war er regelmäßig im Staub unterwegs. Und als er dann sein Studium der Architektur begann, hatte er längst eine Vorstellung, wie entbehrlich die Arbeit draußen sein kann. Wie viele Rädchen ineinandergreifen müssen, damit es fluppt. Wie hoch die Gefahr ist, dass eine Firma von heute auf morgen insolvent geht - und alle anderen mit hinunter reißt.
Mittlerweile ist der Architekt aus Weilheim ein alter Hase im Baugeschäft. Und er ist die Kernfigur bei Tutzings Großbaustelle: dem Umbau der früheren Volksschule in einen modernen Schulcampus. Einem 25-Millionen-Euro-Projekt, bei dem Denkmalschutz und Barrierefreiheit, Brandschutz und Umweltschutz miteinander verzahnt werden sollen - und das mitten im Ortskern, im Sandwich zwischen Kirche und Parkplatz, Traubinger Straße und Greinwaldstraße. Eigentlich sollte es diesen Sommer fertig werden, nun sollen die Schüler erst in einem Jahr wieder einziehen. Gelingt das Riesenprojekt?
Zeiler hat drei Baustellenhelme für seinen Besuch mitgebracht. Sicherheit ist ihm wichtig, vor allem bei diesem Projekt. Es ist das bisher herausforderndste für den 66-Jährigen mit 38 Jahren Berufserfahrung. Miteinander durchspielen oder untergehen, so umreißt er das Ganze - und hängt die Fallhöhe damit selber ganz hoch. Es geht um viel Geld und um das Gesicht Tutzings. Und auch um seine Existenz als Architekt - und die der knapp 50 Firmen und Büros, die mit dranhängen. So ist das im Bau-Tetris: Liefert die eine Firma nicht, kommt das ganze Gerüst ins Wackeln.



Auch in Tutzing haben sie eine Odyssee hinter sich. Erst legte der Schadstoffsanierer allerlei gefälschte Unterlagen vor, sodass diesem gekündigt werden musste. Dann stieg die Hauptbaufirma aus - und das öffentliche Vergabeverfahren ging wieder von vorn los. Daraufhin ging der Gerüstbauer insolvent und die Zimmerer konnten ihre Arbeit nicht anfangen, das Gerüst stand im Weg. Und trotzdem steht Zeiler ganz unaufgeregt da. Nach vielen Jahren im Geschäft weiß er ja, dass Panik nichts bringt, die größte Währung auf einer Baustelle das gegenseitige Vertrauen ist. „Wenn ich was ausmach', muss ich dazu stehen“, sagt er. Marion Issig, Projektsteuerin seitens des Bauherrn Bayerngrund, sagt, Zeiler bringe Ruhe rein: „Er ist ein Herr der alten Schule.“
Sein Handy klingelt, er schaut kurz drauf und entscheidet sich für einen späteren Rückruf. Stattdessen führt er jetzt durch das Portal des denkmalgeschützten Altbaus aus dem Jahr 1915. Wieder: Kabel, Kritzeleien, Spanplatten. Eine Kunst, einerseits die alten Zeichnungen in die neue Zeit zu überführen und gleichzeitig Rauchmelder und Lüftungsanlagen unterzubringen. Alt und Neu zu kombinieren und dabei noch möglichst ressourcenschonend vorzugehen, darauf hat er sich seit vielen Jahren spezialisiert. Deshalb auch der Name seines Architektenbüros: Bioplan. Die Statik des Mittelschul-Gebäudes aus den Siebzigern lässt er als Kern, an die Außenwände kommt norwegisches Tannenholz.
Ursprünglich sollte die Schule im laufenden Betrieb saniert werden. Doch weit kam man nicht.
Überhaupt würde er gern noch viel mehr Holz verwenden, etwa Holzweichfaserplatten zur Akustikdämmung, aber da kommt ihm dann wieder der Brandschutz in den Weg. Zu viele Vorschriften, die alles teurer machen? Zeiler mag nicht einstimmen in den Chor derjenigen, die sich beschweren über all die DIN-Normen. Die Vorschriften seien eben auch eine Form von Kontrolle, betont er und meint das im positiven Sinne. „Sonst öffnet man da Tür und Tor.“
Die Baubranche ist chronisch anfällig für Glücksritter, gerade im öffentlichen Bereich, wo es häufig um große Summen geht und immer der günstigste Bewerber zu nehmen ist, der aber nicht zwangsläufig der seriöseste ist. Auch in Tutzing lief es zunächst nicht wie gewünscht. Der ursprüngliche Versuch, die Schule im laufenden Betrieb zu sanieren, erwies sich als impraktikabel, der Rechnungsprüfungsausschuss stellte unter dem vormaligen Architekten Verstöße gegen das Vergaberecht und die Honorarabrechnung fest. Die Lage im Herzstück der Gemeinde war verfahren.

Bis Klaus Zeiler mit seinem Entwurf kam: hell, luftig, holzig, mit Musikraum, einem zusammengeführten Außenhof und zwei Schulküchen. Und das alles an seinem bisherigen Platz, sodass die Trias aus Rathaus, Kirche und Schule im Ortskern bleiben kann. 2017 war das, seit dem Herbst 2022 lernen die Schüler nicht mehr in der Tutzinger Ortsmitte, sondern in der ehemaligen Feldafinger Fernmeldeschule Sachtexte schreiben, Prozentrechnung und das Gestalten von Landschaftsbildern. Derweil ist Zeiler an den meisten Tagen auf der Baustelle in Tutzing und schaut nach dem Rechten. Bevor er mit den verschiedenen Firmen telefoniert, fährt er die 15 Minuten von seinem Büro in Weilheim lieber gleich direkt raus, um mit den Bauleitern von Angesicht zu Angesicht zu sprechen. „Dann entsteht auch keine Flüsterpost“, sagt er.
Auf der Schulbaustelle klingelt mal wieder sein Handy. Doch das Hämmern ist so laut, dass man es kaum hört. Etwa 30 Arbeiter sind hier am Tag zugange, sie zimmern und schleifen, schneiden und verglasen. Und würde man nicht wissen, dass hier der Architekt kommt, er würde kaum auffallen unter den Vorarbeitern und Bauleitern mit seiner Funktionsjacke und seiner weichen Stimme. Jeder wird gegrüßt, so auch ein Herr Ott: „Was machen Sie denn um die Zeit auf der Baustelle?“ Es folgt ein Lob: der Bagger, der sei doch schon richtig schön neigefahren, „schaut guad aus.“

Small Talk, könnte man meinen, und doch ist es viel mehr. Für Zeiler sind die kleinen Gesten der Schlüssel zu einem gelungenen Großbau. Auf Augenhöhe mit den Leuten reden, jeden ernst nehmen, die Handwerker pünktlich bezahlen, den Leuten signalisieren, dass man hier nicht nur ein Rädchen ist, sondern dass es auf jeden und jede ankommt beim 25-Millionen-Euro-Projekt. Am Ende ist schließlich auch das Bauen Psychologie: Misstraut der eine dem anderen, kann so ein Bauprojekt schnell in der Blockade enden. Ist Vertrauen da, erfährt er auch mal vom Polierer, dass dieser seit drei Monaten nicht von seiner Firma bezahlt worden ist - und weiß: Hier bahnt sich ein Problem an.
Im ersten Stock deutet Zeiler jetzt auf eine Taube, die es sich oben im Gebälk eingerichtet hat. Stöckchen für Stöckchen trägt sie heran. „Die ist fleißig“, sagt er und lacht. Und erzählt dann von einer Baustellenkatze, die jeden Morgen mit den Handwerkern hineinlaufe. Später zeigt er auf seinem Handy ein Bild von seinem tierischen Weggefährten: ein bayerischer Gebirgsschweißhund, den er zweimal in der Woche noch für die Rettungshundestaffel trainiert. Wie er das alles unter einen Hut bekommt, bleibt sein Geheimnis. Klar ist: Hier hat einer den Hut auf, der ein Herz besitzt für Lebewesen verschiedenster Art - und sein Handy auch mal selektiv ignorieren kann.

Und er kann die Leute anstecken mit seinen Ideen. Wie Hydras ragen draußen schwarze Rohre aus dem Boden heraus. Hierdurch soll später die Wärme fließen, um die Schule zu beheizen. Dafür wird anstelle des alten Schwimmbeckens ein riesiger Eisspeicher gebaut - mit 1300 Kubikmeter gilt dieses Projekt aus Wärmepumpen und PV-Energie als eines der größten und innovativsten bei einem Schulbau. Eine Idee, die Zeiler aus der Bauszene aufgriff, als Russland die Ukraine angriff und die Gaspreise explodierten. Die geplante Gastherme schien plötzlich undenkbar, also stattdessen der Eisspeicher. Und schon hat ein weiteres Gebäude eine sinnvolle Nutzung - so geht das Tutzinger Schultetris nach und nach auf.
Draußen vor der Baustelle klingelt wieder das Handy. Diesmal geht er dran. Eine Mitarbeiterin will wissen, wie das gleich war mit den Dachbalken. Sollten die verkleidet werden? Entschuldigung, das muss er sich dann jetzt doch noch einmal persönlich anschauen. Jeder Tag ist durchgetaktet, jeden Tag löst sich ein neuer Knoten, vorausgesetzt, es läuft gut. Es sind unzählige kleine Bausteine, die am Ende in der Summe eine neue Schule machen. Er ist da optimistisch. „Alle ziehen an einem Strang“, sagt er. Dann marschiert er wieder zurück in den Staub.

