„Es ist für mich völlig absurd, dass überhaupt darüber diskutiert wird, ob es dieses Festival weiter geben soll“, polterte Hans Steinbichler. Ein „Kaff“ wie Starnberg könne doch mehr als froh sein, so etwas zu haben. Der Regisseur von Filmen wie „Hierankl“, „Winterreise“ und zuletzt „Ein ganzes Leben“, der auf dem diesjährigen Fünfseen-Filmfestival (FSFF) mit einer Werkschau geehrt wurde und am Sonntag mit Festival-Leiter Matthias Helwig in der Akademie für Politische Bildung über die Frage diskutierte, ob Filmschaffende Festivals brauchen, redete sich richtig in Rage: „Filmfestivals sind überlebensnotwendig. Wir steuern gerade auf eine Abbruchkante zu.“
In rasantem Tempo überholten Steinbichler und Helwig auf dem Podium die Journalistin Anna-Elena Knerich, die das Gespräch eigentlich als Moderatorin lenken sollte. Nach kurzem Geplänkel über Festivals im Allgemeinen kamen sie zügig zur Sache: Das Filmfestival in Venedig sei für ihn der Auslöser gewesen, Filme an den Starnberger See zu holen, die es hier nie ins Kino geschafft hätten, sagte Helwig, der das Fünfseen-Filmfestival 2007 gegründet hat. Sein Publikum sei anfangs zögerlich und dann immer begeisterter den Weg mitgegangen, etwas anderes anzuschauen als Mainstream.
„Und heute sitzen 150 Leute im Kino, wenn ein taiwanesischer Film mit englischen Untertiteln läuft.“ Seine gesamte Existenz sei ohne Filmfestivals undenkbar, sagte Steinbichler. Ein Preis auf dem Münchner Filmfest für seinen Debütfilm habe ihn finanziell gerettet und ihn überhaupt erst sichtbar gemacht. Und er fügte hinzu: „Was das Fünfseen-Filmfestival für mich geleistet hat, ist unbezahlbar“. Er habe alle seine Filme dort gezeigt, Helwigs Meinung dazu sei für ihn immer ein wichtiges Korrektiv gewesen.
Die Filmbranche befinde sich im Umbruch, betonten beide, große Marketing-Kampagnen für einzelne Filme bestimmen heute das, was im Kino zu sehen ist und von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. „Kinos sind nicht mehr in der Lage, die Filme, die eigentlich wichtig wären, nach vorne zu bringen“, so Steinbichler, „diese Aufgabe haben Festivals übernommen.“ Helwig mache ein herausragendes Programm, sagte er, man müsse ihm auf Knien dafür danken. Anders als in Westdeutschland finde in weiten Teilen Ostdeutschlands überhaupt keine Kultur mehr statt. „Die ganze Problematik, in der wir als Gesellschaft stecken, hängt damit zusammen. Gegen Kultur sein, heißt gegen das Leben sein.“

Er sei müde, sich immer wieder rechtfertigen zu müssen, sagte Helwig, der wegen massiv gekürzter Fördermittel um die Zukunft seines Festivals fürchten muss. „Auf kommunaler Ebene ist es jetzt erstmal zu Ende diskutiert“, sagte er, „aber wir wollen dieses Festival unbedingt weiter machen, deshalb müssen wir andere Wege finden“. Aus dem Publikum habe er auch in diesem Jahr sehr viel Zuspruch bekommen, für den 15. Oktober sei deswegen im Kino Gauting eine weitere Krisensitzung mit Freunden und Förderern des FSFF geplant. „Du brauchst keine Freiwilligenarmee“, konterte Steinbichler, „wir müssen Menschen an einen Tisch setzen, die etwas zu sagen haben. Ein Appell genügt nicht, man muss daran erinnern, warum wir Unterstützung einfordern müssen und dürfen.“ Er wolle sich über seine Mitgliedschaft in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste für einen solchen Runden Tisch einsetzen. Mindestens Markus Blume, bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, müsse dabei sein.
Filme könnten viel erreichen und zur Völkerverständigung beitragen
Es gehe nicht nur darum, die Zukunft des Fünfseen-Filmfestivals zu sichern, sondern „um das große Ganze“. Man sollte am besten überall in Deutschland an strategisch wichtigen Orten Festivals etablieren, um dort Informationsblasen zum Platzen zu bringen, sagte Steinbichler in seinem glühenden Plädoyer, Filme könnten anders als Bücher auch in unserer Zeit Menschen erreichen und Filmfestivals deshalb ein Diskursraum für eine starke Gesellschaft sein. Und noch mehr: „Wir können mit unseren Filmen Politik machen und einen Beitrag zur Völkerverständigung leisten“, sagte er, „wir können sie sogar als Trojanische Pferde in totalitäre Systeme einschleusen.“
Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung und Mitveranstalterin der Podiumsdiskussion, dankte Steinbichler für den Bogen, der er zur Gefährdung der Demokratie in Deutschland und zur Weltpolitik geschlagen habe. Die Akademie für Politische Bildung werde sich diesem Runden Tisch nicht entziehen, sagte sie. „Und es ist Zeit für eine Tagung zum Thema Politik und Kultur.“