Tutzing:Das kleine Glück

Rudolf Wessely zeigt beim Liederabend in Tutzing, dass Wien mehr ist als Herzschmerz, Schmäh und Operettenkitsch

Sylvia Böhm-Haimerl

TutzingDenkt man an Wien, entstehen Bilder im Kopf zwischen blauer Donau und Melange, Kaiser und Walzer, Johann Strauß und Leben im Dreivierteltakt. Das Wienerlied erfüllt all diese Klischees von Weinseligkeit und melancholischer Grundstimmung. Der gebürtige Wiener Rudolf Wessely indes beweist, dass es viel mehr gibt als Herzschmerz, Wiener Schmäh und Operettenkitsch. Auf Einladung des Freundeskreises der Evangelischen Akademie zeigte der begnadete Schauspieler in der Rotunde, dass es viele Facetten der Wiener Seele gibt. In Begleitung der Musiker Esther Schoepf und Manfred Manhart präsentierte er einen besinnlichen Abend mit Wiener Liedern und Texten des Wiener Psychoanalytikers Sigmund Freud. Leichtlebigkeit und Vergänglichkeit: In Wien ist alles nebeneinander. Wenn man die Wiener Lieder hört, könnte man meinen, jeder Wiener ist ein Philosoph, zumindest aber ein Volksphilosoph. Das Leben hat seine Schattenseiten, aber was soll's, der kleine Mann kann ohnehin nichts ändern, also nimmt er das Leben wie es ist. Die Lieder sind lustig und traurig, belehrend und naiv, böse und romantisch. Sie sind eine heitere Betrachtung von liebenswerten Eigenheiten, handeln von Liebe und Tod, vom Wein und von besseren Zeiten, von skurrilen Charakteren und Begebenheiten. Lieder, wie "Ich muss im früheren Leben eine Reblaus gewesen sein", "mei Muata war a Wienerin" beschreiben das Streben nach dem kleinen Glück, das nicht selten in Zechtouren endet. Wenn man alleine ist im Park mit seiner Einsamkeit und seinen Tränen - ein guter Wein vertreibt Kummer und Sorgen. Denn am besten lässt sich das Leben beim Heurigen ertragen, bei einem Gläschen Wein oder auch zwei, auf jeden Fall muss es gewürzt sein mit viel verschmitzten Humor. Wessely stellte die tiefsten Empfindungen der Wiener dar, voller Einfühlsamkeit gab er Einblick in die Abgründigkeit des Wiener Humors. Im Gegensatz dazu standen die eher düsteren Essays von Sigmund Freud über das Glück. "Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist nicht im Plan der Schöpfung enthalten", sagt der Vater der Psychoanalyse. Als Wiener war Freud zwar ein eifriger Kaffeehaus-Besucher, hatte aber offenbar nichts mit der Leichtlebigkeit seiner Landsleute gemein. Im Gegenteil, er glaubt, dass es für den Menschen schwer ist, glücklich zu sein. Der Mensch sei so eingerichtet, dass er nur den Kontrast genießen kann, nicht aber den Zustand des Glücks. Freud beschreibt das Glücklichsein als chemische Reaktion, nimmt eine medizinische Untersuchung des Glücks vor und stellt fest, dass die Psychoanalyse über Kunst und Schönheit ohnehin nur wenig zu sagen wisse. Esther Schoepf präsentierte dazu sentimentale Geigenklänge, weich und einfühlsam unterstützt von Manfred Manhart an der Ziehharmonika. Der Abend war eine Liebeserklärung an das Goldene Wien, bestens dargestellt durch die Charakterkomik eines großen Schauspielers. Wessely zeigte, dass er mit seinen 87 Jahren zwar über Reife und stille Weisheit verfügt, aber kein bisschen müde geworden ist. Das Publikum war hingerissen, summte und klatschte mit und nach der Zugabe "Ich bin halt a echt's Wiener Kind" gab es Bravo-Rufe.

Wiener Liederabend in Tutzing

Wiener Liederabend in Tutzing Tutzing Wiener Liederabend in der Evangelischen Akademie mit dem Schauspieler Rudolf Wessely (Mitte)

(Foto: Franz Xaver Fuchs)
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