Süddeutsche Zeitung

Theater in Schondorf:Heißer Ritt vom Ammersee ins All

Der "Prolog" des "Elle"-Kollektivs bezaubert mit idyllischer Kulisse, absurdem Humor und skurrilen Bildern

Von Armin Greune, Schondorf

Das Spiel mit der Verunsicherung des Publikums gehört zum Konzept. So müssen die Zuschauer bei der Premiere von "Der Prolog" erst mal eine Weile ausharren, bis das "Elle"-Kollektiv selbst sein Spiel aufnimmt. Vielleicht will das Ensemble auch nicht dem Vollmond die Schau stehlen, der über dem Ammersee im Wolkenvorhang einen spektakulären Auftritt hinlegt. Abgesehen von Wellenschlag und Gänseschreien bleibt es erstaunlich lange ziemlich still. Nach geraumer Zeit entschuldigt sich dann ein Ansager für angebliche technische Probleme, kurz darauf treffen die Protagonisten ein und legen zwischen Zuschauerreihen und Ufer los.

Anders als bei den beiden Vorgängerproduktionen "Der Erleuchthund" (2017) und "Die blondierte Stierin" (2019) verlangt die spielfreudige und ambitionierte Theatertruppe diesmal seinem Publikum keine Mobilität ab. Es darf auf bequemen Korbsesseln sitzen bleiben - während Elisabeth-Marie Leistikow, Luis Lüps und Louis Panizza in höchst originellen Kostümen nahezu ständig in Bewegung sind: Sie turnen, tanzen, fahren, rollen, ziehen und schieben, an Land und im Wasser. Geflogen wird dann auch noch, aber nicht über den Rängen, sondern durch das All.

Das alles findet dank einer großzügigen Sponsorin vor einer so stimmungsvollen Kulisse statt, dass sogar die Uttinger Seebühne - auch sie heuer ein Opfer der Pandemie - in den Schatten gestellt wird. Schließlich ist der Ammersee erklärte Inspirationsquelle des Kollektivs, dessen Name sich aus den Vornameninitialen der Darsteller plus Erwin Kloker für "technische Angelegenheiten" zusammensetzt. Die Hälfte des Quartetts lebt am Ammersee, Lüps ist in Utting aufgewachsen. Die Frankfurterin Leistikow kennt er vom Studium an der Universität der Künste in Berlin, beide sind für Buch und Regie zuständig. Unbedingt erwähnt werden müssen auch die Musiker: Live gibt Noel Riedel am Mischpult mit Klängen, die an Pink Floyd erinnern, den Rahmen für die Choreografien vor. Den gefilmten Part des Prologs hat Tobias Leitner musikalisch unterlegt.

Vom Geschehen soll nicht viel verraten werden: Auf die Zuschauer wartet ein Feuerwerk skurriler Ideen und Szenen mit Anleihen von Macbeth bis Cheech & Chong, die Handlung lässt viel Freiraum für Interpretation. Wie aber hier "Licht ins Dunkel gebracht" wird; Bühne und Kino, Wasser und Weltall, Ammersee und Universum eins werden, sollte man selbst miterleben. Vor allem wer Spaß an absurdem Humor hat, darf sich die Gelegenheit auf keinen Fall entgehen lassen und kommt beim kosmisch-komischen Abenteuer der drei Musketiere Medi, Milky und Sparky mit Graulieschen bestimmt auf seine Kosten.

Das Vorspiel mit den letzten Zeugen des Urknalls ergänzt die "Trilogie der schlafenden Vernunft", die nun 2021 mit "Das Meditier" abgeschlossen werden soll. Die Arbeiten an dieser aufwendigen Produktion waren schon im vollen Gange, als die Pandemie kam. Mit dem an die neuen hygienischen Regeln angepassten Prolog "wollten wir Corona etwas entgegensetzen", sagte Lüps im Anschluss an die Premiere. "Es war ein heißer Ritt", das Bühnengeschehen wurde in bloß eineinhalb Wochen einstudiert, für den Dreh zwei Nächte durchgearbeitet - also nicht nur in künstlerischer, sondern auch in sportlicher Hinsicht eine bewundernswerte Leistung. In letzter Minute wurde auch das Programmheft fertig, das sich recht bedeutungsschwanger gibt: von "kosmischen Kräften", "metaphysischen Streit" und "den Menschen als sich selbst überschätzende Spezies" ist da die Rede. Nehmen die das doch vielleicht ernst? Oder machen sie sich nur über die ewige Sehnsucht nach Mythen und Mystizismus lustig? Auch hier folgt "Elle" dem Prinzip, das Publikum stets ein wenig im Ungewissen zu lassen.

Weitere Vorstellungen am 4. und 5. September, jeweils 21 Uhr, Kartentelefon: 0152/33807669

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SZ vom 04.09.2020
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