Tutzing:Das Wunder von Tutzing

Von Querköpfen und einer glücklichen Heimkehr: Die Seegemeinde lässt sich mit dem nur alle fünf Jahre aufgeführten Schauspiel hochleben

Gerhard Summer

Tutzing - Früher war womöglich alles besser, aber bestimmt nicht diese gewaltige Kulisse. "Es lebe das Brautpaar", skandiert der vergnügte Hochzeitslader Otto Schweisgut vom großen Balkon des ehrwürdigen Schlosses, wo die Braut zum Gaudium der Zuschauer gerade einen langen Schluck aus dem Kelch mit Johanniswein genommen hat, der in Wahrheit Sekt ist. "Hoch, hoch", ruft das Volk zurück. Böller böllern. Blasmusik hebt an, die Dame des Reichsgrafen Vieregg, die genau genommen sein Gschpusi ist, winkt huldvoll herab. Dazu vergießt der Himmel ein paar Regentropfen, womöglich aus Rührung, und der Männerchor des Liederkranzes singt aus vollen Kehlen: "Es war ein Glückstag ganz gewiss, wie unser Bayerland entstanden ist."

Tutzing Fischerhochzeit

Tutzing Fischerhochzeit Tutzing, Fischerhochzeit, Schloss, Festzug, mit Brautpaar. Foto: Georgine Treybal

(Foto: Georgine Treybal)

Tutzing feiert, und auch das ist natürlich ein Glückstag. Denn in jüngster Zeit hat dieser arme, reiche Ort mit ICE-Anschluss eher selten die Gelegenheit, sich im eigenen Glanz zu sonnen. Die Kommune ist seit Jahren klamm, auch wenn sich viele Einwohner ohne weiteres Villen und Landhäuser mit Seeblick leisten können. Der Gemeinderat steht noch dazu im Ruf, gern zu streiten und wenig voranzubringen, ob nun zu Recht oder nicht. Wer wissen will, warum das so sein könnte, ist heute an der richtigen Stelle. Denn die Fischerhochzeit, die der ehemalige Heimatpfleger und Rathausbeamte Josef-Franz Drummer verfasst hatte und 1929 erstmals aufführen ließ, lehrt vor allem eines: Dieser Tutzinger ist von Natur aus ein Dickschädel. Er muss immer Recht haben. Und er gibt höchst ungern nach.

Bei Drummer prallen 1814, zur Zeit der napoleonischen Kriege, zwei ungleiche Sturköpfe aufeinander, der Reichsgraf Vieregg, der die kleinen Leute noch mehr ausnehmen will, und ein Hoffischer namens Gröber, der Held der Geschichte. Gröber, ein Rebell mit Kescher, lehnt sich auf. Zur Strafe wird sein Sohn Michael in den Russlandfeldzug geschickt. 30 000 Mann marschieren los. 3000 kehren zurück. Am Ende bekommt der alte Gröber aber doch irgendwie Recht, ob nun nur Glück im Spiel ist, Vorsehung oder doch gleich der liebe Gott. Denn der totgeglaubte Michael kehrt Jahre später zurück, ein zerlumpter Landstreicher, erkannt nur wie einst Odysseus vom alten Hofhund. Ja, und nun wird Hochzeit gefeiert mit der Bierbichler-Tochter aus Ambach, die den jungen Mann zuerst verschmäht hat, ihn aber jetzt um so mehr liebt. Die Querulanten söhnen sich aus. Frieden herrscht wieder in Tutzing.

Was für eine Geschichte. Der einfache Trotz zahlt sich aus. Drummer lehrt, dass der Tutzinger nicht so schnell in die Knie geht, und wenn der Kaiser vor ihm stünde. Und das ist eine Botschaft, die wohl jedem Nachgeborenen gefällt. Sowas will sich keiner entgehen lassen. Das ganze Dorf ist am Sonntag auf den Beinen, an die 300 Einheimische sind als Darsteller dabei. Wer von auswärts kommt, den locken die Massenaufzüge mit vielen kleinen Kindern in Tracht. An die 1000 Zuschauer stehen hinter Absperrseilen und Banderolen im weitläufigen Park des Schlosses, das längst Sitz der Evangelischen Akademie ist. Beim Festzug mit Prominenten in 15 Kutschen werden es fast zehn Mal so viele sein. Gendarmen mit Säbeln marschieren auf. Dazu kommen Schützen, Reiter, Spielmanns- und Trommlerzüge. Biedermeiermädchen lauschen in zitronengelben, blassblauen und lindgrünen Kleidern der Musik oder tanzen Menuett. Sie haben Stopsellocken im Haar, dazu eine Art großen Fächer am Hinterkopf, die "Schute". Männer tragen Frack oder Bratenrock, Zylinder oder Filzhüte mit Rosen, Nelken und allem anderen, was der Garten hergibt. Die Dame des Reichsgrafen erscheint gar im schulterfreien schwarzgrünen Kleid, kühn vor allem deshalb, weil es ziemlich frisch ist an diesem wolkigen Sonntag.

Wegen ihres Ablaufs und ihrer Reden dürfte die große Bauernhochzeit eher nicht in die Geschichte der bayerischen Schauspiele eingehen. Das Spektakel hat den Charme des Unvollkommenen, immer wieder hakt es mal. Beim Polterabend am Samstag fährt die Kutsche sogar ohne Braut los, so dass Erzähler Winfried Hauer minutenlang improvisieren muss. An Text ist ohnehin wenig geboten. Und was zu hören ist, klingt eher hölzern und altbacken. Zwei Sorgen bewegten offenbar den Ur-Tutzinger: Erstens sollte die Frau was mitbringen in die Ehe, zweitens aber möglichst nicht die Hosen anhaben. Altknecht Helmut Grüneis beispielsweise sagt: "Was Du daheiratst, des brauchst ned dasparn." Und: "Regiern woll'n die Weiber alle gern." Was der heutige Bürgermeister Stephan Wanner nur bestätigen kann: "Des is' die Wahrheit." Dazu kommen noch die Sinnsprüche des Hochzeitsladers. Einer heißt: "A lachade Braut gibt a woanards Weib." Was frei übersetzt so viel bedeutet wie: Die Frau, die bei der Hochzeit zu keck lacht, hat hinterher nicht viel zu lachen. Der Hofmarksrichter gibt dazu noch ein paar Lebensweisheiten von sich, die bei Hochzeiten so üblich sind: "Es gilt nun, das Schifflein der Ehe durch die Wellen des Lebens zu steuern." Eine Ansprache, die Wanner in schlechter Erinnerung hat. Im Jahr 2001 musste er die Rede lernen, weil er für die Rolle ausgewählt worden war. Allein der erste Satz bestehe aus 18 Zeilen, sagt Wanner, der einen weincremeroten Bratenrock und einen schneidigen Hut trägt, das Ganze habe weder Jamben noch Reime. Kurzum: Das sei "Männermord".

Braut und Bräutigam Kathi Greinwald und Michael Zistl jun. haben es leichter. Der einzige Dialog, den sie führen müssen, geht in etwas so: "Veronika, trink an Schluck - dank Dir Michel, es war a guader Schluck, aber schaug, was i Dir mitbracht hab." Diese Beschränkung dürfte der Braut sehr entgegen gekommen sein. Sie spricht wie ihre Mutter, die aus der Siegfried-Stadt Xanten am Niederrhein stammende Marlene Greinwald, kein Bairisch. Ohne die Greinwalds freilich wäre die Fischerhochzeit 2011 nicht das, was sie ist. Die beiden Töchter sind dabei, der Mann spielt passenderweise den Vater der Braut, der Sohn macht bei den Plattlern und beim Jugendtanz mit, genauso wie ein Cousin. Noch dazu sind Braut und Bräutigam so etwas wie die Fortsetzung des Paares von 1975. Damals spielten die Tante von Kathi und der Vater von Michael die Rollen.

Für die evangelische Pfarrerin Ulrike Aldebert, die beim Gottesdienst in der St. Josefskirche eine gereimte Predigt auf Bairisch hält, ist Drummers Mischung aus Heimkehrerdrama, Liebesstory und Rebellenstück eine "wahrhaft österliche Geschichte" von der Wiederauferstehung eines Totgeglaubten. Graf Vieregg habe verstanden, was viele Regierende heute noch nicht verstehen: Mit Menschlichkeit, nicht mit Macht, müsse man herrschen. Und das Wunder von Tutzing, so die Interpretation der Geistlichen, bestehe darin, dass die Sturköpfe einsichtig werden. "Die Liebe verwandelt alle", sagte Aldebert.

Fast alle. In Monaco wird gerade geheiratet, in Tutzing hat der Polterabend begonnen. Der allgegenwärtige Cheforganisator Hubert Hupfauf blickt missmutig zum rauchgrauen Himmel hoch und dann zum Guggerhof hin, dem zentralen Ort dieses Abends. Denn auf den Balkon haben die Besitzer, die sich ungerecht behandelt fühlen von der Gemeinde, gerade eine Trachtlerpuppe mit Engelsflügeln drapiert. Dazu hängt ein Transparent herunter, das mit "Gröber" gezeichnet ist und konstatiert: "Vetternwirtschaft und Neid regiert noch immer das Land. Hinhalten und abwarten, da sans's echt gut, der Einheimische kocht vor Wut..." Schon möglich, dass einigen Besuchern der Protest gar nicht aufgefallen ist. Denn er passt zwar nicht zum Versöhnungsfest, aber um so besser zur Geschichte der Sturköpfe.

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