Tutzing:Die Suche geht weiter

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Auf dem brachliegenden Minigolfplatz an der Seestraße in Tutzing sollen eigentlich Wohncontainer für Flüchtlinge aufgestellt werden. Doch im Ort formiert sich Widerstand. (Foto: Arlet Ulfers)

Wo sollen Container für Geflüchtete hin? Der Gemeinderat ist sich uneins - und vertagt die Entscheidung um zwei Wochen.

Von Viktoria Spinrad, Tutzing

Im Gras liegen Supermarktprospekte, ein Pavillon hängt schief im Wind. Auf den Bahnen schält sich der rote Untergrund in Wellen, dazwischen haben Maulwürfe den Untergrund erobert. Der Wind pfeift. Es ist schon einige Jahre her, dass hier auf dem alten Minigolfplatz im Süden Tutzings das letzte Mal ein Ball geschlagen wurde. Nun könnten hier Container für Asylsuchende gebaut werden. Nur wenige Schritte sind es von hier zu einer Unterkunft, in der Mädchen mit Gewalterfahrungen betreut werden. Traumatisierte neben Traumatisierten - kann das gutgehen?

Kämen hier tatsächlich 108 junge Männer, wird der Geschäftsführer der Unterkunft, Wolfgang Brandstetter, später am Dienstagabend im Gemeinderat erklären, "dann müssten wir überlegen, ob wir weggehen". Die Zuschauerplätze im Rathaus werden bis auf den letzten Platz gefüllt sein. Es geht ja bei all dem um die Frage, wo die Container hinsollen, die Tutzing aufstellen muss, da derzeit wieder mehr Geflüchtete kommen. Die Zeit drängt, "in zwei, drei Wochen", mahnt Sabine Neumann, Asyl-Fachbereichsleiterin im Starnberger Landratsamt, erfülle der Landkreis nicht mehr seine bayernweite Aufnahmequote.

Asylunterkünfte im Landkreis Starnberg
:Feldafing vertagt Entscheidung über Wohnanlage für Geflüchtete

Der Gemeinderat lehnt zwei mögliche Standorte für eine Container-Unterkunft ab.

Von Sylvia Böhm-Haimerl

Lieber der alte Minigolfplatz, unten nahe der Schutzunterkunft für Mädchen? Oder oben in der Traubinger Straße, wo es schonmal Container gab, dafür aber keinen Gehsteig und der Weg rauf einer Bergtour gleicht? Das Grundstücksroulette erweist sich als Dilemma. Er fühle sich wie vor einer Wahl "zwischen Pest oder Cholera", sagt Bernd Pfitzner (Grüne). Was kann man wem zumuten? Schafft Tutzing das noch einmal, wie schon 2015? Wollen die Tutzinger es überhaupt nochmal schaffen?

"Wir sind machtlos", sagt der Kreisbaumeister

Fünf Stunden zuvor auf dem alten Minigolfplatz. Michael Wilson macht ein paar Schritte, schaut auf den zerfallenen Kiosk, den Turm, die kaputten Bahnen. Ein "starkes Stück" sei das alles, sagt der 38-Jährige. Er wohnt gleich gegenüber vom Platz und hat eine Petition gegen die Standortwahl gestartet. Bis zum Mittwochnachmittag haben über 400 Menschen unterschrieben - das alte Spiel.

Michel Wilson (r.) und seine Nachbarn Ruth und Nikolaus Mitschke-Collande haben die Petition unterschrieben. Bessere Integration? In der Seestraße wohnten doch gerade einmal elf Personen, sagen sie. (Foto: Viktoria Spinrad/oh)

Wilson ruft seinen Hund, einen schwarzen Labrador. Er spricht von mangelnder Transparenz. Wenn die Gemeinde besser vorgeplant hätte, sagt er, wäre es jetzt auch nicht so schwierig. Wie kompliziert die Lage ist, dröselt Kreisbaumeister Christian Kühnel im Gemeinderat auf. "Muss man die Landkreise so vor sich herpeitschen?", fragt er und gibt gleich selbst die Antwort. Nur jetzt sei das Zeitfenster offen, in dem man auf Mittel des Freistaats zugreifen könne. "Da sind wir machtlos."

Kann man Geflüchtete gleich neben einem lauten Schuttplatz unterbringen?

Auf dem Minigolfplatz öffnet Wilson sein Handy. Er zeigt ein Video, auf dem der Bauschutt für die Hauptstraßensanierung gleich nebenan lautstark verladen wird. "Da stellen sich einem die Nackenhaare auf", sagt Wilson. Da Flüchtlinge unterzubringen, grenze an Körperverletzung. Ein menschenwürdiger Ort? "Das müssen wir den Menschen, die zu uns kommen, zumuten - wie auch denen, die da wohnen", sagt der Kreisbaumeister.

Auf dem alten Volksfestplatz, wo früher 2016 noch eine Zeltstadt für Geflüchtete stand, ist mittlerweile ein Zwischenlager für die Sanierung der Hauptstraße errichtet. (Foto: Viktoria Spinrad/oh)
Manche halten die Wiese vor dem Rathaus für einen besseren Standort. Bürgermeisterin Greinwald hält dagegen. "Das ist unser integrativer Platz", sagt sie. Und: "Da sprengen wir uns unsere Ortsteile." (Foto: Viktoria Spinrad/oh)

Zumal es kaum Alternativen gibt. Das Behringerheim? "Hat ganz klar abgesagt", erklärt Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW). Das Kloster? "Überlegt noch." Die Kustermann-Villa? Ist als Pfand für die Finanzierung der Mittelschulsanierung hinterlegt. Die Wiese vor dem Rathaus? "Ist unser integrativer Platz." Ein privates Angebot? "Wäre auch beim Minigolfplatz." Kreisbaumeister Kühnel breitet die Arme aus, legt die Hand aufs Herz. "Es wird keinen Königsweg geben", sagt er. Wilson, selber gekommen, um mehr zu erfahren, spielt nervös mit seinen Fingern.

Der Kompromiss ist zum Greifen nahe - doch dann erbitten die Räte Bedenkzeit

Zuvor hat er am designierten Standort Richtung Nordwesten gedeutet. In Richtung der knapp drei Kilometer entfernten BRK-Alm, wo schon öfter Geflüchtete untergebracht waren. "Warum nicht wieder dort?", fragt er. Dort ist mittlerweile ein sumpfiger Schuttplatz. Am Rand liegen ein paar Stämme, auch hier pfeift der Winterwind. Abgelegen, ohne Gehsteig oder Buswendeplatz, die zweite Wahl für das Landratsamt. "Ein schwieriger Standort für die Integration", sagt Neumann.

Auf dem Platz hinter dem Waldorfkindergarten in der Traubinger Straße waren in der Vergangenheit bereits Geflüchtete untergebracht. Vor Jahrzehnten stand hier eine Baracke, in denen Inder wohnten, später Container für Geflüchtete. Doch das Areal ist weit ab vom Schuss und die Gemeinde müsste einen Gehweg errichten - deshalb gilt es als Notbehelf. (Foto: Viktoria Spinrad/oh)

Sie bringt einen Kompromiss ein: Auf dem Minigolfplatz sollen nur Familien mit Kindern untergebracht werden. Ein Entgegenkommen, nicht zuletzt für das Mädchen-Heim. Mit ausschließlich Familien könnte er sich das gut vorstellen, sagt der Geschäftsführer. Doch viele mögen dem Versprechen nicht so richtig glauben - zumal offen ist, wie lange die Container bleiben. Man müsse davon ausgehen, sagt Joachim Weber-Guskar (FDP), dass "wir nehmen müssen, was uns vor die Tür gefahren wird". Dass das nicht automatisch mit einer Gefahr für Leib und Leben einhergeht, bekräftigt Greinwald: Laut der Polizei gebe es bei keiner Containeranlage im Landkreis erhöhte Kriminalität - "das sind eher Diskussionen untereinander".

Die Vorplanung für den Minigolfplatz sieht auf dem Areal zweigeschossige Container mit Zweibettzimmern und Sozialräumen vor. Automatisches Baurecht würde damit keines entstehen - §246 des Baugesetzbuchs räumt bloß eine Sonderregelung für Flüchtlingsunterkünfte ein. (Foto: Landratsamt Starnberg)

Derweil zirkulieren Gerüchte. Warum wurde der Minigolfplatz nie fortgeführt? Will sich die Gemeinde mit Containern Baurecht verschaffen und so das Grundstück versilbern? Anruf bei der Bürgermeisterin am Mittwoch. Nein, sagt Greinwald. Mit den Containern würde kein automatisches Baurecht entstehen. Wegen der vielen neuen Auflagen könne man den alten Minigolfplatz auch nicht einfach neu eröffnen. Dafür müsste man einen gänzlich neuen Bebauungsplan auflegen - "inklusive der umliegenden Gegend". Ein Mordsaufwand also in einer Zeit, in der diverse Projekte das Rathaus beschäftigen .

Minigolfplatz, BRK-Alm - oder ein ganz anderer Standort? Am 31. Januar um 18.30 Uhr soll der Gemeinderat in einer Sondersitzung entscheiden. Infrage kommen auch private Grundstücke, die idealerweise 4000 Quadratmeter groß sind, Einkaufsmöglichkeiten und Nahverkehr in Reichweite haben und über Anschlüsse und eine Rettungszufahrt verfügen. Man könne sich als Ort nicht aus der Verantwortung stehlen, sagt die Bürgermeisterin, "die Flüchtlinge werden kommen". Und: "Ich warte auf Angebote."

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