Weltenbummler und Wahl-Tutzinger:Der Rustikalreisende

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Für fünf Tage wird Thomas Bauers Einmannzelt auf der Tutzinger Terrasse zum "Zweikinderzelt", dann geht es weiter nach Usbekistan. (Foto: Georgine Treybal)

Thomas Bauer war in mehr als 80 Ländern unterwegs und gibt seine Erlebnisse in Büchern und Vorträgen wieder. Er hat die Kunst des Reisens gelernt, aber weiß auch die Attraktionen daheim zu schätzen.

Von Armin Greune, Tutzing

Vor drei Tagen ist er aus Kanada zurückgekehrt, morgen steht der Flug nach Usbekistan an. Im Sommer sitzt Thomas Bauer eigentlich immer sechs bis acht Wochen auf gepackten Koffern, wenn keine Pandemie seiner Reiselust Grenzen setzt. "Zwei Jahre Zwangspause, aber in diesem Sommer hole ich einiges nach", sagt der 45-Jährige auf der Terrasse der Tutzinger Mietwohnung, in der er mit seiner Familie lebt. Wer jetzt mahnend den Finger hebt und auf den von interkontinentalen Flügen verursachten CO2-Ausstoß verweist, sollte zumindest anerkennen, dass Bauers Reisen an Ort und Stelle so gut wie keinen ökologischen Fußabdruck hinterlassen. Er ist am liebsten - wandernd, radelnd oder paddelnd - aus eigener Kraft unterwegs, fährt auch mal per Anhalter und macht einen weiten Bogen um mit allem Komfort ausgestattete Touristenunterkünfte. "Rustikal" nennt er seine Touren, zum Fotografieren reicht ihm eine billige Kompaktkamera oder das Handy.

"Neugier auf die Welt", Bauers jüngstes Buch, lockt mit 80 Rätselfragen in die Ferne. (Foto: Georgine Treybal)

Bauers Erlebnisse zwischen Vancouver und Osaka, Grönland und der neuseeländischen Südinsel schildert er auf Vorträgen, die er mit seinen Fotos illustriert und mit eigener Musik samt Band begleitet. Daneben hat der Tutzinger rund ein Dutzend Reisebücher verfasst, die bis zu fünf Auflagen erreicht haben. Sein jüngstes Werk ist eine Art Quintessenz der bisherigen Werke geworden: "Neugier auf die Welt - in 80 Rätseln um die Erde" besteht aus kurzen Kapiteln, an die jeweils zwei Quizfragen angehängt sind. Es sind fiktive Kurzgeschichten, die an Orten spielen, die Bauer besucht hat. Eine CD mit etwas simpel, aber selbstgestrickter Popmusik und leicht überbetonten Lesungen einzelner Kapitel steckt im Einband. Doch das Konzept des Buchs überzeugt, es macht Spaß, da mitzurätseln - und so manche geografische Wissenslücke zu schließen. Die Inspiration zu dem großzügig illustrierten Band verdankt der Vater den abendlichen Vorlesestunden mit Sohn und Tochter, beide sind im Grundschulalter.

Die beiden haben gerade Bauers zum Auslüften aufgestelltes Einmannzelt "zum "Zweikindzelt erklärt", wie der Vater sagt. Das gilt aber nur noch diesen einen Tag bis zu seinem Abflug. Bauer ist schon mit dem Hundeschlitten durch Grönland und ein Vierteljahr durch Südamerika gezogen, hat zu Fuß die japanische Pilgerinsel Shikoku umrundet und ist die Donau wie einst Lothar-Günther Buchheim bis zum Schwarzen Meer heruntergepaddelt. Wenn man ihm zuhört, muss man sich fast wundern, dass er dazu nicht mit den Füßen unter dem Tisch scharrt. Kein nervöser Tick verrät innere Unruhe, aber der Mann mit dem strahlenden Lächeln scheint ständig von unsichtbaren Stromquellen durchpulst zu werden. "Energieüberschuss" nennt Bauer das selber. Zu Hause aber wirkten Frau und Familie als Ruhepol. "Früher befiel mich meist Missmut bei der Rückkehr, jetzt freue ich mich auch aufs Heimkommen."

Zwiebel im Eis: Mit sieben Schichten Klamotten schützt sich Thomas Bauer in Grönland gegen die Kälte. (Foto: privat)

In den kanadischen Provinzen Ontario und Quebec war er gerade drei Wochen unterwegs, acht Tage davon mit dem Kajak auf dem Rideau Canal und dem Ottawa River: "Ich hab hier den Beweis", sagt Bauer und zeigt die Schwielen, die 400 Kilometer paddeln von Kingston nach Ottawa und weiter bis Montreal an den Fingern hinterlassen haben. Diese Wasserstraßen verbinden viele Seen und haben noch großen Naturreichtum zu bieten: Er ist dort Waschbären, Schnappschildkröten und Wassernattern begegnet. "So viele Weißkopf-Seeadler habe ich noch nie gesehen", erzählt Bauer, einmal sei auch ein Stinktier zum Greifen nah an seinem Zelt vorbeigekommen. Vier verschiedene Moskitomittel habe er im Gepäck mitgeschleppt, aber kein einziges gebraucht. Als kulturellen Gegenpol der Reise besuchte er die Millionenstädte Toronto, Ottawa und Montreal.

In Stuttgart aufgewachsen, sammelte Bauer schon mit 15 Jahren dank Interrail erste Erfahrungen mit freiem Reisen. Nach dem Studium der Verwaltungswissenschaft in Konstanz ist er 2500 Kilometer auf den Jakobswegen gewandert - 2004, noch bevor Hape Kerkeling dort einen regelrechten Boom auslöste. "Alles war recht spontan, und ich habe alle Anfängerfehler gemacht, wie einen viel zu schweren Rucksack zu packen," erzählt Bauer. Während der 69 Tage vom Bodensee bis zum letzten Kreuz oberhalb des Atlantiks in Fisterra, viele Etappen hinter Santiago de Compostela, hat er Material für sein erstes Buch gefunden. Aber auch vor allem erkannt, was Reisende von Touristen unterscheidet. Statt auf vorgeplantem Weg Programmpunkte abzuhaken, will er sich auf das fremde Land und das Leben der Einheimischen einlassen. "Es geht darum, die Kontrolle ein Stück weit aufzugeben", offen zu sein für Überraschungen und stets bereit zur Abschweifung. Wer nicht vorab Hotels bucht, kann den Aufenthalt jederzeit verlängern, wenn man sich an einem Ort oder in einer Gesellschaft wohlfühlt. Oder spontan weiterreisen, wenn neue Ziele locken.

Mit dem Liegerad hat Thomas Bauer die Türkei durchquert. (Foto: privat)

Pauschalreisen oder zwei Wochen Strandurlaub kommen für ihn nicht infrage. Fast immer ist Bauer alleine unterwegs, abends oder auf längeren Bus- und Zugreisen arbeitet er an seinen Aufzeichnungen. Dass dabei auch mal moralische Durchhänger oder das Gefühl von Einsamkeit aufkommen, gehöre dazu: "Es gab nie eine Reise, die nicht auch einen Tiefpunkt hatte." Viele Tausend Kilometer hat er mit den unterschiedlichsten pedalgetriebenen Gefährten zurückgelegt: Bauer ist mit Post-Velo und Anhänger rund um Frankreich, mit dem Liegerad durch die Türkei getourt - und mit einer Rikscha von Nord-Laos bis Singapur gestrampelt. Dem Lauf des Mississippi folgte er mit einem Velomobile, einem mit Cockpit ausgestatteten stromlinienförmig verkleideten Liegerad: "Das macht in der Ebene locker 30, 40 Sachen, fährt sich aber bergauf richtig kacke", erinnert sich Bauer lachend.

Auf seinem persönlichen Globus gäbe es noch viele weiße Flecken, weite Teile Afrikas, Indonesien und die Südsee gehören dazu. Geht es dem notorischen Weltenbummler womöglich darum, möglichst viele Länder zu sammeln, um dann damit zu prahlen? Bauer hält nichts von derartigen Trophäenjagden: "Das Abhaken von Sehenswürdigkeiten ist eigentlich vorbei." Nein, es ist einfach die Lust auf unverhoffte Begegnungen und die kleinen Sensationen am Wegesrand, die diesen extrem neugierigen, quirligen und kontaktfreudigen Menschen vorantreibt. Und vor allem die Sehnsucht nach Freiheit, das Leben ohne Stunden- und Tagesplan, das Fehlen strukturierter Zeit.

Der Urlauber fährt fort, um anzukommen, der Reisende kommt nie an. "Doch vom Reisen leben, geht nicht," sagt Bauer. Er hat ein Jahr in Paris gelebt und dort für Greenpeace gearbeitet, einige Monate schrieb er für eine deutschsprachige Tageszeitung in Sydney. Seit 17 Jahren aber ist er in der PR-Abteilung des Münchner Goethe-Instituts beschäftigt - in Vollzeit, aber weil dabei im Herbst und Winter viele Überstunden anfallen, bleibt in den Sommermonaten Zeit genug zum Reisen.

Auf dem ältesten Pilgerweg der Welt hat Bauer die japanische Insel Shikoku umrundet und 88 Tempel besucht. (Foto: privat)

Am Starnberger See habe er freilich auch eine sehr attraktive Basis gefunden. "Tutzing ist das erdende Element", seit zwölf Jahren ist er dort daheim, die Liebe zu seiner Frau Dagmar von Keller hat ihn hergeführt. Ihre alteingesessene Familie hat sogar ein Bootshaus am See, drinnen dümpelt aber keine Yacht, bloß SUP-Boards sind dort aufgereiht. "Ich bin sehr gerne hier, das ist schon ein Privileg", findet Thomas Bauer. Als Lieblingsplätze fallen ihm sofort die Eisdielen im Ort ein, sehr gerne zieht es ihn mit der Familie Richtung Bernried und Seeshaupt. Vor Covid hat er einmal im Jahr eine Rundwanderung um den Starnberger See organisiert, Urkunden und Magnesium gegen Muskelkater ausgeteilt. Von 20, 30 Teilnehmern im Alter zwischen 11 und 75 erreichte nur ein Drittel nach 50 Kilometern das Ziel. "Gerade die jungen, sportlich ambitionierten Männer scheitern früh, weil sie viel zu schnell loslegen", sagt Bauer.

Die reisefreie Zeit nutzt der Weltenbummler auch, um mit seiner Band Angels' Share zu üben und CDs einzuspielen. Die Gruppe habe sich vor 15 Jahren formiert, um die Lesungen und Vorträge zwischendurch mit Musik aufzulockern, Bauers Frau spielt darin Saxofon. Und natürlich verbringt er gern so viel Zeit wie möglich mit der Familie. Besonders freut ihn, dass sein Sohn wohl in Vaters Fußstapfen tritt: "Mit dem Achtjährigen habe ich schon die ersten Bergtouren unternommen."

Auch das weitere Sommerreiseprogramm lässt Spielraum für zwei Wochen Erholungsurlaub im Familienkreis. Aber erst geht es ja nach Usbekistan und Kirgistan. Danach folgen zehn Tage Trekking auf dem Fernwanderweg Peaks of the Balkan durch Albanien, Montenegro und Kosovo. Frau und Kinder trifft er dann in Tirana.

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