Traditions-Eisdiele macht dicht:Schluss mit Geschmack

Starnberg

Gerd Kuhrau wird sein angestammtes Lokal vermissen. Drei bis vier Mal in der Woche verbringt der Starnberger Wirtschaftsprüfer hier seine Mittagspause.

(Foto: Arlet Ulfers)

Bevor es im Café "Il moro" Kaffee aus Pappbechern gibt und Muffins, schließt der Wirt lieber. Stammgäste bedauern den Verlust. Wie die Räume im Sparkassengebäude weiter genutzt werden, ist offen

Von Carolin Fries, Starnberg

Dass "niemand Schuld hat", das ist ihm wichtig. Zweimal sagt der Inhaber des Café "Il moro" in Starnberg, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will, dass es den einen Grund nicht gebe. Der 60-Jährige steht in der winzigen Küche vor zwei Elektroherden, auf diesen vier Platten zaubert er seit 16 Jahren seine Speisen, sieben Tage in der Woche. "Ich hatte nie Angst, es hat mir immer Spaß gemacht." Doch seit fünf Jahren würde es immer weniger Spaß machen, im Sommer schließlich hat der Wirt beschlossen, nicht mehr weiter zu machen. Ende Januar macht das Café zu.

Dieser 60 Jahre alte Venezianer ist ein Wirt der alten Schule. Seit 43 Jahren lebt er in Deutschland, insgesamt acht Lokale hat er eröffnet, unter anderem in Köln, Wiesbaden, Frankfurt, München. "Starnberg sollte meine Endstation sein", sagt er und lächelt traurig. Warum sein Plan nicht aufgeht? "Die Gesellschaft hat sich verändert." "To go" laute die neue Zauberformel, die zwei Wörtchen kommen ihm nur schwer über die Lippen. "Früher haben nur Penner auf der Straße gegessen und getrunken. Inzwischen sind sie fast die einzigen, die im Café sitzen." Nun hat das Lokal von Sandro, wie ihn seine Stammgäste nennen, eine Fläche von 150 Quadratmetern, 80 Plätze stehen bereit, im Freien zusätzliche 60 Plätze: So viele Wohnungslose gibt es selbst in Starnberg nicht. Dafür immer mehr Kulturbanausen, wie der Wirt klagt. Menschen ohne Geschmack. Dazu muss man wissen, dass er ausschließlich Illy-Kaffee kauft, das Eis selbst kredenzt und die Torten beim Konditor bestellt. "Doch die Leute fragen nach Muffins!" Der Wirt blickt gequält, für einen Moment scheint es, als müsse er sich sogleich bekreuzigen. Halleluja! Nein, bevor er Muffins verkaufe, mache er das Café lieber dicht. Es gebe ja genug andere, auch das ein Teil der Gesellschaftsveränderung: Konsumiert werden muss überall alles, Kaffee (und Leberkas) soll es möglichst an jeder Tankstelle und in jedem Supermarktbäcker geben. Der Wirt fasst sich an den Kopf. "Als ich kam, da war Platz, weil das Dolomiti geschlossen hat", erzählt er. Inzwischen herrsche in der Gastronomie-Szene ein rücksichtsloses Hauen und Stechen.

Gerd Kuhrau wird das Café vermissen. Drei bis vier mal in der Woche nimmt der Starnberger Wirtschaftsprüfer mittags auf dem großen Kunstledersofa Platz, das sie wie eine Schlange durch das Café zieht. Er schwärmt von der hervorragenden Küche - "einfach, ohne viel Aufhebens" - und von der zentrale Lage. Durch die bodentiefe Fensterfront nehme er dann das Starnberger Geschehen unter die Lupe: "Viele hässliche Autos und ebenso viele hässliche Menschen." Und dennoch wird er diesen Blick vermissen, wie auch die gläsernen Leuchten in Tropfenform über der Theke, die gedämpfte italienische Musik aus den Lautsprechern, die besondere Atmosphäre. "Es ist schade", sagt auch Katrin Straub, die ebenfalls gerne in der Mittagszeit kommt. "Gastronomisch stirbt die Stadt aus", sagt sie. Ein vergleichbares Café jedenfalls gebe es nicht.

Einen Nachfolger für das Café gibt es noch nicht, wie Kreissparkassen-Sprecherin Marion Neupert sagt. Überhaupt sei die Folgenutzung momentan noch völlig offen. Fest steht nur, dass die Fläche im Bebauungsplan zur gastronomischen Nutzung ausgewiesen ist, sagt Neupert. Fest steht ebenso, dass der venezianische Wirt sich an anderer Stelle neu ausprobieren wird. Wo, das steht noch nicht fest, "nur rund um den Starnberger See bestimmt nicht", wo alle fünf Minuten ein Café eröffne. Nein, seine neue Endstation werde er eingängig auf Beständigkeit prüfen, versichert er. Das habe aber noch Zeit, zunächst einmal gehe es auf die Seychellen. "Bitte schreiben Sie das, dann sind alle neidisch", sagt er mit kindlicher Freude.

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