"Toni Erdmann":162 Minuten Emotionen

Gleich eine der ersten Vorstellungen des Fünfseen-Filmfestivals im Kino Breitwand zog die Zuschauer in ihren Bann: die 162-minütige Tragikkomödie "Toni Erdmann" von Regisseurin Maren Ade. Der Film wurde nicht nur von der internationalen Presse gefeiert, sondern traf auch beim Publikum des Starnberger Kinos auf große Resonanz. Bis auf wenige Plätze waren die Reihen voll besetzt. Und eines wurde im Verlauf der Aufführung klar: Die Zuschauer versetzten sich zum einen immer mehr in die beiden Protagonisten des Familiendramas hinein, den etwas lebensfremden Musiklehrer Winfried Conradi und seine beruflich ambitionierte Tochter Ines, zum anderen distanzierten sie sich emotional immer wieder von den Figuren. Die Reaktionen schwankten deshalb zwischen gelöstem Lachen, das dem ein oder anderen schon im nächsten Moment im Halse stecken blieb, nachdenklichem Schweigen und Seufzen.

Wenn Geschäftsfrau Ines nervös wird oder robotermäßig ihre Arbeitsaufträge erfüllt, beginnt das Publikum auf den Stühlen unruhig hin und her zu rutschen, und es macht sich beklemmende Atmosphäre im Kinosaal breit. Wenn Conradi sein Alter Ego "Toni Erdmann" auspackt und mit Gebiss, Perücke und Furzkissen die Scheinwelt der profitorientierten Gesellschaft demaskieren will, können sich die Leute kaum vor Lachen halten. Obwohl der Film lang ist, bleiben die Kinobesucher bis zur letzten Minute aufmerksam. Die Zeit sei wie im Flug vergangen, konstatieren viele Gäste am Ende.

Zurück bleibt ein nachdenkliches Publikum. Einige Kinobesucher setzen sich nach der Aufführung in der Kinolounge noch auf ein Glas Wein zusammen oder diskutieren vor dem Kino über den Film weiter. Und es sind die verschiedensten Ansichten zu hören. Eine Besucherin findet, "Toni Erdmann" sei erschreckend und ungeschönt real gewesen, ein Soziogramm der heutigen Gesellschaft, wie sie es nennt. Andere Zuschauer wiederum sind nach den polyperspektivischen Eindrücken des Films froh, dass ihnen Werte wie die Familie noch wichtig seien. Und viele Kinoliebhaber sind von Maren Ades "Toni Erdmann" so begeistert, dass sie die Komödie beim Filmfestival noch einmal anschauen wollen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: