Als Tibor Leiter zum ersten Mal auf einem Gipfel in den bayerischen Voralpen stand, machte er es wie alle anderen auch: Er nahm sein Handy und machte ein Bild. Doch als er sich die Aufnahmen später ansah, war er enttäuscht, denn "es war nicht so, wie ich es gesehen hatte". Die Nebelschwaden, die sich wie Wattebausche zwischen die Gipfel der Ammergauer Alpen gelegt hatten - mal dichter, mal nur als Schleicher - waren kaum zu erkennen. Die einmalige Schönheit des Moments hatte er nicht festhalten können. Das sollte ihm nicht noch einmal passieren: Leiter kaufte sich eine gebrauchte Spiegelreflexkamera - der Anfang einer Passion.
Ein Ausflug in die Berge hat vor drei Jahren die Leidenschaft für die Naturfotografie geweckt.
(Foto: Tibor Leiter)Drei Jahre sind seither vergangen, und seither verging kaum ein Tag, an dem der 44-Jährige nicht fotografiert hat. "Es ist einfach so schön hier", sagt Leiter, der seit gut acht Jahren in Dießen am Ammersee wohnt. Eigentlich habe er damals nur für drei Monate kommen wollen, um einem Freund auf einer Baustelle zu helfen. Leiter ist gelernter Maler. Doch dann beschloss er: "Ich fahre nicht mehr zurück nach Ungarn." Er fand eine Anstellung für Maurerarbeiten und eine Wohnung, holte Frau und Sohn nach und begann, die nähere und weitere Umgebung zu erkunden. Die Fotografie ist dabei zum festen Bestandteil geworden. Für viele seiner Bilder muss er nur ein paar hundert Meter runter zum See gehen. Frühmorgens fängt er die Stimmung entlang des Westufers ein, wenn die Sonne über Herrsching aufgeht.
Nachmittags fährt er rüber ans Ostufer, um im Licht der untergehenden Sonne zu fotografieren.
Seine Bilder könnten leicht kitschig sein, überladen oder banal. Sonnenuntergänge am See - das kriegt doch jeder hin! Aber Leiters Bilder unterschieden sich von der Masse an Bilderposts, wie sie täglich in den Facebook-Gruppen der Region oder auf Instagram hochgeladen werden. Ihm gelingt es, das Vertraute so zu zeigen, wie man es noch nie zuvor gesehen hat. Leiters Bilder singen eine bekannte Melodie, aber neu arrangiert. Mal macht die Perspektive den Unterschied, mal das Licht. Meistens aber sind es Tiere oder Menschen, die Leiter vom Ufer aus entdeckt: ein Star beim Balzgesang mit aufgefächerten Flügeln, tollkühne Jugendliche beim Salto vom Steg in den See, ein Segler im Nebel.
"Oh sole mio" hat Leiter das Bild vom Star beim Balzgesang genannt.
(Foto: Tibor Leiter)Er lasse sich immer überraschen statt Motiven aufzulauern, erklärt er. Manchmal müsse er selbst googeln, um herauszufinden, wie die Vögel und Insekten heißen, die ihm vor die Linse kommen. "Ich bin ein Momente-Fotograf." Inzwischen weiß er natürlich, wo die wenigen Eisvögel leben und wie er sich den Reihern nähern kann. Die Reaktionen in den sozialen Medien auf seine Bilder überschlagen sich vor Lob und Begeisterung.
Ein Eisvogel im Ammersee-Gebiet.
(Foto: Tibor Leiter)Als Autodidakt hat Leiter viel ausprobiert. Er stöbert bei Fragen noch immer im Internet nach Anleitungen und tauscht sich in Foren mit anderen Fotografen aus. Inzwischen fotografiert er mit einer Canon EOS 6D Mark II und einem Sigma-Objektiv mit 150 bis 600 Millimetern, beides gebraucht gekauft. Etwa 3000 Euro sei seine Ausrüstung wert, doch letztlich nur ein Gehilfe. "Das Wichtigste ist das Auge", sagt er, "das muss man haben."
Segelboote im Nebel auf dem Ammersee.
(Foto: Tibor Leiter)Frühmorgens um 4.30 Uhr zieht er meistens los mit seinem Rucksack, taucht für zwei Stunden ein in die Natur. "Da ist alles noch so frisch, die Natur und die Tiere." Er genießt dann die Ruhe als Ausgleich zum lauten und wuseligen Baustellen-Tag, der ihm meist bevorsteht. Manchmal sammelt er morgens bis zu 300 Bilder, von denen ihm später dann nur ein oder zwei gefallen, die er schließlich mit Photoshop bearbeitet und behält. "Ich bin sehr streng mit mir." Eines seiner Lieblingsbilder zeigt den Blick über den Ammersee durch ein Fahrrad-Rad fotografiert. Der runde Kreis leuchtet in den warmen Farben der Sonne, das Drumherum erscheint schwarz-weiß.
Das ist eines von Tibor Leiters Lieblingsbildern, fotografiert in Aidenried.
(Foto: Tibor Leiter)Bislang hängen Leiters Bilder nur in dessen eigener Wohnung, eine Ausstellung gab es noch nie. Manchmal aber schreiben ihn Leute an, ob er ihnen ein Motiv auf Leinwand drucken kann. Das macht er dann, zwischen 150 und 200 Euro kostet ein Motiv. "Ich habe ein kleines Gewerbe angemeldet", sagt Leiter. Mitunter wird er auch angefragt, Hochzeiten und Feste zu fotografieren. Das lehne er aber ab: "Das hab ich ja gar nicht gelernt", sagt er.
Auch Makro-Fotografie gehört zu Leiters Repertoire.
(Foto: Tibor Leiter)